Eine Reise in die Vergangenheit
Anfangs hat sich Klaus Auclair oft hilflos gefühlt. Genau wie seine Kollegin Margret Wagner. Denn der Leiter des LVR-Wohnverbundes Zur Licht und die Heilpädagogin fanden keine Erklärung, warum Peter K. (Name geändert) plötzlich aggressiv geworden war. Warum er Spiegel zerschmetterte oder sein Bild an seiner Zimmertür nicht mehr sehen wollte und es zerriss. Eine Untersuchung während eines Klinikaufenthaltes brachte Licht ins Dunkel. Peter K. ist an Demenz erkrankt. Und mit der Diagnose, mit Fortbildungen und viel Engagement ist das Gefühl der Hilflosigkeit im Team des LVR-Wohnverbundes in Sonsbeck verschwunden.
16 Männer und Frauen mit Behinderung leben in dem Haus in Sonsbeck, der jüngste Bewohner ist 24, der Älteste 83 Jahre alt. Die größte Gruppe stellen die 50- bis 60-Jährigen. Eine Demenz-Risikogruppe. Nicht jeder Mensch mit Behinderung erkrankt an Demenz, wenn er aber betroffen ist, dann deutlich früher als Menschen ohne Einschränkung. In der Regel tritt die Krankheit im Alter von 50 Jahren auf, bei denjenigen, die mit Down-Syndrom geboren wurden, bereits ab 35 Jahren. Peter K. ist nicht mehr der einzige Demenzkranke im LVR-Wohnverbund Zur Licht, inzwischen sind es vier Bewohner.
Wie damit umgehen? Antworten auf diese Frage hat Margret Wagner bei einer mehrtägigen Fortbildung bekommen. Eine Veranstaltung, von der sie heute noch schwärmt. „Weil ich sehr viel praktische Anregungen bekommen habe.“ Wer die vielfältigen Aktivitäten zusammenfasst, die Margret Wagner für die von Demenz Betroffenen organisiert, der nimmt diese Überschrift: Eine Reise in die Vergangenheit. Unabhängig davon, ob jemand eine Behinderung hat oder nicht: Wer an Demenz erkrankt ist, der findet sich in der Gegenwart nicht mehr zurecht, aber noch relativ lange in der Vergangenheit.
Erinnern ist wichtig. Zum Beispiel mit Musik. Peter K. beruhigt sich sofort, wenn seine Lieblingsschlager von früher ertönen. „Ein wahres Zaubermittel“ sind Besuche auf Trödelmärkten, hier würden Erinnerungen an die Kindheit wach. Im Büro von Klaus Auclair gibt es im Regal inzwischen eine „Demenz-Ecke“. Hier sind die Materialien gestapelt, die Margret Wagner im Laufe der Zeit angeschafft oder selbst hergestellt hat. Memory-Spiele, Bücher und Karten mit alten Autos, D-Mark-Scheinen, einem Telefon mit Wählscheibe. Sprachspiele sind gefragt. Mit Fragmenten von alten Sprichwörtern, die ergänzt werden müssen: Wer den Pfennig nicht ehrt… Was dem Wohnverbundleiter und der Heilpädagogin wichtig ist: „Von den Angeboten profitieren alle hier im Haus.“ Übrigens nicht nur bei den Spielen und Gesprächen, sondern auch bei den Mahlzeiten. Da kommen die Leckereien aus der Kindheit auf den Tisch: Labskaus, Arme Ritter, Mett-Igel, Hawaii-Toast. Für jeden der 16 Personen, die im Haus leben, gibt es zudem ein so genanntes Erinnerungsbuch. Mit alten Fotos, mit einem Lebenslauf, mit Vorlieben und Abneigungen, mit Hobbies, Bildern von alten Freunden. Nicht nur Margret Wagner hat eine Fortbildung zum Thema Demenz gemacht, auch hausintern gab es dazu entsprechende Angebote. „Jetzt warten wir händeringend auf Fortsetzung“, sagt Klaus Auclair. Auch, wenn es nach den ersten Veranstaltungen schon etliche Aha-Effekte gegeben habe. Schnell war klar, warum Peter K. die Spiegel zertrümmert habe. „Weil er im Spiegel einen fremden Menschen gesehen hat.“ Auf dem Bild an seiner Zimmertür hat er sich ebenfalls nicht mehr erkannt. Dort hängt jetzt ein Foto mit Schwarzwälder-Kirsch-Torte. Ein Stück Kindheit. Und ein Stück Erinnerung.
Autor:Yvonne de Mür aus Kleve |
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