Aufrüstung oder Zukunft, das ist hier die Frage
KINDER VON HEUTE SIND ERWACHSENE VON MORGEN - WENN SIE GLÜCK HABEN

Gedanken von Stephan Leifeld

Die Süddeutsche Zeitung berichtet gestern von erschreckend vielen getöteten Kindern im sogenannten Gaza-Streifen. Im Gaza-Krieg wären nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef bisher mindestens 3450 Kinder getötet worden. "Gaza ist ein Friedhof für Kinder geworden", wird Unicef-Sprecher James Elder zitiert, während eines Briefings seiner Organisation in Genf. Eine Quelle für die Zahl wird nicht benannt - aber aktuelle Fotos im World Wide Web sind hier sehr eindeutig. Traumatisierte und weinende Kinder, Plüschtiere zwischen dem Erdboden gleichgemachten Gebäuden. Krieg ist Wahnsinn. In Israel, in der Ukraine, aber auch im Gaza-Streifen und in Russland. Der Tod kennt keine kulturellen Unterschiede oder differenziert zwischen den Religionen. "Der Schnitter hat gerade wieder reiche Ernte..."

Mich berührt ein aktueller Videomitschnitt sehr: Dort sieht man einen Jungen, vielleicht fünf oder sechs Jahre alt mag das Kind sein. Er weint nicht richtig, sondern zuckt mit dem Körper, wackelt mit dem Kopf fassungslos hin und her, artikuliert eher - als dass er spricht. Die ganze Trauer ist hier personifiziert in einem Kind, dass offensichtlich schlimme Dinge gesehen hat. Vielleicht den Tod von Eltern, Geschwistern oder nahestehenden anderen Menschen. Erwachsene stehen um das Kind, wortlos nicht in der Lage irgendwie zu helfen. Ich frage mich, wie die Geschichte von diesem Kind weitergehen wird.

Ich denke dabei auch an die Menschen im Donbass. Hier stehen sich zwar keine Israelis und Palästinenser gegenüber. Aber der Winter kommt - kalt und gnadenlos. Auch hier sind Kinder, ukrainischer oder russischer Herkunft, denen Nahrungsmittel und Kleidung knapp sind. Geld für Waffensysteme und Munition ist da. Aber Hilfsgüter... weiß man nicht.

Auch Hilfsgüter für etwa 2,2 Millionen Zivilisten, Frauen und Kinder, im deutlich überfüllten Gaza-Streifen, werden dringend benötigt. Sie kommen aber wohl nicht richtig an, weil die israelische Führung unbedingt die Hamas niederringen möchte, vielleicht auch, um die nächsten Wahlen zu gewinnen. Von der Regierungskrise des Likut-Bündnisses ist nicht mehr viel zu spüren. Es werden junge Israelis - Frauen wie Männer - auf junge Menschen auf der anderen Seite des Gaza-Streifens, in Marsch gesetzt. Größtenteils waren die Rekruten noch Kinder, als angeblich der eigene Geheimdienst einen Gegner schaffen wollte, damit der einen anderen Gegner ausschalten sollte. So jedenfalls wird Gregor Gysi diese Tage zitiert, obwohl ich keine Quelle für dessen Aussage finden konnte: "Der Mossad hat womöglich die Hamas gegründet, um die PLO zu entmachten..." Keine Ahnung, ob das stimmt. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass die Menschen sprichwörtlich mit Geistern kämpfen, die sie selbst gerufen haben.

Ich frage mich, wann das endlich ein Ende finden wird.

Diese traumatisierten Kinder, die ihre Eltern verlieren, unter dem Beschuss der technisch weit überlegenen IDF, kommen mir in den Sinn. Ob sie - als Vollwaisen, zu willfärigen "Janitscharen" von einer weiteren Terror-Organisation zu Selbstmord-Attentaten abgerichtet werden können - denn von Ausbildung mag ich hier nicht sprechen. Auch in Deutschland sprechen immer weniger Menschen von Ausbildung und Bildung, sondern wollen anscheinend lieber die Gesellschaft aufrüsten und kampfbereit sehen. Dabei ist es Unwissen und Dummheit, als erste Grundlage für Gewalt und Totschlag. Kain brauchte keinen Panzer, um Abel zu erschlagen - ein simpler Stein hat genügt. Diese Geschichte zweier Brüder kennen Juden, Christen und Muslime gleichermaßen. Bei den alten Griechen waren es Kraios und Chronos, warum unsere Art lieber die Zeit totschlagen mag, als zu genießen.

