Wenn die Machart nicht so schön wäre ...
Eltern kann man sich nicht aussuchen
Am Wochenende habe ich in den sozialen Medien von einer Familientragödie aus Frankreich gelesen. Ich bin beinahe sicher, dass das kein Thema gewesen wäre, ohne die Bluttat von Solingen. In Frankreich schwelt ein hässlicher Sorgerechtsstreit zwischen den bereits getrennten Eltern. Es geht um zwei Jungs im Alter von etwa 6 bis 10 Jahren. Man könnte denken, die beiden Eltern streiten darum, wer mehr Zeit mit den Kindern verbringen darf - und bei wem sie leben. In der Tat streiten die Erwachsenen um diese Fragen, jedoch in einer Weise, die ich so nicht erwartet hatte. Schließlich bin ich selber Vater von sechs Kindern...
Das getrennte Ehepaar aus Frankreich ist dadurch aufgefallen, dass die Kinder am Wohnort des Vaters herum streunten. Die Nachbarn haben die Kinder angesprochen, warum sie nicht zum Vater gehen. Als die Kinder meinten, dass der Vater nicht daheim ist - möglicherweise bei einer neuen Liaison - alarmierten die Nachbarn die Behörden. Es stellt sich bald heraus, dass die Mutter in einer neuen Beziehung, der Kinder überdrüssig ist. Der Vater, ebenfalls neu gebunden, hat auch kein Interesse mehr an seinen Kindern. So streiten diese sogenannten Eltern nun seit Monaten offenbar darum, wer mehr Zeit mit den Kindern verbringen MUSS. Ich lese den Text darüber zweimal, kann es dennoch mit dem Herzen nicht verstehen. Ich liebe meine Kinder, verbringe gerne jede freie Minute mit ihnen. Es ist für mich sogar schwerer, momentan die Erwachsen werdenden Kinder loszulassen, als für meine Frau. Auf der Paarebene finden wir uns immer besser wieder, weil sechs Kinder natürlich kein Hobby für Nebenbei darstellen. Aber eine Last waren unsere drei Mädchen und drei Jungs niemals.
Als ich meiner Frau von dem französischen Paar berichte, habe ich schon gelesen, dass die beiden Jungs nun in eine Pflegefamilie untergebracht worden sind. In diesem Fall ist das sicher besser, denke ich. So oft habe ich schon überlegt, dass manche Menschen keine Kinder haben würden, wenn die Machart nicht so schön wäre...
Ich bin zudem sicher, dass momentan in der Öffentlichkeit dieses Thema wieder hochkommen konnte, wegen der jungen Frau aus Solingen. Da will niemand etwas bemerkt haben. Offenbar ist es in Solingen normal gewesen, dass eine Frau mit 27 bereits sechs Kinder hat. Davon der Älteste mit 11 Jahren. Es wird kaum ein Wort erwähnt, von den unterschiedlichen Vätern dieser Kinder, die auch die Chance gehabt haben, im Leben ihrer Kinder eine Rolle zu spielen. Schnell sind sogenannte Profil-Ermittler in Funk und Fernsehen bereit, der Frau die Absolution zu erteilen, "weil sie ja so überfordert gewesen wäre...". Dann frage ich mich, was das Jugendamt in dieser Familiensache unternommen hat. Immerhin war die junge Frau bei ihrer ersten Schwangerschaft wohl erst 15. Den 11jährigen nun als Pflegestelle die junge Oma zu vermitteln, zeigt mir eher Ratlosigkeit in Solingen, als kompetente Hilfe.
Es ist davon auszugehen, dass diese ermordeten Kinder in Kindergarten und Schule gegangen sind. Möglicherweise hat die Kindesmutter auch die U-Untersuchungen beim Kinderarzt eingehalten. Bei ihrem Alter und den augenscheinlich nicht präsenten Vätern der Kinder, hätte ich eine Dauerbetreuung der Familie erwartet. Hier kann man dann engmaschig etwaigen Überforderungssituationen vorbeugen, auch durch Haushaltshilfen.
