Wolfsrudel bei Schermbeck ist Erfolg für den Naturschutz
Das Märchen vom Bösen Wolf

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Der Gemeinderat in Schermbeck hat am 22. Dezember letzten Jahres offenbar kaum ein wichtigeres Thema gefunden, als den Abschuss von Wölfin Gloria. Einem Antrag des einzigen FDP-Ratsmitgliedes Simon Bremer sind demnach bis auf eine Gegenstimme und zwei Enthaltungen sämtliche Ratsmitglieder gefolgt. CDU, Grüne, Zukunft Schermbeck, BfB und SPD wollen den Abschuss der Wölfin, die soeben mit dem Rüden GW1587m einen gemeinsamen Welpen hat. In den sozialen Medien wird von über 106 Wolfsrissen gesprochen - wobei in Wahrheit die meisten der sogenannten Vorfälle tatsächlich nur Sichtungen sind. 

Schaut man sich einmal diese Vorfälle genau an, handelt es sich in dem Zeitraum 2018 bis dato tatsächlich jährlich um eine einstellige Zahl mutmasslicher Wolfsrisse. Die anderen Vorfälle sind Sichtungen oder scheinen eher unseriös dokumentierte Vermutungen. Dabei fällt mir besonders ins Auge, dass in den sogenannten sozialen Medien seit Jahren eine Hetzjagd auf Wölfe eskaliert ist, die von der Sachlichkeit lange nicht mehr eingeholt werden kann. Eine bloße Frage nach Fakten und tatsächlichen Bedingungen in dieser Frage erntet nicht selten Beleidigungen und Verwünschungen. Rotkäppchen und der Jäger scheinen bei Facebook & Co zum Thema "Wolf" das Zepter in der Hand zu halten - und manche schreiben offenbar so lange, bis alle Wölfe wieder ausgerottet sind. Jedenfalls behaupten sie das sogar...

"Homo Homini lupus" - Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, wird ein früher berühmter Gesellschaftswissenschaftler zitiert. Thomas Hobbes hat in seinem "Leviathan" Staatswesen, Gesellschaft und Individuum untersucht, bis er zu einem umfassenden philosophischen Weltbild gelangt ist. Das ursprüngliche Zitat wird auf den römischen Dichter Plautus zurückgeführt, der mit "Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit", eine deutlichere Aussage getroffen hat. Übersetzt heißt es nämlich, dass der Mensch ein Wolf dem Menschen, kein Mensch ist, wenn er nicht weiß, wie dieser geartet ist. Plautus deutet also bereits in der Antike auf ein ungezügeltes Aggressionsverhalten und großes Misstrauen von Menschen gegenseitig, wenn sie nicht kommunizieren oder sich anders kennenlernen. In der Komödie Asinaria, Vers 495, lässt Plautus sich so einen Kaufmann einem anderen Menschen verweigern, diesen mit einer großen Geldsumme aus einer Not zu befreien.

Ich finde dabei interessant, dass der biblische Leviathan - oder gar der Leviathan aus der jüdischen Thora - eine Art Gott geschaffenem Golem ist, der am Ende der Zeiten von Gott wieder selbst besiegt werden muss. Unter dem Aspekt, dass die Menschen sich die Erde quasi untertan machen, indem sie Staatsapparate schaffen und gesellschaftliche Ordnung, war es konsequent, den Wolf in den letzten zweihundert Jahren auszurotten, als vermeintlichen Konkurrenten beispielsweise beim Vergnügen der Jagd. Und Jagen ist heutzutage mehr als nur ein vergnügliches Hobby für manche Jäger. Die Lust am Töten wird begleitet vom Gewinn durch die Erlöse aus dem Fleisch der Jagd. Wenn unsere heutigen Jäger einigermaßen mit ihren Quoten auf bestimmte Wildtiere haushalten müssen, ist der in unsere Wälder zurückkehrende Wolf dann auch ein wirtschaftlicher Faktor, der diese Ordnung beeinflusst. In Gebieten erfolgreicher menschlicher Jäger ist der Wolf dann möglicherweise - als ein scheues und inzwischen flexibel gewordenes Tier - auf die Idee gekommen, leichtere Beute zu machen: Nutz- und Wildtiere in privater Haltung. Unter Umständen schlecht bis nicht geschützt, weil Herdenschutzhunde fehlen und Zäune nicht ausreichen.

Trotz wochenlanger Recherche und Bemühungen an Zahlen zu kommen, die belegen, dass in dem Wolfsgebiet um Schermbeck die Schutzmaßnahmen erschöpft und ausreichend sind, konnte ich eben das nicht belastbar feststellen. Daher scheinen mir einige Argumente gegen Gloria GW954f eher konstruiert oder zumindest dichterischer Freiheit erwachsen...

Wenn wir Menschen also miteinander einen Weg suchen, Nutztierhalter wirtschaftlich zu entlasten und gleichzeitig die geschützten Wildtiere zu bewahren, erfordert das aus meiner Sicht ehrliche und gute Kommunikation. Wir dürfen uns als gesamte Gesellschaft dabei nicht den Golem vom Märchen über den Bösen Wolf über unsere Köpfe wachsen lassen. Herdenschutzhunde, nächtliches Einstallen bedrohter Nutztiere, Rückzugsgebiete für Wölfe, ordentliche und flächendeckende Zaunkonstruktionen, scheinen mir hier sinnvoller zu sein, als unsachlich - wie die o.a. "Wölfe" rhetorisch übereinander zu kommen. Am Ende sollte es ein Ergebnis sein, in dem wir Menschen uns mit der Natur in Einklang befinden - und an dem Erfolg, was das neue Rudel in unserer Heimat angeht, erfreuen.

Mystisch gesehen, könnte ich mir vorstellen, dass der Leviathan eine Art Dämon des Geistes ist, den wir Menschen besser unter dem Wort Neid kennen. Vielleicht ist der Wolf dem Menschen unheimlich, weil dieses Tier letztlich doch zivilisiert - eben als Familie - in einem Lebensraum zuhause findet, aus dem wir Menschen über die Zeiten in die beleuchteten Häuser geflüchtet sind. Nicht nur, weil Neid eine Todsünde ist, ist einen Gedanken Wert, ob wir nicht in 2021 endlich den wilden Tieren ihren Lebensraum gönnen können. Sondern auch unter dem Aspekt der Zoonosen - wie Corona und andere Krankheiten - dem Aspekt des Klimawandels - und auch dem Naturschutz, halte ich es für erstrebenswert, Wölfe in unserem gemeinsamen Lebensraum aufzunehmen.

Vielleicht finden so Wölfe, Wildschweine, Rehwild, der Wald und auch die Agrarkultur, besser in eine gewisse Harmonie, als wenn hysterisch anmutende Anträge zu nicht mehr umkehrbaren Fehlentscheidungen führen...

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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