Eher Salto-Mortale als Zeitenwende
WARUM AUFRÜSTUNG DIE NIEDERLAGE VERMUTLICH NUR DRAMATISCH VERZÖGERT

Kriegerdenkmal zum Korea-Krieg | Foto: Pixabay

Meinung von Stephan Leifeld

Im Augenblick ist es nicht gesellschaftsfähig, großartig anders zu denken, als es einer lautstarken, scheinbaren Mehrheit gefällt. Schnell wird man in eine Schublade gepackt, „entfreundet“ in den vorgeblich Sozialen Medien, oder sogar nach Jahrzehnten aus einer Partei ausgeschlossen, obwohl die Haare immer noch ungetönt geblieben sind. Die ganze Welt ist nun blau und gelb. So scheint es jedenfalls. Dem mutmaßlichen Underdog zwischen Russland und Polen werden Zugeständnisse gemacht, die mich manchmal staunen lassen, ob es auf der Welt zwei Klassen von Kriegsflüchtenden geben könnte. Außerdem soll eine in der Zukunft modern aufgerüstete Bundeswehr wieder Heilsbringer sein. Heil, …hmm. 

Meine bisherigen Texte haben sicher das Geheimnis bereits gelüftet: Ich bin gegen den Krieg.

Allerdings bin ich damit auch gegen Kriege sonst wo in der Welt. Dafür muss ich nicht an einem Wochenende einen Ausflug „dorthin“ machen können, um mir auch ausmalen zu können, dass Menschen überall in Frieden leben möchten. Es markiert nämlich keine Zeitenwende, wenn noch im November 2021 -  an der EU-Außengrenze Menschen mit Stacheldraht und Wasserwerfer, Gummigeschossen und Schlagstöcken, vertrieben werden, dasselbe Staatenbündnis drei Monate später auf „Gastgeber des Jahres“ macht. Es hat andere Gründe.

Im Radio war heute auch zu hören, dass die flüchtenden Menschen aus der Ukraine nun unbürokratisch bis zu drei Jahren hier in Deutschland leben dürfen. Dafür wird ein Sonderrecht reaktiviert. Es ist dabei dann nicht erheblich, dass die Geflüchteten durch ein sicheres Drittland (Polen) gekommen sind. Das kann ich menschlich sehr gut nachvollziehen - und, bevor sich jemand hier künstlich aufregen möchte - ich bin dafür. 

Mein gedankliches Aber kommt nun, wenn ich mich frage, ob wir einen „humanitären Rassismus“ an den Tag legen, wenn Kriegsopfer - die von einem Despoten in Minsk instrumentalisiert werden - gewaltsam verjagt werden, weil sie weder farblos sind noch irgendeiner christlichen Weltanschauung angehören. Tatsächlich hätte man doch ebenso die Familien im letzten Winter aufnehmen und gleich behandeln können. Mir ist nämlich nicht bekannt, dass es gerechte Kriege gibt. Deshalb ist mir Herkunft und Hautfarbe der Kriegsopfer jedes Mal völlig egal. 

Dann wird im EU-Parlament jemand „gefeiert“, der seinen klaren Willen formuliert, am liebsten schon gestern mit seiner Nation, gleichberechtigtes Mitglied der europäischen Union zu sein. Die USA und die gesamte Menschheit werden aufgefordert, den Luftraum der Ukraine gegen Russland zu verteidigen. Freiwillige Söldner aus der ganzen Welt werden eingeladen und „unsere“ Medien teilen das mit großem Einsatz (von Steuergeldern). Die sogenannte Ampelkoalition folgt den Rüstungsbefürwortern, liefert Waffen an und in die Ukraine - ohne dabei zu bedenken, dass damit bereits die angeblich neutrale Haltung aufgegeben wurde. Als gäbe es einen gerechten Krieg, denn man „befeuern“ müsste, um seine tödliche Glut für weitere politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu nutzen… Dabei ist vermutlich nur der Tod gerecht, wenn alle Menschen „genommen“ werden, unabhängig von Nation, Einkommen und Geschlecht.

An der EU-Außengrenze erlauben wir in diesen Tagen, als scheinbar „Besser-Zivilisierte“, dass unser Möchtegern-Mitglied gewaltsam Familien auseinander reißen kann, die es bis dahin geschafft haben, aus den umkämpften Gebieten ihres Landes zu flüchten. Weil auch die Emanzipation nur diesseits der Grenze wichtig ist, wird sprachlich nur in Nebensätzen erwähnt, wenn z.B. ein 22jähriger von Eltern und Geschwistern getrennt wird, damit er seine „patriotische Pflicht“ erfüllt (in dem er dann womöglich als Zivilist auf der ukrainischen Sterbeliste verewigt wird). Ich bin zutiefst erschüttert. Eine in Nürnberg lebende Familie aus der Ukraine, wurde laut Pressenotizen, noch im letzten Jahr zurück in die Heimat geschickt, um nun ohne Vater wieder da zu sein. Ironie des Schicksals sieht anders aus. Eher nannte man so etwas früher, „Trick 17 - Selbstverarschung“, was die Qualität unserer Entwicklungs- und Außenpolitik angeht. Neben Kriegsgerät wird also auch Manpower frisch nachgeliefert, damit „es“ weitergehen kann. 

Als Vater von Töchtern UND Söhnen, will ich auf keinen Fall meine Kinder überleben.

