Von Macht und Ohnmacht - Wenn die Würde des Menschen dann doch nicht so unantastbar ist
Wenn wir an Macht denken, steht dieses Wort nie für sich allein. Automatisch ergeben sich Assoziationen spannungsgeladener Auseinandersetzungen. Machtkampf, Machtgefälle, Machtgerangel, ein Machtwort sprechen… Wer (die) Macht hat, kann über andere bestimmen. So funktioniert das in hierarchischen Gesellschaften. Machtausübung erscheint uns nicht denkbar ohne ein schwächeres bzw. unterlegenes Gegenüber.
Die Macht der Sprache
Sprache bildet nicht nur Realitäten ab, sondern formt auch unsere Vorstellung von der Welt. Wer sprachlich nicht vorkommt, findet nicht statt. Das bedeutet, kein Forum zur Darstellung der eigenen Bedürfnisse zu haben, und seien sie noch so elementar. „Das schwache Geschlecht“ wird so in Deutschland beispielsweise nur mitgemeint, nicht direkt angesprochen. Und damit auch nicht in unserer Vorstellungswelt abgebildet. So analysiert Caroline Criado-Perez in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen – Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ einen nach männlichen Wünschen gestalteten Planeten, der der Hälfte der Weltbevölkerung nicht gerecht wird. Das Design von ICE-Toiletten ist nicht darauf angelegt, dort Tampons wechseln zu können. Stadtplanung berücksichtigt keine weiblichen Anforderungen an sicheres Unterwegs-Sein. Tödlichste Konsequenz, wenn Frauen „Patient“ (m) sind: In der medizinischen Forschung werden sie als kleine Männer behandelt, d. h. Medikamente werden kaum an ihnen getestet. Auch zeigen sie teilweise andere Symptome als Männer, z. B. bei Herzinfarkten. Nicht-Wissen bei medizinischem Personal kann hier Leben kosten. Wurden eigentlich beim Impfstart mit Astra Zeneca mögliche Wechselwirkungen mit der Einnahme von Hormonpräparaten überprüft? Just asking. Ebenfalls über Sprache können Menschen entwertet werden. Das ist ein wichtiger Schritt dabei, Menschlichkeit abzusprechen – und Ausgrenzungs- oder sogar Vernichtungs-Prozesse einzuleiten. Victor Klemperer hat dies in seinem Buch „Lingua tertii imperii“ zum Sprachgebrauch im sogenannten Dritten Reich eindrücklich untermauert.
Definitionsmacht und Deutungshoheit
… werden generell auf die eine oder andere Art privilegierten Menschen zugesprochen. Selbige können dann als Versammlung weißer Medien-Beschäftigter in einer WDR-Diskussionsrunde darüber befinden, was Rassismus ist. Ebenso wird Männern ohne entscheiderisches Unbehagen selbstverständlich das Recht eingeräumt, für das generische Maskulinum zu argumentieren, mit dem sich Frauen und divers orientierte Menschen mitgemeint fühlen sollen. Schon Simone de Beauvoir hat darauf verwiesen, dass so der Mann zum Standard erhoben und die Frau als „das Andere“ deklassiert wird. Und damit zu einer natürlich minderwertigen Abweichung von der Norm. Wie absurd ist unsere gegenwärtige Weltkonstruktion, mit der als ganz normales Lebensrisiko hingenommenen alltäglichen Bedrohung von Frauen und Mädchen durch (sexuelle) Gewalt, mit der ebenso selbstverständlichen Unter-Repräsentanz in Führungspositionen? Zeigt die norwegische Autorin Gerd Brantenberg in ihrem feministischen Klassiker „Die Töchter Egalias – Ein Roman über den Kampf der Geschlechter“. Hier wird die Geburt von Mädchen gefeiert, Frauen besetzen sämtliche Machtpositionen, Männer bleiben auf Kinderbetreuung verwiesen und werden auf ihr Äußeres reduziert.
Ein Machtwort sprechen
… das nicht zwangsläufig von allen gehört wird. Taube und hörbehinderte Menschen sind in Deutschland von vielen Kommunikationsprozessen ausgeschlossen, die über akustische Informationen funktionieren. Nachrichten oder Filme sind ohne Untertitel oder Verdolmetschung in Gebärdensprache für diese Personen nicht verständlich. Noch immer fehlt es an einer Verpflichtung zur Barrierefreiheit für private Anbieter*innen im öffentlichen Raum. Auch Gesundheitsminister Spahn musste eigens daran erinnert werden, dass seine Mitteilungen zur aktuellen Corona-Lage in die Deutsche Gebärdensprache übertragen werden müssen. Nicht-Wissen kann hier tödlich sein, ebenso wie bei Alarm-Systemen, die nur akustisch funktionieren. Gebärdensprache ist in Deutschland, anders als beispielsweise in den USA, keine an Universitäten generell gelehrte Sprache und entsprechend wenig verbreitet. So finden die Bedürfnisse tauber und hörbehinderter Menschen bei uns, bedingt durch Kommunikations-Barriere und generell gern gepflegte Ignoranz gegenüber lobbyschwachen Minderheiten, kaum „Gehör“.
Wer Macht hat, kann auch machen?
Ohne ausreichende Repräsentanz von Frauen in Entscheidungs-Gremien werden ihre Belange nicht abgebildet bzw. umgesetzt. Frauen stehen dabei exemplarisch für diskriminierte Gruppen, als eine der wenigen unterdrückten Mehrheiten. Weitere Benachteiligungs-Mechanismen entstehen beispielsweise entlang sexueller Orientierung oder Identität, der Hautfarbe, Behinderungen oder finanzieller Situation. Viele dieser Perspektiven werden weder in (legislativen) Entscheidungs-Prozessen berücksichtigt noch in ausreichender Form medial gespiegelt. Betrachten wir das als Aufforderung an uns alle: Einige müssen Macht abgeben und auf unverdiente Privilegien verzichten, damit wirkliche Gleichstellung entstehen kann.
Autor:Stefanie Alteheld aus Sundern (Sauerland) |
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