Am Totensonntag 2019 auf dem Westfriedhof Unna
Gedenkfeier für die Opfer des Bergwerksunglücks 1883
Westfriedhof 59423 Unna - Sonntag 24. November 2019 11:00 Uhr
Der Leiter des Massener Geschichtsforums
Dr. Peter Kracht hatte Mitbürgerinnen und Mitbürger zu dieser Feierstunde eingeladen. In einer beeindruckenden Ansprache erinnerte Pfarrerr i.R. Hartmut Hegeler an die Opfer des Grubenunglücks auf der ehemaligen Zeche „Massener Tiefbau“
Aus der Ansprache von Hartmut Hegeler
Sehr verehrte Damen und Herren,
heute am Totensonntag stehen wir hier an einer Gedenkplatte für Menschen, die auf der Kohlenzeche Massen I/II an der Dortmunder Straße in einer Schlagwetterexplosion ihr Leben verloren.
Vor genau 136 Jahren am 19. September 1883 raste eine Feuerwalze durch eine Abbaustrecke in der Zeche, hervorgerufen durch Methangas in Verbindung mit einer Kohlenstaub-Explosion. Für 16 Bergleute gab es kein Entrinnen. Sie erstickten, verbrannten oder wurden von umherfliegenden Trümmern erschlagen. Sie hatten keine Chance. Ein 17. Opfer starb später an den Folgen des Unglücks.
Zehn von ihnen wurden damals auf dem Westfriedhof beigesetzt, sechs auf ihren Heimatfriedhöfen. Viele Familien waren von dem Unglück betroffen. Witwen beklagten den Tod ihrer Ehemänner, Töchter und Söhne den Tod der Väter. Das menschliche Leid war unbeschreiblich, ein Verlust, der nur schwer zu verkraften war. Es war eine unvorstellbare Katastrophe, wenn Familien ihre Versorger und Existenzgrundlage verloren.
Das Unglück ist in Unna nicht vergessen. Der Gedenkstein wurde vom Historischen Arbeitskreis Massen errichtet. Die Platte bewahrt das Gedenken an diese Bergleute. Eine zerbrochene Gedenkplatte auf der Grabstätte wurde vor 3 Jahren durch eine neue Granitplatte ersetzt.
Die Kosten von 12000 € kamen von der Ruhrkohle Stiftung und Sparkasse Unna.
Immer wieder suchen Mitglieder des Arbeitskreises die Platte auf und säubern sie.
Wie oft sind solche Grubenunglücke passiert! Weit mehr als 500 Bergleute in der Region ließen während der Blütezeit der Kohle ihr Leben unter Tage. Das Ev. Krankenhaus war damals Zentralambulanz für die Zechen der Umgebung und musste zahlreiche Opfer von Arbeitsunfällen versorgen.
Auf der einen Seite begleitete damals der Tod die Bergleute auf Schritt und Tritt. Bei der Seilfahrt in den Schacht fuhr der Tod mit. Und er war die ganze Zeit dabei bei der Arbeit im Stollen. Allgegenwärtig war die Angst, für immer unter Tage zu bleiben. Bergleute wussten, dass jeden Tag ein Unglück passieren konnte.
Auf der anderen Seite schätzten die Kumpel diese Arbeitsplätze. Sie hatten ein festes Einkommen und fanden Wohnung in den Bergarbeitersiedlungen. Ihre Lebensbedingungen verbesserten sich. Im Garten konnten sie Schweine, Hühner und Tauben halten, Gemüse anbauen.
Menschen aus anderen Gebieten zogen ins Ruhrgebiet und nach Massen, um unter Tage zu arbeiten. An vielen Häusern in Unna-Massen zeugen Jahreszahlen am Giebel neugebauter Häuser von dem Boom des Bergbaus an der Wende zum 20. Jahrhundert. In Massen zeugen noch die ehemaligen Steigerhäuser an der Dortmunder Straße und die Bergarbeitersiedlung in der Buderuskolonie (Klein Korsika) von dieser Zeit. Später wurden sie von der Harpen AG gekauft.
Im Jahr 1925 wurde der Betriebsteil Massen 1/2 an der Dortmunder Straße stillgelegt und 1962 wurden die Schächte komplett verfüllt. Vor einiger Zeit wurde die letzte Zeche im Ruhrgebiet stillgelegt.
