Eine Gutenachtgeschichte für alle Kinder in der Trotz- und Wutzeit
Der Zornteufel

Der Zornteufel

Für meine Enkel

Eine Geschichte von Barbara Kando

Es war ein schöner Samstagmorgen im April und die Großmutter stand in der Küche und schnippelte zunächst das Fleisch in kleine Stücke, danach das Gemüse. Auf dem Herd köchelte schon ein großer Topf mit Reis und sie freute sich auf den Besuch ihrer Enkelsöhne Jan und Tim.
Der große Jan ging schon zur Schule, während der jüngere Tim die letzte Gruppe des Kindergartens besuchte.
Nachdem die Oma alle Zutaten in der großen Bratpfanne angeröstet und die Soße dazu angerührt hatte, streckte sie ihren Rücken, denn das Stehen machte ihr mit ihren 75 Jahren schon etwas Mühe. Obwohl ihre Haare noch nicht grau waren sah man ihr das Alter beim Laufen schon an, denn sie brauchte beim Spazierengehen einen Stock und konnte sich auch nicht mehr so gut bücken. Aber ihre Augen lachten immer fröhlich und wenn sie ihre Enkel umarmte, so fühlte sie sich mollig weich und warm an. Jetzt wartete sie auf die Jungs, die auch schon bald wie verabredet den Gartenweg entlang stürmten und lauthals schellten. Der Opa öffnete wie immer die Haustür und begrüßte die beiden Lausbuben, die anschliessend in die Küche stürmten, die Oma umarmten und voller Vorfreude riefen:“ Wir haben Hunger, Oma!“ Diese deckte schnell den Tisch und füllte die Teller mit Reis und Gulasch. Da rief Jan: “Ich möchte aber nur Fleisch, Champignons und Soße und kein Gemüse!“ Doch die Oma hatte schon seinen Teller gefüllt und es schwammen auch ein paar Stückchen Gemüse mit in der Soße. Sie sagte ruhig, dass er ja das Gemüse beiseite schieben könne, aber Jan fing an zu heulen und schrie voller Wut:“ Ich will kein Gemüse!“ Dann rannte er laut schreiend in das Schlafzimmer und hockte sich hinter Oma’s Bett. Von dort hörte man sein Gebrüll fast bis auf die Strasse und die ganze Familie hatte keinen richtigen Appetit mehr. Tim aß ein paar Löffelchen Reis und meinte dann, dass er satt sei und auch der Opa aß lustlos seinen Teller leer und verkroch sich in sein Zimmer zum Ausruhen. Die ganze Zeit aber war das zornige Gebrüll von Jan zu hören, obwohl ihm die Oma schon nach den ersten 5 Minuten ruhig erklärt hatte, dass sie das Gemüse entfernt hätte. Aber Jan wollte nicht aufhören zu schreien wie ein ganz kleines Kind. Er hatte inzwischen einen hochroten Kopf und ganz verschwollene Augen.
Nachdem auch die Oma ihren Teller leer gegessen hatte, ging sie zu dem kleinen Zornteufel und wollte ihn zur Ruhe bringen. Der aber hörte keine Minute auf sie und fing an um sich zu schlagen. Dabei tobte er durch das Schlafzimmer und kam bis zur Tür, die einen Glaseinsatz hatte. In seinem Zorn schlug und trat er auch gegen die Tür und plötzlich brach die Scheibe und ein großer Glassplitter verletzte den Jungen am rechten Unterarm. Vor Schreck hörte Jan auf zu brüllen bevor er ganz jämmerlich zu weinen anfing, als er sah, wie das Blut den Arm runterlief und auf den Teppichboden tropfte. „ Oma, Oma, schau, ich blute!“ Dicke Tränen liefen jetzt über seine Bäckchen als er sich in Oma’s Arme drückte. Inzwischen war auch der Opa herbei gekommen. Auch er hatte einen Schreck bekommen, aber er behielt einen kühlen Kopf und führte seinen Enkel in das Badezimmer. Dort hielt er den Arm über das Waschbecken und besah sich die Verletzung. Mit einer Pinzette holte er noch einen Splitter aus der Wunde, drückte sauberen Verbandsmull darauf und wickelte einen kleinen Verband darum, den er feste andrückte um die Blutung zu stoppen. Dann sagte er ernst zu dem Jungen: „Siehst du jetzt, was passieren kann, wenn du dein Zornteufelchen so groß werden lässt? Jetzt muss ich dich mit der Oma in die Notaufnahme bringen, damit ein Doktor die Wunde näht und es aufhört zu bluten.“
Jan schluchzte leise weiter, klammerte sich an die Hand seiner Oma und fragte leise: „Oma, ich habe Angst, lass mich nicht alleine!“ Die Oma strich ihm über den Kopf und versprach ihm: “Nein, mein Junge, ich bleibe die ganze Zeit bei dir. Aber du musst jetzt aufhören zu weinen und gut aufpassen, was wir dir sagen!“ Jan nickte und stieg mit der Oma in das Auto, das der Opa vor die Haustür gefahren hatte.
