Die Gesellschaft braucht eine Perspektive ...
Welchen Preis sind wir bereit zu zahlen?

Ein Kommentar von Stephan Leifeld 

Die Meldungen und Äußerungen zum alltäglichen Thema Corona überschlagen sich. Die nationale Akademie der Wissenschaften, in Deutschland bekannt unter dem Namen Leopoldina, legt seit Montag eine neue Adhoc-Stellungnahme zum Thema Coronavirus-Pandemie vor. Gleichzeitig stoppt der US-Präsident Trump die Zahlungen an die WHO, weil diese aus seiner Sicht, zu "China-freundlich" wären. Unter dem Aspekt, dass derselbe Trump noch vor wenigen Wochen die Politik der Chinesen in der Corona-Krise lobte, ein interessanter Salto Mortale - womöglich dem anstehenden Wahlkampf geschuldet. Schließlich sind immer weniger Amerikaner mit seinem Krisenmanagement zufrieden - und die Umfragewerte eines Biden steigen. Österreich will die Maßnahmen lockern, während in Asien Zahlen bekannt werden, von weitaus mehr Corona-Todesopfern - und auch -Rückfällen. Offenbar sucht die ganze Welt nach einer Perspektive aus dem Chaos. 

Und hier in Deutschland? Scheint es auch nicht besser. Man könnte meinen, der Kanzlerwahlkampf hat bereits begonnen. "Mutti" hat wohl wieder gepunktet in der Wählergunst, meinen die Umfrageinstitute, obwohl die Möchtegern-Nachfolger in der Union die eigentlich schon auf Abschiedstournee wähnten. Da prescht ein Laschet nach vorne - direkt hinter ihm die zuständige NRW-Ministerin Gebauer - die Schulen nach den Osterferien wieder aufmachen zu wollen. Söder aus Bayern lässt verlauten, bis zum Sommer "abwarten" zu wollen. Heute im Radio konnte ich deutlich hören, dass es ab Mai wieder alles schrittweise losgehen soll...

Die aktuelle Stellungnahme der Leopoldina besagt allerdings deutlich, dass trotz aller Nebenwirkungen wirtschaftlicher und psychologischer Art, doch erst einmal die Bekämpfung und Eindämmung des Virus oberste Priorität haben muss:

gelte es nun, über die akuten Einschränkungen zentraler Grundrechte (wie der Bewegungsfreiheit) hinaus zu gehen und Kriterien und Strategien für die allmähliche Rückkehr in die Normalität zu entwickeln. Voraussetzung für eine solche allmähliche Lockerung sei, so die Stellungnahme, dass sich die Neuinfektionen auf einem niedrigen Niveau stabilisieren, das Gesundheitssystem nicht überlastet wird, Infizierte zunehmend identifiziert werden und die Schutzmaßnahmen (Hygienemaßnahmen, Mund-Nasen-Schutz, Distanzregeln) eingehalten werden.

Absichtlich habe ich diese Textpassage aus der Studie zitiert, weil sie sprachlich doch erneut mehrere Hürden aufzeigt. Einerseits sprangen die Politiker seinerzeit im absoluten Informationschaos vor Wochen bedenkenlos über diese thematischen Hürden, um im Handumdrehen Grundrechte einzuschränken. Das war sicher unüberlegt und auch der Situation geschuldet, weshalb ich darauf nicht weiter eingehen will - was man da alles versäumt hat. Es war vermutlich gut gemeint, was nicht immer auch gut gemacht ist, wie man weiß. 

Nun aber - nur weil beispielsweise Teile der Wirtschaft jammern, die AfD meckert - und andere völlig ratlos sind - einen ebenso schnellen Rückzieher von den Schutzmaßnahmen zu machen, halte ich für ein Wagnis, dessen Preis höher sein könnte, als für die weltletzte Rolle Toilettenpapier. 

Schließlich frage ich mich in diesen Tagen, welche Wirtschaft tatsächlich akute Probleme hat. Das sind nämlich die Gastronomen, die kleinen Läden, die Mittelständler, Geschäfte des NICHT-täglichen Bedarfs, Freiberufler, und viele andere, die sich aus meiner Sicht, momentan sehr diszipliniert verhalten. Ich könnte auch jammern, wie ich in einem anderen Text schon erläutert habe, erfreue mich aber bester Gesundheit, was ich für immens wichtig halte. 