Wenn die meisten Menschen im Gaza-Streifen so leben, seit Jahrzehnten, dass es am Mindesten mangelt. Wenn die meisten Menschen dort Kinder sind. Was soll diese Gegend nun mehr sein, als eine Art Lager, in dem man verfeindete Menschen konzentriert versammelt, denke ich weiter - und forme in denselben Gedanken das Wort: Konzentrationslager. Dieses Mal jedoch mit jüdischen Bewachern, statt umgekehrt, wie beim unvergesslich grausamen Holocaust. Das macht es aus meiner Sicht auch nicht besser, wenn Israel seine Verteidigung so weit ausdehnt, dass ich persönlich zu der Frage komme, ob manche "Selbstverteidigung" schon einen "Gegenangriff" darstellt. Und ob das bedeutet, wenn unsere Sprache dafür zwei unterschiedliche Vokabeln anbietet, dass dann auch im Wortsinn der Unterschied klar sein dürfte. Trotz aller Staatsräson...

Ich liebe Kinder. Ich liebe meine eigenen Kinder. Ich liebe es, wenn ich mit Kindern arbeiten kann. Ich unterrichte gerne Kinder. Die Fortschritte, die Kinder beim Lernen machen, stimmen mich froh. Ich denke dabei auch an meine eigene Kindheit. Im Kindergarten habe ich keine Muslime, Juden oder Christen wahrgenommen - sondern nur Kinder. Ich war damals noch römisch-katholisch und in einem evangelischen Kindergarten. Glücklicherweise kenne ich den sogenannten 30jährigen Krieg nur aus dem Geschichtsunterricht. Aber diese Welt hat sich weitergedreht. Heutzutage wird in Prag kaum noch jemand aus dem Fenster geworfen...

In der Schule waren wir dann später Jungen und Mädchen, je nachdem ob vor, während oder nach der Pubertät. Und Jerusalem kannte ich aus Büchern über die alte Welt, als einen Ort der Toleranz zwischen den Religionen - bis die Kreuzzüge ausbrachen. Aber das störte mich doch nicht, wenn ich als Jugendlicher zum Judo-Training ging, um mit anderen Judoka zu trainieren - hießen sie nun Manzombe oder Issa, David oder Kevin. Das war mir egal. Seit beinahe meinem halben Leben bin ich nun übrigens Protestant. Aus Liebe wäre ich vermutlich aber auch Muslim oder Jude geworden. In meiner Welt ist es nämlich derselbe Gott, für den ich kein Schwert aufnehmen würde, um jemandem ein Ohr abzuschlagen.

In meiner Welt geht es eher darum, Vorbild zu sein. Meister, Sensei - Vater oder Sohn.
Es scheint mir wichtig, dass die moderne Gesellschaft in Israel für den eigenen Frieden auch den Frieden mit den anwesenden Palästinensern schließt. Eine zwei-Staaten-Lösung könnte hilfreich sein. Auch die Teilhabe der Menschen, überall auf der Welt, an ausreichendem Lebensraum und Ressourcen, kann Frieden sichern helfen - ebenfalls überall. Lernen wir bitte alle von Kindern: Kinder spielen miteinander, im Urlaub beispielsweise, am Strand, mit allen anderen Kindern - ohne Ansicht auf welche Herkunft auch immer, über Sprachbarrieren hinweg. Und hören wir auf, ein angeschwemmtes Kind am Ufer des Mittelmeeres zunächst als Eindringling zu betrachten, statt als ein menschliches Wesen, welches Hilfe gebraucht hätte.

Ich finde es beschämend für diese Zeit, dass die Nationalstaaten wieder in Mode gekommen sind. Eine starke europäische Gemeinschaft hat mehr Platz: auch für die Türkei, für Russland UND die Ukraine. Alles andere ist nur blanker Wirtschaftsraum mit moralischer Insolvenz.

Wo sind die Trekkies und Weltbürger, die gottesfürchtigen und Gläubigen, die Menschen mit Liebe und Ethik, wenn es um unsere gemeinsame Zukunft auf diesem Planeten geht...? Lehren uns Thora, Bibel und Koran, dass Noah es gut gemacht hat, als er anstelle von Menschenskindern lieber Tiere mit auf die Arche genommen hat?? Dann ist die nächste Überschwemmung nah, die Polkappen werden schmelzen... und die Erde wird rot wie einst der Mars (der nicht zufällig nach dem Kriegsgott benannt sein könnte).

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Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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