Meine Kinder sollen weder für eine Währung, für eine Grenze oder eine Nation, zu einem ansonsten sinnlosen Sterben geführt werden. Täglich gehen russische und ukrainische Menschen, mit dem Potential eines jungen Lebens, wie die Lämmer zur Schlachtbank. Das macht mich ganz traurig und wütend, gleichermaßen. Daher markiert die aktuelle politische Kapitulation unserer politischen Führung in Deutschland keine Zeitenwende. Sie ist das Ergebnis desaströsen Versagens der Merkel-Ära. Deutschland sollte keine Waffen liefern, sondern als Vermittler glänzen, zwischen Selenskyj und Putin. (Herr Scholz, dass ist unsere „verdammte Pflicht“. Ein anderer Bundeskanzler aus Hamburg stammend, soll Verhandlungen jedem Schuss Pulver vorgezogen haben, wird er in diesen Tagen viel zitiert. Aber der war vermutlich auch nie in dubiose Geldgeschäfte verstrickt…)

Es war dabei nicht einmal Donald Trump, der die glorreiche Idee gehabt hätte, ein NATO-Mitgliedsstaat müsse mindestens zwei Prozent vom Brutto-Inlands-Produkt in die Aufrüstung der eigenen Armee investieren. Es waren tatsächlich der damalige Verteidigungsminister Struck und der Außenminister Steinmeier (den viele für einen so tollen Politiker halten, weil er die Rhetorik warmer Worte als Bundespräsident beherrscht). Man hatte gleichermaßen im Kalkül die baltischen Staaten (ehemaliger Deutscher Ritterorden!) in die NATO aufzunehmen, um gleichzeitig dort strategisch mehr Gewicht zu Russland aufzubauen. Das war lange vor dem Einmarsch der Russen auf die Halbinsel Krim, wird in Chroniken des aktuellen Krieges aber gerne „vergessen“. Seit 1999 „dreht“ das sogenannte Verteidigungsbündnis die Weltordnung, in dem Staaten des ehemaligen Warschauer Pakts, ins westliche Bündnis kommen. Dabei übersieht man bei guter Rohstofflage und geostrategischem Nutzen, wie demokratisch die „Partner“ denn so sind. Einig ist man sich im Feindbild des grundsätzlich „bösen Russen“. Der ist nun aktuell auch so dumm und ist mit einem Fuß in die „Bärenfalle“ reingegangen. 

Am Hindukusch und sonst wo, hat die Bundeswehr Stellung beziehen dürfen. Gleichzeitig wurde sie zuhause wohl nicht mehr ordentlich gepflegt. Aber, wer ernsthaft denkt, eine aufgerüstete Bundeswehr könnte mit einem „Kaltstart“ die EU gegen Russland verteidigen helfen, liest wohl meist die BILD. Es war und ist gut, dass die Bundeswehr seit Gründung niemals annähernd ausgebaut worden ist, wie die Wehrmacht zuvor. Gerade wir Deutschen hätten vielleicht auch einer Entmilitarisierung der 1989 geöffneten DDR zustimmen sollen. Aus historischer Verantwortung einerseits und aus dem Willen für eine friedliche Zukunft andererseits. DIe Waffen aus den NVA-Beständen in diesen Tagen zu verkaufen, zieht stattdessen unserer Elite die Maske vom Gesicht, lange vor dem 20. März. Nichts wurde verschrottet, keine Schwerter zu Pflugscharen - wenn man doch noch Kapital schlagen kann, aus dem Elend anderer. 

Aus meiner Sicht hat Europa als Kontinent mehr zu tun, als nur ein Wirtschaftsraum zu sein.
Es erschließt sich mir nicht, warum wir WERTE sagen, wenn wir GÜTER meinen.
Sprachlich hat es für Werte auch mal eine andere Definition gegeben. 

Zu Europa gehören aus meiner Sicht, alle Völker - auch Russen, Serben und Türken. 
Mit den Lieferungen veralteter Waffensysteme an eine ohnehin unterlegene Streitmacht, verzögern wir mitverantwortlich den aktuellen Krieg. Menschen, die durch unsere Lieferungen sterben, oder während sie diese nutzen (zum Teil nicht einmal freiwillig), gehen auf unser Konto. Aber das ist kein Problem für die Von-der-Leyens dieser Welt. Familienpolitik, Verteidigung, Handy löschen - und dann Karriere in Brüssel: SWIFT funktioniert einwandfrei, diesseits der Grenze. Ohne Ansicht auf Moral und Versagen. 

Ich wünsche mir heute Frieden in Europa, einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine, einen unmittelbaren Rückzug der russischen Truppen und eine Entmilitarisierung der Ukraine. Allerdings auch einen Stopp der Waffenlieferungen. 

Für morgen wünsche ich mir, dass die zum Teil in der Eile hysterisch anmutenden Entscheidungen der zumeist Juristen im Bundestag, noch einmal ordentlich überlegt und hinterfragt werden. Wir brauchen keine Bundeswehr. Wir brauchen eine friedliche Koexistenz aller Menschen auf diesem Planeten. Weder Pandemien noch Klimawandel lassen sich mit Waffengewalt stoppen. Auch wenn Cowboy spielen mehr Spaß macht, als Doktorspiele, solange man noch nicht reif genug dafür ist. Einhundert Milliarden Sondervermögen flüssig machen, wäre auch eine gute Idee für die Pflegekräfte in Deutschland. Haben wir denn das Ahrtal, Klimawandel und Corona schon vergessen? Warme Worte und Applaus helfen niemand. Kein Gewehr baut Häuser wieder auf… 

Bertha von Suttner soll einmal gesagt haben, dass niemand Tinte mit Tinte - oder Öl mit Öl - auswaschen würde. Sie stellte danach die Frage, warum Menschen dann immer wieder versuchen, Blut mit Blut zu waschen…

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

Webseite von Stephan Leifeld
following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

17 folgen diesem Profil

3 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.