Psychisch kranke Menschen benötigen auch Hilfe im Alltag - Interview mit einer Betroffenen
Wenn die Kraft fehlt...
In unserer Pflegeserie sprechen wir heute mit Nicole B. (Name geändert) aus Ennepetal. Die zweifache Mutter kann seit einer Diagnose vor einigen Jahren ihren Alltag nicht mehr alleine bewältigen und ist auf die Hilfe von außen angewiesen.
von Janina aus dem Siepen
Wie sind Sie zum Pflegefall geworden?
Nach jahrelanger falscher Behandlung bekam ich schließlich vor ein paar Jahren die Diagnose "bipolare Störung". Seitdem bin ich auf viele verschiedene Medikamente angewiesen. Darüber hinaus bin ich mittlerweile an Diabetes erkrankt, habe Arthrose in den Knien, bereits zwei Darmverschlüsse und eine Herz-OP hinter mir. An manchen ist es so schlimm, dass ich auf den Rollstuhl angewiesen bin.
Wie fühlt es sich für Sie an, plötzlich auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein?
Am Anfang hatte ich sehr stark damit zu kämpfen. Es ist schwierig, auf einmal die alltäglichsten Dinge nicht mehr allein verrichten zu können, man hat ja schließlich auch seinen Stolz und will niemandem zur Last fallen. Mittlerweile habe ich meinen Frieden damit geschlossen und nehme meine Krankheiten so an, wie sie sind.
Wie reagiert Ihr Umfeld auf Ihre Erkrankung?
Anfangs bin ich damit ganz offen umgegangen, auch im Freundeskreis. Schnell habe ich dann aber gemerkt, dass ich für viele Menschen nur noch meine Krankheit und nicht mehr ich selbst bin. Nach unserem Umzug nach Ennepetal habe ich daher beschlossen, meinem "neuen" Freundeskreis nichts darüber zu sagen. Ich bin es einfach leid, ständig als "Psycho" abgestempelt zu werden. Das bedeutet natürlich auch, dass ich kaum noch tiefergehende soziale Kontakte pflege. Das ist mir aber ganz recht, weil es für mich oft schwer ist, Verabredungen einzuhalten oder zuverlässig zu sein.
Wie schränkt sie Ihre Erkrankung im Alltag ein und wo brauchen sie besonders Unterstützung?
Das Problem mit meiner psychischen Erkrankung ist, dass jeder Tag anders aussieht. Wenn ich in einer manischen Phase bin, räume ich an sieben verschiedenen Stellen auf und bringe nichts zu Ende. In der Depression kann ich hingegen nur im Bett liegen. Dann brauche ich besonders bei den Aufgaben im Haushalt Hilfe, weil mir die nötige Kraft fehlt, um sauber zu machen, zu kochen oder zu waschen. Ich kann aber auch nicht alleine einkaufen oder zum Arzt gehen, weil ich mit der ständigen Reizüberflutung nicht klarkomme. Hier bin ich auf die Hilfe meines Mannes, der Kinder oder Bekannter angewiesen.
Einer geregelten Arbeit nachzugehen ist dann sicher unmöglich. Wie gehen Sie damit um?
Ich bin vollberentet, habe aber seit kurzem einen Job auf Stundenbasis in einem Büro. Mit meinem Chef habe ich ganz großes Glück, denn er ist total flexibel was die Arbeitszeiten angeht. Wenn ich also merke, dass heute kein guter Tag ist, komme ich halt einfach am nächsten Tag und erledige meine Arbeit. Dass ich alleine im Büro sitze, macht es für mich noch einfacher und ich merke, dass mir die Arbeit gut tut. Auch wenn mein Chef nichts von meiner Krankheit weiß, bin ich sehr froh, dass es Menschen wie ihn gibt.
Welche Erfahrungen haben Sie im Bereich Pflege gemacht?
Das Problem mit einer bipolaren oder auch anderen psychischen Erkrankungen ist, dass man den Betroffenen nicht auf den ersten Blick ansieht, wie hilfebedürftig sie eigentlich sind. Wenn der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) rauskommt, um sich in 60 Minuten ein Bild von den Bedürfnissen des Kranken zu machen, spiegelt das in vielen Fällen einfach nicht den Alltag wieder. Ich habe leider schon öfters die Erfahrung gemacht, dass selbst die Mitarbeiter, die eigentlich in solchen Dingen geschult sein sollten, einen als "nicht so krank" abtun, denn natürlich sind psychische Probleme nicht so offensichtlich und greifbar wie zum Beispiel ein gebrochener Fuß.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den Pflegekräften gemacht?
Ich hatte vor ein paar Jahren eine Hilfskraft von der Freien Alten- und Nachbarschaftshilfe (FAN), mit der ich sehr zufrieden war und die mir eine große Hilfe im Haushalt war. Leider ging sie dann in Rente und seitdem bin ich auf der Suche nach einer neuen hauswirtschaftlichen Kraft. Da ich mir keinen Pflegedienst leisten kann, der für 37 Euro/Std. arbeitet, und private Pflegehilfen erst von der Pflegekasse abgesegnet werden müssen, stehe ich momentan gänzlich ohne Unterstützung da.
Wie bewältigen Sie dann die anfallenden Arbeiten im Haushalt zurzeit?
Ich wäre ohne die Hilfe meines Umfeldes total aufgeschmissen. Mein Mann ist mir eine große Stütze, er geht einkaufen und schmeißt den Haushalt. Durch die emotionale Belastung ist er aber mittlerweile auch krankgeschrieben. Daher wäre es gerade für Menschen wie mich wichtig, dass jemand von extern kommt und uns unter die Arme greift. Wie gesagt, das ist aber nicht so einfach und es werden einem viele Steine in den Weg gelegt.
Was müsste sich Ihrer Meinung nach in der Pflege in Zukunft ändern?
Vor allem psychische Krankheiten und der Umgang mit ihnen müssten ein größeres Feld einnehmen, denn die Zahl der Erkrankten steigt ja bekanntlich von Jahr zu Jahr. Pflegebedürftig ist man nicht nur, wenn man alt und bettlägerig ist, sondern auch, wenn man wie ich eine bipolare Störung, eine Schizophrenie oder andere Erkrankungen hat. Pflegekräfte sollten dahingehend meiner Meinung nach besonders geschult werden. Außerdem wäre es für die Bewertung durch den MDK wichtig, dass man sich den Betroffenen im Alltag anschaut und nicht nur in einer Stunde. So bekommt man doch ein viel genaueres Bild von seinen Bedürfnisse und Ansprüchen. Die anderen Teile der verlagsweiten Serie finden Sie online unter www.lokalkompass.de/tag/pflege-2019 Patient "Pflege"
Autor:Nina Sikora aus Essen |
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