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WARUM SONNEBERG KEIN EINZELFALL BLEIBT

Meinung von Stephan Leifeld

Es war wohl um das Jahr 1945, als Scharen von außerirdischen Flugobjekten, eine beinahe ebenso große Schar an Schergen von Hitler-Deutschland ins All entführen konnte. Vielleicht waren es auch vom Vatikan finanzierte U-Boote mit Ziel auf Latein-Amerika. Argentinien, Chile und andere südamerikanische Gebiete boten „Zuflucht“ einigen Deutschen, die zuvor anderen Menschen keine Zuflucht ließen. Genau werden wir das wohl niemals erfahren… Jedenfalls gefielen sich die etwas später gegründeten beiden Deutschen Staaten darin, sich insgesamt selbst als „entnazifiziert“ zu betrachten. Hitler hatte „Das“ quasi ganz alleine getan. Niemand wusste „was“ oder konnte „es“ irgendwie verhindern… Die Zeit blieb beinahe stehen, zwischen 45 und 49. Doch dann: Hüben wie drüben wurden Rechtsanwälte, Richter und Offiziere ebenso notwendig gebraucht, wie Lehrer oder Polizisten. Man griff also ganz pragmatisch nach einer kurzen Zeit der Scham, wieder auf die entsprechenden Fachkräfte zurück, die Ende der 30er Jahre und Anfang der 40er Jahre ausgebildet worden waren…

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Unlängst ziemlich in der Mitte dieser Republik hat es Landratswahlen gegeben. Zwischen rechts-konservativ und rechtskonservativ, möglicherweise zwei konkurrierende Rechtsanwälte. In Thüringen sollen sich nun über 55% der Wahlberechtigten für Sesselmann entschieden haben. Nun scheint die Medienlandschaft regelrecht geschockt und tut zumindest überrascht. Dabei deutete sich diese Entwicklung m.E. schon lange an - und ich fürchte, dass diese Klientel nun nur den ersten Fuß in die Tür bekommen hat, eine ordentliche Demokratie quasi „aus den Angeln heben“ zu können. Heute noch konnte man im Radio hören, in denselben Nachrichten, dass Gewalttaten aus dem rechtem Spektrum weiter zugenommen haben und eine Nachricht weiter, dass Judenwitze irgendwie wieder „salonfähig“ geworden sind. Dabei wollte man in den 80er Jahren mit der Steigerung „Türkenwitz, Judenwitz, Ausschwitz“ das Thema doch sprachlich erledigt haben. Neun Jahre vor dem Mauerfall… 

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Es war zunächst noch einigermaßen derber Humor, im besten Fall, wenn Opa Heinrich beim Spalier der Schützen, statt dem Holzgewehr den rechten Arm zum Gruß erhob, Anfang der 50er Jahre in Deutschland. Die Hemden der Kinder am Lagerfeuer auf der „anderen Seite“ waren blau, um zumindest in diesem Punkt völlig von der Hitlerjugend unterscheidbar zu sein. Beiden Seiten ist es wichtig gewesen, militärischen Bündnissen beizutreten. Das schien den meisten Menschen zunächst vernünftig, wie wenn Schafe einen Leitbock brauchen. Gerade der östliche Teil des später wiedervereinigten Deutschlands hat bis Ende der 80er Jahre hinter der Mauer diesen Leitfiguren, wie Honecker folgen müssen. Interessant ist dabei auch das Detail, dass auch von dieser Elite einige eher Süd-Amerika als Exil wählen konnten, statt mit einer Rakete ins All geschossen zu werden.

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Das hat mich auf die Idee gebracht, warum das alles eigentlich möglich ist: Ich meine, ein totalitäres Regime, z.B. Nationalsozialismus und nationaler Sozialismus. Dabei kam mir eine interessante These aus den 60er Jahren wieder in den Sinn, von der ich mal was gelesen hatte. Eine These von dem Psychologen Stanley Milgram. Demnach haben nur 20% der Menschen kritisches Denkvermögen.

Das sogenannte „Milgram-Experiment“ ist ein erstmals 1961 in New Haven durchgeführtes psychologisches Experiment. Der Psychologe Stanley Milgram hatte ein Verfahren entwickelt, um die Bereitschaft durchschnittlicher Personen zu testen, autoritären Anweisungen auch dann Folge zu leisten, wenn sie in direktem Widerspruch zu ihrem Gewissen stehen. Der Hauptteil in diesem Versuch bestand darin, dass ein „Lehrer“ nach Anweisungen eines „Versuchsleiters“ einem „Schüler“ bei Fehlern elektrische Schläge versetzen und deren Intensität nach jedem weiteren Fehler steigern sollte. Dabei waren die „Versuchsleiter“ und die „Schüler“ lediglich Schauspieler und die Stromschläge erfolgten auch nicht real. Dies ist den „Lehrern“, als eigentlichen Versuchspersonen jedoch nicht kommuniziert worden, so dass sie davon ausgehen mussten, den „Schülern“ echte Schmerzen zuzufügen. Die meisten „Lehrer“ (männlich und weiblich) haben das auch getan!

