Regeln sind heute komplizierter denn je ...
VATERTAG, CHRISTI HIMMELFAHRT UND CORONA

Man stelle sich nur vor: Moses kommt den Berg herunter mit drei schweren Steintafeln. Eine von diesen Platten, voll mit gravierten Buchstaben, rutscht aus seinen Händen. Diese Tafel zerbricht in ihre Einzelteile. Lesbar und intakt bleiben allein die beiden anderen Steintafeln in seinen Händen, als Moses vor dem Volke Israel steht. So präsentiert der schlaue Anführer seinen Leuten (lediglich) die 10 Gebote. Diese Darstellung hat 1982 der Filmklassiker "Verrückte Geschichte der Welt" von Mel Brooks den Zuschauern angeboten. Noch heute lachen Menschen über dieses Werk zwischen kunstvoller Satire und einem Feuerwerk von Flachwitzen. 

Mit diesem lustigen Bild möchte ich ein ernsthaftes Thema diskutieren, welches mir besonders in diesen Tagen unter den Nägeln brennt. Ich beobachte immer mehr Menschen, die offenbar immer mehr Mühe haben, irgendwelche Regeln einzuhalten. Corona scheint mir deshalb momentan auch nicht der wahre Grund zu sein, warum zahlreiche Demonstrationen immer eher eskalieren. Es ist möglicherweise eher die Problematik, sich an Regeln halten zu sollen. Oder zu müssen?

Fragt man Kinder nach den Regeln irgendwelcher Spiele, wirken diese Spiele ziemlich einfach. Das sieht man am Beispiel Fussball. Auf dem Pausenhof der Schulen lange Jahre vor der Corona-Zeit sind Kinder schnell in zwei Teams eingeteilt. Jemand hat irgendeinen Ball dabei - früher genügte uns auch eine leere Cola-Dose - um das Spiel zu beginnen. Bänke oder der Abstand zwischen zwei Bäumen, zwei Papierkörben oder hingeworfener Tornister, bilden damals die Tore. Dann geht das Spiel schon los. Daran kann ich mich gut erinnern. So haben wir das gemacht. 

Schaue ich heutige Schulhöfe an, sind einige Bereiche mit weißer Farbe markiert. Es gibt Bereiche, in denen dürfen die Kinder nicht laut sein. Spielgeräte von zuhause mitbringen, ist tabu. Spielgeräte werden an den Schulen zumeist organisiert verliehen. Mit Ausweis und Leihkarte beispielsweise. Die laute Cola-Dose von früher ist inzwischen von einem Pfandgeld-Sammler aus dem Mülleimer genommen worden und deshalb auch nicht mehr da. Dann müssen die Kinder mit entsprechenden Trikots angezogen sein, mit den Nummern und Namen ihrer Stars aus Fernsehen und sozialen Medien, "Messi" und "Ronaldo" wählen. Einzelne Linien sind das "offizielle" Spielfeld. Es gibt einen Schiedsrichter. Das Spiel geht los - wenn es nicht von einer Lehrerin unterbunden wird. 

Während a priore - also ohne Erfahrung - früher irgendwelche Regeln erwachsen sind, aus den zu erwartenden Situationen also spontan entschieden wurde; befinden wir uns heute m.E. in einer Gesellschaft, die bereits bei den Kindern a posteriore - also empirisch mit einem Erwartungskodex regeln will. Dieses Regelwerk führt statistisch nachvollziehbar zu Entscheidungen (z.B. von Erwachsenen), um Erfahrungen in Zukunft (z.B. für die Kinder) zu vermeiden. Stattdessen gibt man die Parole aus, aber aus Vergangenen angeblich "gelernt" zu haben. Im Ergebnis führt das nach meiner Beobachtung global dazu, dass die meisten Menschen stolpern, weil sie nicht mehr ordentlich lernen nach Vorne zu schauen, sondern immer nur ermahnt werden, hinter sich zu blicken. 

Eben hier sehe ich zwei Ereignisse, die dieses Dilemma ausgelöst haben - und auch zwei Gruppen von Menschen, die das auch noch täglich begünstigen.

