Warum der Weg zurück in die Normalität eine Sackgasse sein kann
Haben "die" wirklich ihr Leben gelebt?
Nur bis Hanau haben wir in diesem Jahr schon 13 Terroranschläge überall auf der Welt erleben können. Die Umsatzzahlen im Bereich der Rüstungsindustrie erreichen ebenfalls Rekordwerte. Hier kann man also eher nicht von einer Wirtschaftskrise reden. ...Die Leopoldina und auch der Gesundheitsminister haben vor Monaten noch laut nachgedacht, zahlreiche Krankenhäuser wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit zu schließen. ...Der Klimawandel ist in vollem Gange, auch ohne freitägliche Demonstrationen. Die Lobbyisten der Wirtschaft sind deutlich stärker als Greta und ihre Mitschüler. Die aktuellen Temperaturen im April und auch wochenlange Trockenheit sind längst veränderte Realität. Vielleicht stört es die Bauern. Den normalen Verbraucher offenbar nicht, wenn er Spargel aus Peru, Steaks aus Argentinien und Erdbeeren aus Venezuela kaufen kann. ...Dann sterben bei der Corona-Pandemie hauptsächlich Menschen mit einem Durchschnittsalter von 81 Jahren. Die meisten Menschen sind aber jünger. ...Baumärkte und Möbelmärkte sind geöffnet. Schulen sind nicht Digital. Amazon sehr wohl. Menschen hausen unter unwürdigen Bedingungen an der Grenze zu unserem Kontinent. Das alles ist unsere Normalität im Jahre 2020.
Aus meiner Sicht ist unsere gesellschaftliche Normalität mittlerweile eine Sackgasse. Dennoch sehnen sich die meisten Leute eben in diese Straße, weil ihnen diese Gegend wohlbekannt ist. Etwas Neues wagen, einfach mal entgegengesetzt laufen, geschweige denn anders denken, kommt einer Bedrohung gleich. "Solche Leute" sind subversiv, wurden schon immer im Weidenkörbchen ausgesetzt - wie Moses - um einen Exodus zu verhindern. Exitus hingegen ist normal, den nehmen alle schweigend in Kauf. Kein Problem.
Beispielsweise der Exitus von alten Menschen.
"Die haben ihr Leben gelebt..."
So sagen manche Menschen, wenn sie über kürzlich verstorbene ältere Mitmenschen reden.
Dann frage ich mich jedes Mal, was sie damit meinen. Ich bin 52, was heute etwas völlig anderes bedeutet, als noch in den 60er Jahren. Eigentlich möchte ich gerne mindestens 107 Jahre werden. Natürlich gesund, mobil (womit ich nicht ein Fahrzeug auf Rädern meine) und geistig klar. Das wäre schön. Und ich will keines meiner Kinder überleben, das versteht sich für mich von selbst.
Ende der 80er Jahre habe ich meinen Zivildienst gemacht. In der intensiven Altenpflege. Damals hat es kein lateinisiertes Fremdwort dafür gegeben. Die Alten habe ich tatsächlich geachtet, respektiert und im Rahmen meiner Möglichkeiten gerne gepflegt. Es war seinerzeit klar, dass ich als Zivi die Männer zu versorgen hatte. Ohne Ausbildung. Pflegenotstand ist schon zu dieser Zeit ein Thema gewesen. Auch hier hat Politik bis heute nichts Besseres gebracht - als die Wirtschaft laufen zu lassen. Im Altenheim sterben zu müssen, betrachte ich als eine Katastrophe, auch schon vor Corona. Die Diskussion um Sterbehilfe kann ich dann sogar ein Stück weit verstehen, wenn ich zum Leben auch eine ganz andere Einstellung habe.
Es nervt mich ganz besonders, wenn jüngere Menschen in den sozialen Medien aktuell stark wettern, für ein paar Prozent "Alte" nun nicht unbedingt ihre Grundrechte einschränken zu wollen. Das ist aus meiner Sicht dieselbe kranke Logik, wie umgekehrt ein paar Prozent "Junge" in die Schule zu zwingen, als wäre ein Zertifikat (ein Papier) wichtiger, als das Leben selbst.
Meine Mutter hat jahrelang in unserem elterlichen Haushalt die Mutter meines Vaters gepflegt. Ich habe bereits als Kind mitgeholfen. Meine "Omma" war dabei niemals eklig oder abstoßend. Wir sind besorgt gewesen, wenn ihr Zuckerwert nicht in Ordnung war. Einmal hat sie infolge eines Zuckerkoma in der Toilette gelegen. Ich habe die Tür aufbrechen müssen. Oma war das anschließend wirklich peinlich. Mir nicht. Ich habe mich als Kind gefreut, dass sie ihr Leben nicht zu Ende gelebt hatte, sondern uns in der Familie noch eine Zeit erhalten geblieben ist.
Pflegegeld hat es zu der Zeit nicht gegeben. Meine Mutter hat das für ihre "böse" Schwiegermutter einfach so getan. Liebe nennt man das, glaube ich. Dennoch begrüße ich grundsätzlich die Idee von Pflegegeld, halte es aber für viel zu wenig, um diese Leistung tatsächlich zu honorieren. Jedoch eine Einrichtung für Senioren, diese quasi einzuschließen, als wäre Altwerden ein Verbrechen - finde ich zynisch und grausam. Pflegeheime werden immer größer und mehr, rechnen sich offenbar ganz gut. Ich denke dann an die 30 Silberlinge von diesem Judas. Man kann nicht alles kaufen, hoffe ich.
Besonders großen Respekt habe ich vor allen Menschen, die ihre Angehörige selber pflegen.
Zuhause, so lange das noch geht.
Dann frage ich mich in diesen Tagen unserer Krise, ob ein schlimmeres Corona, allen Menschen ihre Menschlichkeit zurückgeben würde. Das wir nicht nur nach einem Impfstoff betteln, sondern auch Terror und Krieg zurücklassen, Rüstung nicht so wichtig ist wie Bildung, und wir alle aus der Sackgasse rennen - nach vorne, in eine bessere Zukunft. Leben ist mehr als ein Grundrecht. Menschenwürde auch.
Ich meine, Toilettenpapier haben wir alle noch genug...
Autor:Stephan Leifeld aus Schermbeck | |
Webseite von Stephan Leifeld |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.