Hattinger Inklusion-Gruppe unterwegs im Kreishaus
„Guten Tag, mein Name ist Sebastian, und ich bin für meine Freunde auf der Suche nach einem Busfahrplan.“ Fragen wie diesen stellen sich die Mitarbeiter der Kreisverwaltung Tag für Tag. Der Zusatz, den der Besucher des Schwelmer Kreishauses noch macht, weist dann aber doch auf eine Besonderheit hin. „Ich bin blind.“
Mitarbeiter Jürgen Tannenfels stellt das vor keine besondere Herausforderung, er geht auf Sebastian zu, um ihm den Plan direkt in die Hand zu drücken. Anschließend erklärt er ihm noch, welche Rolle der Kreis spielt, wenn es darum geht, Busse und Bahnen fahren zu lassen.
Sebastian gehört zur Hattinger Arbeitsgemeinschaft Inklusion. Zusammen mit fünf anderen Menschen mit Behinderungen testete er jetzt, wie Kreishaus und Mitarbeiter auf Besuche von ihnen vorbereitet sind. „Wir haben die Gruppe eingeladen, um zu sehen, wie gut sie ins Gebäude kommen, wie sie sich im Gebäude mit Ausschilderung, Aufzügen und Auskünften zurechtfinden und ob sie am Ende das bekommen, was sie möchten“, erläutert Patricia Riesner, Inklusionsbeauftragte der Kreisverwaltung. Hintergrund ihrer Tätigkeit ist die UN Behindertenrechtskonvention mit der sich Deutschland verpflichtet hat, „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten.“
„Erfreulicherweise können wir regelmäßig Besuchergruppen im Kreishaus begrüßen. Ihr seid aber schon etwas Besonderes. Neben einigen grundsätzlichen Informationen über den Kreis und die Arbeit der Kreisverwaltung, die es für alle Gäste gibt, stellt ihr uns auch noch auf die Probe“, so Landrat Dr. Arnim Brux bei der Begrüßung.
Die eigenen Ansprüche formulieren
Während Sebastian das Büro des Nahverkehrsexperten Tannenfels wieder verlässt, sind die anderen Mitglieder der AG mit ihren Anliegen in den Räumen der Heimaufsicht, des Rollstuhlfahrdienstes, der Katasterauskunft und beim Gesundheitsamt eingetroffen. So bunt wie ihre Wünsche sind auch ihre Handicaps. Der eine sitzt im Rollstuhl, die andere hat eine Lernschwäche, es gibt Sprachbeeinträchtigungen und Verständnisschwierigkeiten.
Die Abschlussbesprechung liefert erste Erkenntnisse. Beispiel: Beschwerdebriefkasten. „Wie soll jemand, der nicht lesen kann, seine Rückmeldung geben?“, fragt Uwe Tillmann, Leiter der Hattinger Lebenshilfe und Initiator der AG. Einfache Abhilfe könnte ein Smiley-System schaffen. „Kreuz machen, fertig“, so ein Teilnehmer. Kritisch gesehen werden auch die Drücker, die die Türen automatisch öffnen. „Sie sind zu dicht an den Türen montiert, für Rollstuhlfahrer bringt das Probleme mit sich“, hat Dominic festgestellt. Gleiches gelte für einige Büros, zu wenig Platz zum Wenden würde Rollstuhlfahrern hier geboten.
Lebhaft diskutiert wird in der Runde über die Frage, ob es Sinn macht, Wegweiser und Büroschilder mit Blindenschrift zu versehen. „Nicht jeder Blinde kann Blindenschrift. Also ist das nahe liegende nicht immer auch das richtige. Bevor man los läuft, sollte die Richtung schon gut überlegt sein“, gibt Tillmann zu bedenken. Aus anderen Aktionen dieser Art weiß er: Am Ende gibt es eine Vielzahl großer Kleinigkeiten, die die Verantwortlichen auf dem Zettel haben. „Aber längst nicht alles ist ganz schnell machbar. Es geht ja immer auch um Geld und die Frage, welche Ausgaben wofür gemacht werden sollen.“
Erfreulich für die Mehrzahl der besuchten Mitarbeiter der Kreisverwaltung: Ihre Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft war zwar kostenfrei, aber nicht umsonst.
„Wir haben uns in den meisten Fällen mit unseren Fragen und Anliegen gut angenommen gefühlt“, so die Teilnehmer übereinstimmend.
Für Tillmann haben Besuche wie der Kreishaus noch einen wichtigen, weiteren Effekt: „Die Menschen mit Behinderungen kommen in Situationen, in denen sie selbst für ihre Rechte eintreten und ihre Ansprüche formulieren müssen. Eine Herausforderung, die nicht zu unterschätzen ist und sie viel lernen lässt.“
Kurzerhand lädt Tillmann daher auch den Nahverkehrsexperten Tannensfels in die Gruppe ein, um ihm Veränderungen für den ÖPNV benennen zu können, die insbesondere blinden Menschen zugute kommen würden.
Auch für viele der Auszubildenden der Kreisverwaltung, die die Tour durch das Kreishaus begleitet haben, war der Vormittag mit Menschen mit Behinderungen eine wichtige Erfahrung.
„Aus der anfangs zu spürenden Unsicherheit wurde ganz schell Aufgeschlossenheit und Hilfsbereitschaft“, hat Riesner beobachtet.
Autor:Dr. Anja Pielorz aus Hattingen |
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