Trauerfeier
Unser aller Abschied von meiner Heide

Zwei Monate waren bereits ins Land gezogen. Der Tag der Trauerfeier stand bevor.
Schon lange hatte ich meine Trauerrede für meine Heide geschrieben. Als ich sie Heides Sohn sandte, bekam ich zur Antwort, dass er mir zwar nicht reinreden wolle, aber im Grunde wäre sie ein Fehlversuch. Nun hätte ich ja darüber traurig sein können. Doch war ich regelrecht froh über seine Einschätzung – hatte ich die Rede ja einfach nur so geschrieben, wie ich schon einige Trauerreden miterlebt hatte. Sie doch besser zu formulieren, als würde Heide sie mithören und sich darin wieder finden, genau so würde sie echt sein.
Freudig nahm ich die Kritik auf und hatte in wenigen Minuten alle wichtigen Redeteile geschrieben.
Als ich sie dem Sohn wieder sandte, bekam ich sinngemäß die Antwort: „Na, geht doch! Warum nicht gleich so?!“
Erfreut nahm ich mir die Rede nun schier täglich vor, um sie letztlich mir auch selbst vorzulesen und einzuprägen. Es klappte immer besser – doch an einigen Stellen musste ich dennoch immer wieder anhalten, um den aufkommenden Kloss im Hals erst einmal zu besiegen, bevor ich weiter lesen konnte.

Dann war es so weit, waren Sohn und Enkelinnen am Vortag der Trauerfeier und Beisetzung meiner Heide angekommen. Mein Lampenfieber hatte sich gelegt. Am Freitag (24. Februar) zog ich mir rechtzeitig die eigens für diesen Tag gekauften neuen Sachen an und machte mich auf den Weg zum Friedhof. Eine Hausmitbewohnerin nahm ich mit. Es kamen mehrere, so dass allein schon dies unsere wunderbare Hausgemeinschaft deutlich werden ließ.

Als ich nach einer kurzen Absprache mit dem Bestattungspersonal aus der Trauerhalle heraus trat, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen! Am Kondolenzblatt stand eine nicht enden wollende Menschenmenge. Gewiss hatte ich mit vielen gerechnet – aber nicht mit so vielen!
Die Gruppe der „Spielzeuggestalterinnen“ aus Heides ehemaligem Studium war ganz groß vertreten, mein früherer Arbeitskollege in Kassel war mit seiner Frau gekommen. Die Fraktionen der Parteien im Stadtrat und Kreistag waren vertreten. „Heides Stadtwerke“ gaben ihr die Ehre, Viele Freunde bekundeten mir ihre Anteilnahme und sprachen mit den Augen, wie sehr ihr Leben mit dem meiner Heide verbunden war – und wohl auch im Gedenken bleiben wird.
Auch der Oberbürgermeister hatte es wahr machen und an der Trauerfeier teilnehmen können.

Der Trauersaal war brechend voll. Ich war beeindruckt. Ja, das hatte meine Heide verdient!
Hoffentlich werde ich . . . weiter kam ich nicht, weil die Musik der Gothaer Band „Die Polars“ die Trauerfeier eröffnete.
Ich hatte mich ganz hinten an die Tür gestellt, nahm die Wucht der Ehre für Heide durch die vielen Gekommenen in mich auf und drückte mir schließlich selbst die Daumen.

Gegen Ende der Musik ging ich vor, blieb stehen und grüßte innerlich meine Heide, die mich aus dem Bild anzulächeln schien. Liebe Heide, ich werde mich bemühen, Dir einen gebührenden Abschied zu geben!

Dann stand ich am Rednerpult, wollte beginnen, sah die vielen erwartungsvollen Gesichter – und da wurden mir die Knie weich, was ja zumindest keiner wahrnehmen konnte.
So begann ich meine Rede, fühlte immer mehr, wie Heide deutlich spürbarer zu werden schien. Doch es kamen auch wieder die Stellen, an denen ich erst einmal schlucken musste, um überhaupt weiter lesen zu können. Die letzten beiden Seiten habe ich vor Tränen nicht mehr richtig lesen können – aber ich konnte sie ja fast auswendig. Die Halle blieb ruhig. Man ließ mich stets wieder zu mir finden.