Wenn das alles nicht erfolgt sein sollte, offenbart das ein deutliches Manko in der Gesellschaft. Das Jugendamt steht auf zwei Beinen - genau genommen sind es sogar drei. Einmal die Beratung, dann die Intervention, und die Wirtschaftshilfe.
Als jemand, der seit Jahren Erfahrung hat, im Bereich von Gewaltprävention und Erziehungsberatung, möchte ich hier einen Denkanstoss liefern:
1.) Durch viele Nachrichten, möglicherweise gestiegener Inobhutnahmen von Kindern, fehlt es vielleicht immer mehr Menschen am Vertrauen in das System.
2.) Entsorgte Väter - die keinen Umgang und keine Sorge ausüben können - weil Kindesmütter sich wohlfühlen in der Rolle der Alleinerziehenden, "heulen und zähneklappern" in den sozialen Netzwerken, oder rennen mit der AfD samstags durch Berlin.
3.) Frauen, die durch ein radikal in der Öffentlichkeit vollzogenes Emanzipations- und Gleichstellungsbild, den Spagat zwischen Erwerbstätigkeit und Mutterrolle nicht schaffen, reißt eben dieser Spagat "persönlich" auseinander. Depressionen und Essstörungen sind dabei noch die "harmloseren" Folgen - damit niemand in der Nachbarschaft etwas merkt.
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Wenn also ein Triebtäter unauffällig war, macht ihn das nicht zum Nicht-Täter. Die Gesellschaft heuchelt hier m.E., wenn es in den Medien heißt, "man habe das einem Metzelder nicht zugetraut", mutmasslich pädophil zu sein. Wenn also die Nachbarn in Solingen meinen, sie haben nicht mitbekommen, was in der Etagen-Wohnung der siebenköpfigen Familie passiert ist, zeigt das dieselbe Dimension. Unsere Gesellschaft fährt vorbei, wenn jemand eine Panne an der Autobahn hat, weil ja JEDER im ADAC sein könnte. Unsere Gesellschaft sieht die Polizei nicht mehr als Freund und Helfer, sondern als Aggressor, dem man eher Gewalt zutraut, als Nazis vor dem Reichstag. Wir diskutieren über die Bezeichnung von Schokolade überzogenen Schaumküssen, als ob damit der Blickwinkel für Rassisten justiert werden kann. Aber hinschauen, in die Augen unserer Nächsten, tun die Wenigsten.
Aus meiner Sicht hat diese Mutter in Solingen mutmasslich ihre Kinder ermordet. Wenn sich ihre Schuld beweisen lässt, gibt es dafür keine Ausrede. Dann ist allerdings auch die Gesellschaft mitschuldig.
Wenn wir denken, es gibt keine Schuld für diese Bluttat - gebe ich zu bedenken, auch nicht jeden Tag mit unseren sechs Kindern immer geradeaus gelaufen zu sein, im bildlichen Sinn. Dennoch habe ich zu keinem Zeitpunkt die rote Linie überschritten. Im Gegenteil, habe ich meinen Kindern in besonders schweren Zeiten umso mehr Liebe gegeben. Deshalb können die Großen unseren Haushalt aktuell auch verlassen, ohne zurück zu schauen. Sie wissen genau, dass unsere Tür für sie immer offen ist.
Für das versagende System sehe ich als unabdingbar für die nahe Zukunft, das Jugendamt bundesweit in der bestehenden Form zu zerschlagen. Dieses System hat sich zeitlich überholt. Wenn aus dem Arbeitsamt ein Jobcenter entspringen konnte, mit neuen Struktur, kann aus dem Jugendamt ein Teil genommen werden, um als Kompetenzcenter Familie und Erziehung in jede Kommune verankert zu werden. Alle Kinder dieser Welt haben das verdient, ohne Gewalt - mit unendlicher Liebe - aufzuwachsen.
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Autor:Stephan Leifeld aus Schermbeck | |
Webseite von Stephan Leifeld |
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