Gotha live
Der Schmerz eines Nachhilfelehrers

„Warum hat man uns das in der Schule nicht schon gesagt?“ - dies höre ich immer wieder, wenn ich Nachhilfeschülern eine „Eselsbrücke“ gebe, um das Gelernte besser in Erinnerung behalten zu können.
Das ist oftmals der Anfang eines Verständnisses und der auf Empfang geöffneten Ohren. Lichtblicke für die Arbeit eines Nachhilfelehrers, welche ein indirektes Dankeschön durch die Schüler bedeuten.

Es macht mir bereits mehrere Jahre eine Riesenfreude, Mathematik-Nachhilfe zu geben. Langsam lernte ich dabei, nicht nur Namen zu merken, sondern diese auch dem richtigen Schüler zuzuordnen. Alles gut und wohl normal mit der Zeit.

Wieder ist die Zeit des Abiturs gekommen, habe ich eine Reihe von Abiturienten, welchen ich im Grunde nur noch ein paar Tipps mit auf den Weg geben kann, nachdem ich gemeinsam mit ihnen zuvor intensiv in Integral/ Vektor- / Wahrscheinlichkeitsrechnung eingedrungen war. Mit einigen dieser Schüler habe ich bereits von der zehnten oder elften Klasse an die Mathematik „erobert“.

Heute meinte eine dieser erwachsenen Abiturientinnen, dass es für sie die letzte Mathe-Nachhilfe gewesen ist. Ihr dankendes Lächeln und kleiner dargereichter Dank machten mir urplötzlich klar, dass dies eine unwiderrufliche Trennung bedeutete. Diese war natürlich zu erwarten, traf mich aber doch wie ein Blitz.
Weil meinerseits Nachhilfe nie auf dargereichten Dank ausgerichtet ist, lehnte ich diesen ab. Im Nachhinein hoffe ich freilich, dass ich dadurch nicht die Gefühle der Abiturientin verletzte.

Warum hat mir niemand gesagt, wie schmerzhaft der Abschied von einem Nachhilfeschüler sein kann, wenn dieser dem Nachhilfelehrer förmlich ans Herz gewachsen ist?
So habe ich es bislang weder gesehen noch so deutlich erlebt und empfunden.

Mal mehr und mal weniger Zeit bin ich mit den heutigen Abiturienten die Wege der „Eroberung von Mathematikkenntnissen“ gegangen, habe ihre Erfolge wie auch Misserfolge mit durchlebt, mich über ihre positive Entwicklung gefreut.
Nun gehen sie ihrer Wege, werden feststellen, wie wertvoll ihre Schulzeit ist. Sie gehen ihren Lebensweg – und ich werde kaum wieder von ihnen hören.

Habe ich ihnen wirklich alles mitgegeben? Habe ich sie so erreicht, wie ich es wollte und dem jeweiligen Thema entsprach? Alles, was ich gab, kam aus tiefster Überzeugung und von ganzem Herzen.
Kein Wunder wenn das Herz beim Abschied schmerzt, Tränen in die Augen steigen und das Gesicht meiner Freude Ausdruck geben möchte, sie begleitet zu haben.

Autor:

Uwe Zerbst (Gotha/Thüringen) aus Bochum

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