Als ich die letzten Worte gesprochen hatte und ihr gewünschter Montanara Chor „Hörst du das Lied der Berge . . .“ erklang, wusste ich, dass ich für Heide und auch im Sinne all der Gekommenen gesprochen hatte! Der innere Stolz wich allerdings der Gewissheit, dass nach dem Chor ihre Urne den letzten Weg gehen und sie neben ihrer Mutti zur Ruhe kommen würde.
Mit der abschließend tragenden Musik von Bach wurde Heides Urne hinausgetragen. Alle standen auf und gaben Heide ihren würdigen Abschied!

Erst am Grab konnte ich wieder all das um mich herum wahrnehmen und erstaunt feststellen, wie zahlreich wir alle um das Grab standen und Heide den individuellen letzten Gruß mit ins Grab gaben.
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Neben dem Hinweis auf den Beitrag:
Das Alleinsein zu fühlen aber gar nicht allein zu sein
. . .möchte ich hier meine zehnminütige Rede einbringen.
Vielleicht kann sie anregen, in einer eigenen Trauerrede den betreffenden Menschen deutlich werden zu lassen.

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Wir sind heute zusammengekommen, um von Heide Linstädter Abschied zu nehmen.
Von ihrer Jugend und der Zeit, bevor wir uns kennen lernten, sprach sie gerne.
Mit großer Freude tanzte sie in der Stadthalle und schwärmte immer wieder von den „Polars“.
So habe ich mit Musik der „Polars“ ganz gewiss einen bedeutenden Teil ihres Lebens noch einmal aufblühen lassen können.

Was war sie für eine wunderbare Frau!

1990 fuhr ich Heide zu einer Tagung in Bremen. In einer Tagungspause standen um sie herum eine größere Anzahl Fachleute.

Ihnen erklärte sie, wie sie das neue Jugendhilfegesetz beim Aufbau der Jugendgerichtshilfe in Gotha umsetzt und welche Erfahrungen aus der DDR sie da einbringen konnte.

Es war nicht das erste und einzige Mal, wo Heide ihre dienstlichen Aktivitäten präsentieren konnte. Sie war in ihrem Element.

Wir waren einkaufen, als ich sah, wie ein Jugendlicher 4 Schnapsflaschen stehlen wollte. Heide hielt mich zurück mit den Worten, dass ich ihr nicht in die Quere kommen dürfe, wenn es um ihre „straffälligen Jugendlichen“ gehe.
Sie ging zu dem Jungen, sprach mit ihm, dieser stellte 3 Flaschen zurück und stahl damit nur eine Flasche. Sie erklärte mir das damit, dass sie ihre Jugendlichen nicht am Klauen hindern könne aber dann wenigstens „nur für dem Eigenbedarf“ plädiere.

Noch vor Mitternacht wurde Heide angerufen, ob sie nicht mal in den Jugendclub nach Siebleben kommen könne, wo ein Jugendlicher mit einer Pistole herumfuchteln würde.

Ich fuhr sie hin, sie kam nach etwa einer halben Stunde wieder zum Auto. Der Junge hatte ihr die Pistole gegeben und sie diese dem Klubleiter.

Nun könnten wir wieder heimfahren. Sie sah noch die Angst in meinem Gesicht und meinte, dass sie von ihren Jugendlichen nichts zu befürchten hätte – höchstens von fremden.

Als wir 1992 in Urlaub fuhren, hatte sie ihre Jugendlichen gebeten, dass sie danach nicht wieder einen Haufen Anklageschriften zu Gothaer Diebstählen haben möchte.

Sie taten ihr den Gefallen.
Es kamen nur Anklageschriften aus Eisenach / Bad Langensalza / Weimar / Hannover usw.
Heide wurde von ihren Jugendlichen geachtet, weil sie in allem auf sie zu ging und mit ihnen sowie für sie stets das Beste herausholen wollte.

Ein Jugendlicher wollte sich bei Heide bedanken. Er stellte ihr zwei gestohlene Plüschteddys auf den Arbeitstisch. Sie solle sich einen aussuchen.
Den Braunen würde er gerne selbst behalten, so dass sie den Weißen bekommen würde.
Dieses Diebesgut sitzt noch jetzt daheim und wartet vergeblich auf Heide.