Das erste Ereignis ist das Ende des II. Weltkrieges.
Nach 1945 sind viele Kinder ohne Vater aufgewachsen. Zum Teil sind die Männer im Krieg gefallen, zum Teil sind einige Männer in Kriegsgefangenschaft. Zum Teil hat der Krieg viele Familien auseinandergerissen - aus zahlreichen Gründen. Frauen mussten an Stelle der Männer den Wiederaufbau stärker schultern, als es ihr voriges Rollenverständnis gefördert hat. Hier sehe ich tatsächlich bei den Trümmerfrauen einen der Grundsteine für heutigen Feminismus. Auch die sogenannten 68er finden in jener Zeit eine Basis, sich von der älteren Generation und Geschichte zu lösen. Eine echte Grundlage finden sie nicht - weil Deutschland insgesamt keine moralische Aufarbeitung der NS-Geschichte schafft. Das spaltet also Deutschland stärker in mehrere Teile, als es der Mauerbau und die beiden deutschen Staaten schaffen konnten. Das ist jedenfalls meine Ansicht. Es entsteht ein Graben zwischen den Generationen, der bis heute nicht gekittet ist. Zudem entwickeln sich Männer und Frauen voneinander weg, statt miteinander weiter. In beiden deutschen Gesellschaften geschieht dies parallel. Emanzipation entsteht aus der weiblichen Arbeitsreserve. Es ist schließlich die Frau, die sich weiterentwickeln kann. Der Mann verliert sich in der Masse in einem Wirrwarr an widersprüchlichen Rollenbildern. Auch das passiert - meine persönliche Meinung - in Ost und West.

Das zweite Ereignis ist die Wiedervereinigung.
Nach 1989 sind viele Menschen in unserem Land völlig überfordert von der Situation. Manche Menschen sind im Osten regelrecht geflohen, trotz offener Grenzen, haben der Situation nicht vertraut, und daheim Hund und Hof zurückgelassen. Ich kann mich noch erinnern, wie ich zu dieser Zeit in meiner eigenen Schülerzeitung O-Töne der neuen Bundesbürger zitiert habe, die "zuerst eine Schachtel Marlboro und dann einen VW Golf kaufen" wollten. Die Politischen Werte, die Ordnung, die Moral, sind als Thema eher Randnotiz gewesen, wenn ich mich recht erinnere. Einzelne Personen wurden herausgepickt. Riesen Dramen inszeniert. In der Masse aber lief das wohl so ähnlich, wie nach 1945 auch. Uniformen und Talare wurden ausgetauscht. Die Träger aber kaum. Auf der einen Seite hat es dann Menschen gegeben, die erfolgreich - trotz nachgewiesener Schuld früherer NS-Verbrecher, deshalb enteignetes - Eigentum im Osten Deutschlands juristisch erstreiten konnten. Es hat auf der anderen Seite einen Soli gegeben, von dem ich - als jemand, der sich schon jung für Politik interessiert hat - nicht weiß, ob der wirklich allen Zahlern ordentlich vermittelt worden ist. Jedenfalls profitierten möglicherweise viel zu viele Menschen davon, dass viele ihrer Taten ohne Konsequenzen geblieben sind.

Bildung und Kommunikation?

Wenn ich nun gedanklich wieder auf die erwähnten Kinder zurückkommen darf, sollen bekanntlich die drei Rs förderlich sein: Regeln, Rahmen, Rituale. Maria Montessori hat das schon vor Generationen so erklärt. Klare Regeln, abgesprochene Rahmen, Rituale in den Handlungen, um Verlässlichkeit untereinander herzustellen. ABER: Das erfordert ein großes Maß an Bildung und Kommunikation - für alle gesellschaftlichen Elemente. Genau hier passt es nicht mehr zeitgemäß. Weder in der Schule, noch in den Medien... die Technik geht den Fortschritt schon ohne das Individuum. 

Man stelle sich also aktuell eine Gesellschaft vor, in der viele Menschen übereinander sprechen, anstatt miteinander. Das fängt bei den Eltern an, die über ihre Kinder reden. Nicht mit ihnen. Eine junge Mutti schiebt den Kinderwagen mit der einen Hand, während die andere Hand mit dem smartphone Verbindung hält, zu einer anderen jungen Mutti. Beide Frauen sind genervt; vielleicht vom Mann, der sich nicht kümmert, keinen Unterhalt zahlt, von der misslungenen Diät, von dem Teilzeitjob, was auch immer. Auch diese Frauen haben ihre Rolle längst verloren - switchen stattdessen zwischen mehreren Gastauftritten in ihrem eigenen Leben. ... Dann auf der anderen Seite junge Männer, die sich im Internet auf einschlägigen Seiten, auf das Fleisch reduzierte weibliche Körperteile anschauen, dabei masturbieren, sogar daraus "erlernte" Handlungsweisen aus den Filmen in die Realität umsetzen wollen, reden unter ihresgleichen auch nur noch über die "chickas" und "bitches", als würden wir alle in einem nordamerikanischen Ghetto leben. Solche Männer leben dann nur als Erzeuger, weil für ein echtes Vater-sein ihre Männlichkeit mit der Ejakulation schon alles Pulver verschossen hat.