Es gilt meines Erachtens noch immer die Maxime, das Gesundheitssystem nicht zu sehr zu belasten. Wir könnten die Zeit momentan nutzen, einmal mit Spahn (auch ein Wettbewerber um die Kanzlerschaft, wenn auch im Tandem mit Laschet) und Co zu bereden, warum die noch vor Corona das angespannte System noch weiter abbauen wollten. Und ob sie das wieder anfangen, wenn wir nach Corona mit einem blauen Auge davon gekommen sind. Das verstehe ich unter perspektivisch denken. Unsere Gesellschaft hat aktuell die Chance, weltweit darüber nachzudenken, ob wir uns weiter auf diversen "Feldern" bekämpfen wollen - oder nicht gemeinsame Sache gegen einen gemeinsamen Feind machen wollen. 

Mit diversen Feldern meine ich zum Einen die Wirtschaft. Zum Anderen den Boden und die Ressourcen. Dann die Zeit und die Kultur. 

Wenn auf der gesamten Welt klar geworden ist, dass das Leben auch bei einer Vollbremsung von Wirtschaft weitergehen muss, ist noch etwas klar geworden. Wir Menschen sind keine Ameisen. Wir können ein Leben führen, ohne tägliche Erwerbstätigkeit. Auch wenn bisher die meisten Lebensläufe eher geradeaus gelaufen sind. Corona hat uns gezeigt, was Greta, Kyrill und Jesus nicht gelungen ist:

Es gibt ein Leben vor dem Tod. 

Ich bleibe dabei, die Wirtschaft besser nicht zum Maß aller Dinge zu erheben. Weder im Staatsmonopolkapitalismus der früheren Ostblock-Staaten ist das gut gegangen. Noch wird es ein gutes Ende nehmen, wenn der Westen das nicht kapiert. Unser Leben ist mehr wert, als Geld kaufen kann.

Die Einführung eines globalen und bedingungslosen Grundeinkommens halte ich für unabdinglich. Wir müssen als Gesellschaft dieses Planeten endlich aufhören, Geld vermehren zu wollen auf den Konten weniger. Das kommt nämlich der Austrocknung eines Sumpfes gleich. Immer weniger Leute besitzen mehr Geld - während im Umkehrschluss - immer mehr Leute immer weniger besitzen. Das zeigt Corona auch. Amazon hat es gut. War Bezos vor der Krise 2018 schon mit über 160 Milliarden Dollar unmoralisch reich, dürfte der beim momentanen Lauf der Welt, vor Lachen kaum in den Schlaf kommen. Da sind sicher andere Zahlen im Spiel, als nur 700% Umsatzsteigerung, wie beim Verkauf von Toilettenpapier. 

Ich denke, dass es nicht gottgegeben ist, Boden zu besitzen. Auch ein Virus macht nicht an Ländergrenzen halt. So zeigt uns m.E. die Natur, dass der Besitz und Erwerb von Boden eigentlich nicht richtig ist. Sondern eine vorübergehende Erscheinung in der Geschichte unserer Spezies. Sollte ein Virus mal stärker sein, als unsere gesamte Art, hätten wir es sehen können - was der Volksmund schon weiß, "wenn das letzte Hemd keine Taschen hat". So ist es auch mit dem Besitz von Boden. Nicht einmal die Eigentumsverhältnisse von dem Land, was man auf den Sarg geworfen bekommt, sind dann noch wirklich wichtig. 

Der sogenannte NATO-Freund und Bündnispartner USA hat weltweit Zugriff auf Ressourcen und Artikel, wie seinerzeit die frühen Kolonialmächte. Auch das gefällt mir nicht, was mir besonders in Zeiten von Corona aufgefallen ist. Sehr gerne möchte ich diese Zeit nutzen, ernsthaft die Bündnisfrage zu stellen. Wollen wir wirklich mit einem Partner planen, der im Krisenfall die Produktion von Präventiv-Artikeln abfangen kann - und gleichzeitig politisch opportun findet, Rechnungen z.B. gegenüber WHO einfach nicht zu begleichen?

Ich bin insgesamt eher bereit, Einschränkungen in finanzieller Hinsicht zu akzeptieren, obwohl meine Familie sicher nicht "reich" im wirtschaftlichen Sinne ist. Wenn alle gesund sind, meine Kinder aufwachsen, ohne Krieg; würde mich das glücklich machen. Und die Frage, warum ich den anderen Kanzlerkandidaten hinter Merkel nicht benannt habe, kann ich klar beantworten: März ist vorbei. Wir haben April... und aus meiner Sicht sollten die Kommunalwahlen NRW ebenso verschoben werden - wie wir auch grundsätzlich jeden Schritt zurück in die sogenannte Normalität überlegen sollten. Sind es Rückschritte in eine Gesellschaft, die wir dank Corona verlassen haben? Dann gehen wir andere Schritte nach vorne, bitte schön. Oder gehen wir - mit einer entwickelten Perspektive - bewusst nach vorne, in eine Zeit, die noch weitere Pandemien und Aufgaben bereithalten wird, dann bitte schön - gut überlegt. Eile mit Weile...

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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