Da Heide ungern halbe Sachen machte, ließ sie sich später noch zur „Anwältin des Kindes“ ausbilden und erweiterte so ihr Engagement für die Jugend.
Jugendpolitik war aber nur eine von Heides Leidenschaften.

Als sie nach der Wende in den Kreistag gewählt wurde, erlebte ich sie in der Stadthalle.
Seitens der CDU wurde etwas vorgeschlagen, dem die SPD nicht zustimmen konnte und einen anderen Antrag vorbrachte. Es kam zu einer Klärungspause.

Da sammelten sich einige Abgeordnete um Heide. Anschließend schwächte die CDU ihren Antrag etwas ab, so dass die SPD zustimmen konnte. Sie hatte es wieder einmal erreicht, den Hitzköpfen klarzumachen, dass es nicht um die Durchsetzung einer Parteipolitik gehe, sondern um eine sachbezogene Lösung für die Bürger.

Diese Grundhaltung behielt sie auch danach all die Jahre als Stadträtin und sogar 20 Jahre als ehrenamtliche Beigeordnete der Oberbürgermeister Kukulenz, Dönitz und Kreuch.
Immer suchte sie das Gespräch mit betroffenen Bürgern und mit anderen Abgeordneten – auch der AfD – um mit einer klaren sachlichen Meinung aufwarten zu können.
Dabei störte sich niemand daran, dass sie seit eh und je eine Linke war und für diese stets kandidiert hatte. Erfolglose Abwerbungsversuche gab es freilich immer wieder.

Als ich nach der Wende zusammen mit ihr intensiv dafür eintrat, dass unser gehabtes DDR-Leben nicht einfach in den Schmutz getreten, sondern das Gute erhalten und in die neue BRD mitgenommen werde, lernte ich sie lieben und schätzen.
So zog ich – als wir uns beide von unseren Partnern getrennt hatten - 1992 zu ihr.
Als ich die ersten Male zu Heide ging, stellte sich mir eine Hausmitbewohnerin in den Weg, zu wem ich wolle. Es könne ja nicht einfach irgendein Mann zu Heide gehen! Vierzehn Tage später entschuldigte sie sich. Sie hätte ja nicht ahnen können, dass es so ernsthaft war.

Heide hatte ein gutes Gespür, was wo für ihr Gotha gut wäre. Nicht selten war ich erstaunt, wie sie sich einsetzte für Sportvereine, für den Fanfarenzug, für Gothas Kulturstiftung, im Sozialausschuss und für die Senioren im Beirat, für die Städtepartnerschaft mit Martin, wohin sie selbst auch eine Delegation leitete, und viele andere Dinge.

So höre ich sie noch, wie sie immer wieder zu dem Schluss kam, dass „man da doch etwas machen müsse“.
Sie sah mich fragend an, wartete, was mir dazu einfallen würde, und schloss dann ab mit einer klaren Vorstellung wie sie tätig werden und wo ich mitmachen könne.

Immer wieder stellte sich Heide zur Wahl für den Stadtrat. Immer wieder wurde sie gewählt. Immer wieder freute sie sich dann, dass sie erneut in den Aufsichtsrat der Stadtwerke gehen durfte, dem sie über all die Jahre mit Leib und Seele angehörte.

Neben ihrer Jugendarbeit und all den kulturpolitischen Aktivitäten gab sie als Stadträtin und besonders diesem Aufsichtsrat ihr Herzblut.

Wenn ich mich hier umschaue, sehe ich bestätigt, dass es nicht allein MEINE Heide war, sondern UNSERE!

Sie sagte einmal, dass sie außen rum nach Hause gehen müsse, wenn’s schnell sein wolle.
Durch die Stadt würde sie alle paar Meter angesprochen oder müsse die Gelegenheit nutzen bestimmte Leute gerade zu treffen.

Doch war Heide über 30 Jahre ganz besonders MEINE Lebensabschnittsgefährtin, bis wir 2022 an ihrem Geburtstag heirateten.
13 Jahre fuhren wir zu Ostern einfach in den Urlaub, dessen Richtung wir am Karfreitag bestimmten und über dessen Entfernung wir uns bei Fahrtantritt verständigten. Und immer wieder kehrten wir gerne nach Hause zurück, schon, weil unsere Hausgemeinschaft einfach unübertroffen war und ist, dass wir uns in ihr stets wohl fühlten.