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Zehn Jahre nach ihrer Gründung stellt die AfD zum ersten Mal einen Landrat: Robert Sesselmann steht künftig im thüringischen Sonneberg an der Spitze der Verwaltung. Auch der Polizei. Es ist eine Zäsur in der deutschen Politiklandschaft. Zum ersten Mal hat die rechte sogenannte „Alternative für Deutschland“ (AfD) eine Landratswahl und damit auch Regierungsverantwortung gewonnen. Im Landkreis Sonneberg im südlichen Thüringen konnte sich AfD-Mann Robert Sesselmann gegen seinen CDU-Konkurrenten durchsetzen. Bei der Wahlparty gab sich die Parteiprominenz die Ehre: Der Faschist und Vorsitzende der Landespartei Björn Höcke war zugegen, ebenso wie AfD-Chef Tino Chrupalla. Die sozialen Medien waren tagelang zuvor mit Kampagnen übersät, dass nun „esREICHt-Wutbürger“ zur Wahl aufgerufen sind. Das Ergebnis stellt hier möglicherweise eine Lehrstunde dar, für die Scholz-Habeck-Faesers im Deutschen Bundestag - und zeigt einmal mehr, wie beim Verbotsdebakel in Sachen NPD, dass nur echte, ehrliche und visionäre Politik - wie zu Zeiten von Willy Brandt - einen Weg aus der rechten Sackgasse zeigen könnte, als eine zynische Verbotspolitik, die kaum noch kommunizierbar ist, geschweige denn verständlich wäre. 

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Das Milgram-Experiment sollte ursprünglich wissenschaftlich dazu dienen, Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus sozialpsychologisch zu erklären. Dazu sollte die „Germans-are-different“-These geprüft werden, die davon ausging, dass die Deutschen einen besonders obrigkeitshörigen Charakter haben würden. Nach den ersten Ergebnissen der Untersuchung in New Haven schien dies jedoch nicht mehr notwendig, weil die Untersuchung in ihrem Aufbau wesentlich grundsätzlicher angelegt war. Die Schauspieler und Probanden waren auch keine Deutschen, sondern Amerikaner aus allen Teilen der Gesellschaft. Milgram erhielt für diese Arbeit noch 1964 den jährlich vergebenen Preis der „American Association for the Advancement of Science“ in der Kategorie Sozialpsychologie. Auf der anderen Seite führte es jedoch dazu, dass die „American Psychological Association“ Milgram wegen dieses Experimentes für ein Jahr ausgeschlossen hat. Ein Kritiker dieser Vereinigung hatte ihm in der Zeitschrift „American Psychologist“ vorgeworfen, ein „traumatisierendes“ Experiment vorgenommen zu haben, das „potenziell schädlich“ für die Versuchspersonen sei. Das Ergebnis war plötzlich nicht mehr so wichtig, wie die Methode. …Vor allem wegen dieser Kritik, die auch von zahlreichen anderen Fachleuten geäußert wurde, verweigerte die Harvard University dem hochqualifizierten Milgram später eine Anstellung.

Milgram äußert sich später dazu nochmals, unter anderem als öffentliche Reaktion auf das 1963 in New York erschienene Werk der politischen Theoretikerin Hannah Arendt, zu der berühmten Verschleppung von SS-Verbrecher Eichmann nach Jerusalem. Arendt nennt ihr Werk „Ein Bericht von der Banalität des Bösen“. Dieses Konzept der Banalität des Bösen, so argumentiert Milgram dazu, komme der Wahrheit sehr nahe. Die fundamentalste Erkenntnis seiner Untersuchung sei nämlich, dass ganz gewöhnliche Menschen, die nur ihre Aufgabe erfüllten und keinerlei persönliche Feindschaft empfinden, zu Handlungen in einem Vernichtungsprozess veranlasst werden können. Das hat mich nochmals schwer beeindruckt, das zu lesen. In dieser Klarheit. 

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Für die politische Elite in diesem unserem Land heißt das aus meiner Sicht: weniger Rechtsanwälte in den Parlamenten - und mehr Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft - sollten keine verklausulierte Politik mehr machen, sondern - wie Willy Brandt gesagt haben soll - eine einfache und verständliche Politik machen, oder sich zum Teufel scheren - und zudem auch damit anfangen, ihre Menschen mitzunehmen, in die Zukunft - über eine transparent kommunizierte Gegenwart. 

Sonneberg wird deshalb kein Einzelfall bleiben, weil die meisten Menschen nicht absichtlich Ausländerfeindlich sind, die meisten Menschen nicht absichtlich Reichsbürger-Theorien folgen, die meisten Menschen nicht absichtlich Gewalt gegen Frauen und Minderheiten gut finden. Es ist die persönliche Situation, in der die meisten Menschen sich alleine gelassen fühlen, um dann leichter falsche Entscheidungen treffen zu können. Sonneberg beweist mit dem Wahlergebnis, was Milgram schon mit dem Experiment belegt hat: die sogenannten „Versuchsleiter“ könnten das Problem sein.

Deshalb nutzt es der CDU auch nichts, wenn ihr Vorsitzender - meines Wissens, Rechtsanwalt und Millionär - Friedrich Merz, „Weisheiten“ propagiert, die den Lebenswirklichkeiten der meisten Menschen fern sind - und zudem rhetorische Steilvorlagen für rechtsradikale Politik darstellen können. 
Wenn die Menschen nämlich das Gefühl haben, dass die Politik gegen sie gegen sie gemacht wird, werden dieselben Menschen etwas gegen die Politik machen - was diese Leute scharenweise in die Arme von Populisten und Despoten treibt, wie die Geschichte zeigt. 

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Dabei zeigt gerade auch Social Media, wie sehr Milgram auch in diesen Tagen „seine“ Probanden finden würde. Die „Gesellschaft der Menschen die an die Erde als eine flache Scheibe glauben“ ist stolz, auf Facebook posten zu können, nun auf dem gesamten Globus vertreten zu sein… 

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Dummheit könnte tatsächlich die gefährlichste Basis für das Böse sein. So banal das klingt. Deshalb bin ich für Aufklärung und nicht für Verbote.

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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