Gott sei Dank war das Krankenhaus nicht weit entfernt und die Notaufnahme war an diesem Mittag ganz leer. Eine junge Schwester kam und wollte Jan mitnehmen, aber der liess nicht die Hand von seiner Großmutter los und so durfte sie mitgehen. Jan musste sich auf eine Liege legen und der Doktor machte den Verband vom Opa von seinem Arm ab. Er lobte die gute Erstversorgung und fragte dann den Jungen, wie es zu dem Unfall gekommen sei. Da schämte sich Jan ganz schrecklich als er erzählen musste, wie groß sein Wutanfall gewesen war.
Der Doktor schüttelte nur den Kopf und sagte dann: „Ich gebe dir jetzt eine kleine Spritze, damit du keine Angst und keine Schmerzen hast, wenn ich den Schnitt fein nähe. Schließlich soll da ja keine große Narbe hinterher zu sehen sein und du bist doch groß genug, um eine kleine Sekunde tapfer zu sein. Dafür darf auch deine Oma hier bleiben und dir dabei helfen, einverstanden?“ Jan nickte und kniff die Augen ganz feste zu und drehte den Kopf zur Oma. Die hielt seine gesunde Hand und murmelte beruhigend auf ihn ein: „Ich bin bei dir und bald ist alles überstanden, mein Junge. Du bist doch groß und tapfer und morgen kannst du alles deinen Freunden erzählen!“ Jan liess sich trösten und zuckte nur einmal kurz zusammen als er die Spritze fühlte. Dann fielen ihm auch schon die Augen zu und der Doktor konnte den glatten Schnitt in aller Ruhe nähen und einen schönen neuen Verband anlegen. Danach dauerte es noch eine halbe Stunde bis Jan die Augen wieder öffnete und fragte: “Wann fängt der Doktor denn an?“ Da musste die Oma lachen und erklärte ihm, dass er jetzt aufstehen dürfe und sie mit dem Opa wieder nach Hause fahren würden. Erleichtert stahl sich ein kleines Lächeln auf Jan’s Gesicht und er betrachtete stolz den dicken Verband an seinem Arm. Sehr höflich bedankte er sich bei dem Doktor und versprach ihm, das nächste Mal vorsichtiger mit seinem Zornteufel umzugehen.
Kaum kamen sie bei Opa’s Haus an da sagte Jan: „Oma, ich habe jetzt aber ganz schrecklich Hunger!“ und vertilgte einen großen Teller voller Reis mit Gulasch, ohne Gemüse. Sein kleiner Bruder Tim saß daneben und freute sich, dass Jan wieder munter und das Riesentheater vorbei war. Nach dem Essen setzte sich die Oma mit ihren beiden Jungs auf die Couch und sagte ganz ernst zu ihnen: “Heute habt ihr einmal gesehen, was so ein Zornteufel anstellen kann, wenn man es nicht lernt mit ihm umzugehen. Auch ich bin manchmal zornig und wütend, aber dann hole ich ganz tief Luft und sage mir: Im Zorn mache ich nur Fehler und es hilft keinem. Das müssen auch Kinder lernen, sonst werden sie nie richtig groß und vernünftig. Wenn ihr also noch einmal wütend seid, weil ihr nicht euren Willen bekommt, dann denkt daran, dass der liebe Gott euch einen Mund zum Reden gegeben hat. Holt wie ich tief Luft und sagt, was euch stört oder was anders laufen sollte. Dann hört euer Gegenüber auch zu und ihr könnt euch in Ruhe einigen. Das geht ganz ohne Geschrei und Gebrüll und ihr könnt dabei zeigen, wie vernünftig ihr seid! Der Zornteufel aber wird immer kleiner werden und zum Schluss ganz verschwinden.“ Da meinte Jan: „Oma, ich will auch eigentlich nicht immer so zornig sein und jetzt weiss ich ja, was alles passieren kann. Weisst du was? Wir beide machen ein geheimes Wort aus und immer, wenn du merkst, dass ich den Zornteufel wieder in meinen Bauch lasse, dann sagst du ganz laut ’stopp den Zornteufel!’ Und dann höre ich auf dich und schrei nicht weiter und wir können reden.“ Daraufhin strahlte die Oma und sie drückte ihre beiden Enkel noch einmal ganz feste an sich und versprach ihnen, dass sie dieses Zauberwort nicht vergessen würde. Zum Schluss bekamen die Jungs ein Eis und bedankten sich auch beim Opa für seine Hilfe. Die Narbe am Arm blieb und erinnerte Jan noch lange an den bösen Zornteufel!

Autor:

Barbara Kando aus Schwelm

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