Den Rahmen ihres gesamten Lebens bildete ihr Studium zur „Spielzeuggestalterin“ in Sonneberg. Sie hatte dafür wahrlich ein Talent.
Mit der Geburt ihres Sohnes brach sie dieses Studium allerdings ab, hielt jedoch bis zuletzt innigen Kontakt zu ihren damaligen Mitstudentinnen.
So trafen sich alle mit ihren Partnern jährlich – und noch im vergangenen Jahr wieder in Sonneberg.

Ihre Bemühungen, das Miteinander hochzuhalten, erstreckte sich auch besonders über die Unterstützung ihrer Mutti bei deren Rentnerbetreuung, der Unterstützung ihrer Schwester und deren Sohn, bis dieser auf eigenen Füßen stehen konnte. Und zur Familie ihrer Cousine sowie unseren Söhnen hielt sie Kontakt.

In erster Linie versuchte Heide meist, die Aktivitäten anderer zu wecken und sie dann zu bekräftigen und zu unterstützen. Wie sehr sie so auch an meiner Seite stand, spüre ich heute jeden Tag.

Das Schönste und gewiss für Heide Allerwichtigste möchte ich zum Schluss erwähnen – ihre Liebe zu ihrem Sohn Jörg und ihren Enkelinnen!
Wie hatte sie gekämpft, dass Jörg Archäologie studieren konnte, was einige Lehrer weder für möglich noch gar für erstrebenswert hielten. Freudig zeigte mir Heide, wo er damals bei Seebergen seine ersten Grabungen mitmachte.

Als er später die Welt zu bereisen begann, drückte sie im immer die Daumen und war erleichtert und stolz, wenn er von seinen Erlebnissen berichtete.
Wenn Jörg irgendetwas passiert wäre, hätte sie alle Hebel in Bewegung gesetzt um ihn, ganz gleich wo und wie, herauszuholen.
So nimmt es nicht Wunder, dass Heide auch später seine Reisen verfolgte und die Berichte über Ausgrabungen in Marokko.
Damit sie sich weniger Sorgen machen konnte, erfuhr sie in den letzten Jahren eher nach seinen Reisen, wo er gewesen war.

Heides Enkelinnen, Paula und Lyra, waren ihr Ein und Alles. Sie zu treffen und ihre Entwicklung mitzuverfolgen waren Höhepunkte für Heide. Ich werde immer sehen, mit welcher Lust und Liebe Heide für jede der beiden jedes Jahr einen Adventskalender auf dem Sofa ausbreitete und zusammenstellte, für den sie schon über das ganze Jahr sinnvolle Kleinigkeiten besorgt hatte

Heide begleitete mich aufopferungsvoll über alle arbeitsmäßigen wie gesundheitlichen Tiefen, wie sie andererseits auch allen Höhepunkten einen besonderen Glanz gab. Mit ihr gab es reichliche Glücksmomente.
Wir lebten und erlebten viele Jahre die Tradition des Weihnachtstreffens auf der Ruhlaer Skihütte gemeinsam mit der Familie ihrer Wintersteiner Cousine Anette.

Heides ganzes Leben stand unter den Worten „für“ und „miteinander“.


Wenn ich heute vergeblich warte
auf ein noch so kleines Wort von ihr,
dann ist sie zwar aus dem Leben gegangen,
doch sie bleibt ja unsterblich in mir.

Aus tiefstem Herzen verneige ich mich vor dir, liebe Heide, mit dem Dank für alles, was du in deinem Leben gegeben!
Es ist auch ein ganz besonders tief gehender Abschied und Dank an die „Ma“ für Heides Jörg und die „Oma“ für die Enkelinnen.

Allen vielen Dank für ihr Kommen für diese wunderbare Frau, mit der sich zahlreiche Begegnungen wie gemeinsames Arbeiten verband und die große Anteilnahme.

Deinem Wunsch entsprechend, wirst du nun neben deiner Mutti die letzte Ruhe finden.
Und auch Dir soll der Montanara Chor den Abschied geben „Hörst Du das Lied der Berge . . .“

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Autor:

Uwe Zerbst (Gotha/Thüringen) aus Bochum

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