Das war für Bergarbeiterfamilien eine schwierige Herausforderung. Früher hofften die Familien, dass auch ihre Söhne unter Tage arbeiten konnten. Später trauerten die Kumpel den Arbeitsplätzen nach, die im Laufe des Strukturwandels verloren gingen. Für Arbeitssuchende war es schwierig, sich auf diese Herausforderungen einzustellen. Nun waren ganz andere Qualifikationen für Berufe nötig.
Heute gibt es keine Arbeitsplätze mehr im Bergbau, nur noch in der Wasserhaltung – die Ewigkeitskosten der Ruhrkohle Stiftung. Bis heute wird Wasser aus der Zeche in Massen abgepumpt.
Wenige sind heute noch solch gefährlichen Arbeitsbedingungen wie damals ausgesetzt. Zum Glück!
Der Bergbau hat eine lange Geschichte. Immer wieder haben Menschen nach Schätzen gesucht, die unter der Erde verborgen sind. Bereits in der Heiligen Schrift der Bibel findet der Bergbau Erwähnung. Die "Grube", "Finsternis" und "Tiefe" – das sind Bilder von Trauer, Verzweiflung und tiefer Not.
"Ich bin gleich denen geachtet, die in die Grube fahren", heißt es im 88. Psalm Vers 5. "Du hast mich hinunter in die Grube gelegt, in die Finsternis und in die Tiefe", heißt es dort weiter im 7. Vers.
Im 90. Psalm bittet der Beter: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Die Bibel ist davon überzeugt, dass Menschen „klug“ davon werden, wenn ihnen bewusst ist, dass ihr Leben gefährdet und vom Tod bedroht ist. „Vielleicht, dass er dir heute noch naht“ -wer das weiß, der fängt an dankbar zu werden für die Lebenszeit, die er noch erleben darf. Ich nehme mein Leben dann nicht mehr als völlig selbstverständlich hin –und vergeude es auch nicht so einfach. Sondern ich versuche, jeden einzelnen neuen Tag bewusst zu erleben.
Das Licht der Sonne sehen zu können, heißt es in der Bibel,
bedeutet Glück und Freude.
Genieße froh jeden Tag,
der dir gegeben ist.
Lebe im Heute. Und darum versuche ich, mit meiner geschenkten Lebenszeit etwas Sinnvolles anzufangen.
Es kann helfen, das Gestern zu bedenken, um heute zu leben. Diesem Ziel widmet sich der Historische Arbeitskreis Massen. Denn die Jugend und die Kindern ahnen kaum noch, wovon die Menschen damals hier lebten, was das Leben der Kumpel prägte.
Wo früher Menschen in Zechen arbeiteten, finden sich heute begrünte Halden, neue Straßen oder Ansiedlungen von Geschäften. Mancherorts erinnert nichts mehr an den Bergbau. 136 Jahre nach der Katastrophe und Jahre nach der Einstellung des Bergbaus verblasst diese Vergangenheit im Bewusstsein der Bevölkerung.
Wenn wir heute den Himmel über uns sehen und die Erde unter unseren Füßen spüren, vergessen wir leicht die Menschen, die damals tief unter Tage an dem Fundament für die Wurzeln unseres heutigen Wohlstandes gearbeitet haben.
So ist der heutige Gedenktag zugleich Mahnung, stetig die Arbeitssicherheit zu verbessern und die sozialen Belange des Lebens gerecht zu gestalten.
Die Gedenkplatte auf dem Westfriedhof schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Wir sind an diesem Ort, um uns in stillem Gedenken vor den Opfern dieser Katastrophe zu verneigen und die Erinnerung an die Tragödie wach zu halten. Wir sind hier, um denen Ehre zu erweisen, die ihr Leben für den Bergbau ließen. Dieser war eine Grundlage für die Wohlstands- Entwicklung der Region– damals und bis in die heutige Zeit.
Im Steigerlied, dass zum Abschluss gemeinsam gesungen wurde, heißt es:
Glückauf, Glückauf! Der Steiger kommt
und er hat sein helles Licht bei der Nacht,
schon angezünd't.
damit so fahren wir bei der Nacht,
ins Bergwerk 'nein, ins Bergwerk 'nein.
Ade, ade! Herzliebste mein!
Und da drunten im tiefen, finstern Schacht bei der Nacht,
da denk' ich dein, da denk' ich dein.
Und kehr' ich heim, zur Liebsten mein,
dann erschallet des Bergmannes Gruß bei der Nacht,
„Glückauf, Glückauf, Glückauf, Glückauf"!
Fotos © Jürgen Thoms - Aus der Serie: Gedenkfeier am Gedenkstein der Opfer des Bergwerksunglücks 1883
Autor:Jürgen Thoms aus Unna |
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