Man stelle sich weiter eine Gesellschaft vor, die Menschen in fachgerechte Einrichtungen abschiebt, um sie aus ihrem Horizont zu verbannen. In diesen Einrichtungen - nennen wir sie mal Altenpflegeheime - fristen dann Individuen ihr Dasein quasi "Lebenslänglich", deren Verbrechen im Altwerden besteht. Dabei ignoriert unsere Gesellschaft massenhaft, dass wir alle immer älter werden. Ich finde das absurd, grotesk und undankbar. 

Wir sind aktuell eine globale Gesellschaft mit zwei Päpsten, wenn man es genau nehmen will. Wir haben eine große Wirtschaftsmacht in China, die mit der Errichtung einer neuen Seidenstrasse beschäftigt ist, während wir in Deutschland über die Bundesliga diskutieren. Ein US-amerikanischer Präsident cancelt offiziell einen Vertrag nach dem anderen, vor laufenden Kameras der Welt, mit einem Gesicht wie auf dem Kindergeburtstag, ohne irgendwelche ernsthaften diplomatischen Disput. 

Wenn ich nun an die sogenannten Hygiene-Demos denke, sehe ich auch zu meist nur Menschen, die dagegen protestieren, Regeln einhalten zu sollen. Rücksicht nehmen müssen auf schwächere Menschen sehen einige von diesen Leuten nicht ein. Und morgen ist Vatertag und Christi Himmelfahrt. Da sind auch etliche Menschen auf den Straßen zu erwarten. Einige von denen wissen vielleicht nicht einmal, worum es geht - und was tatsächlich der Anlass für diesen Tag ist. Denen werde ich helfen, denke ich: 

Diese Corona-trotzenden Männer sollen sich einmal vorstellen, Christus hat von seinem Vater den Bollerwagen bekommen, um an dessen Vatertag in den Himmel auffahren zu können. Es ist wohl nicht überliefert, wieviele Kisten Bier dabei konsumiert wurden. Aber der Rausch muss schon interstellar gewesen sein. So widersprüchlich sind anschließend die Ansichten in der Menschheit weiterentwickelt worden. Möglicherweise hätte sich zu dieser Zeit noch eine Sonnenfinsternis zugetragen, die damals ohne jeden Virus den Namen Corona auch bei einem antiken Google belegt hätte. Wie jede Sonnenfinsternis war dann diese "Corona" auch bald vorbei, weshalb man wieder dem ganzen Tageslicht die Stirn bieten durfte. Nach dem Vatertag wird deshalb auch der eine oder andere "Vater" mit zu viel Tageslicht und Sonne am Freitag vielleicht Probleme haben. Aber auch das geht vorbei.

Am Freitag vorbei sein, wird aber noch nicht die nach Corona benannte Pandemie. Deshalb würde ich mit meinen Zeilen gerne einen Aufruf gestartet wissen, dass die echten Männer am Donnerstag zuhause bleiben, sich um die drei Rs ihrer Kinder kümmern, damit die nicht irgendwann verzweifelt rufen... "Vater, Vater, warum hast Du mich verlassen...?"

Eine Spielidee könnte ich auch noch liefern: simples Spielen, mit improvisierten Mitteln, ohne Diskussionen über Trikots und komplizierte Regeln, einfach so - wie früher - das Kind im Manne leben. Nicht die Sau auf einer Demo rauslassen, sondern den Jungen - der so viel Freude haben kann. 
Wie doof die Zeit mit Corona ist, liegt zum Teil nämlich auch an uns selbst. 

Einen schönen Vatertag wünsche ich uns allen. Vor allem aber unseren Kindern... und Vätern.

Autor:

Stephan Leifeld aus Schermbeck

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