Behinderung der Religionsausübung?

Behinderung der Religionsausübung?

von: Dr. Dr. Joachim Seeger, RE-Nord

Wo ist das Aufbegehren der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, der Christlich-Islamischen Arbeitsgemeinschaft, des Integrationsrats oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und Gemeinden in Recklinghausen gegen das Kölner Urteil zur Strafbarkeit von Beschneidungen, das der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit, Heiner Bielefeldt, im Deutschlandradio Kultur als „groben Unsinn“ bezeichnet hat? Es herrscht in Recklinghausen offentsichlich eisiges Schweigen im Walde zu dem Urteil, das die Religionsfreiheit von Juden und Muslimen eklatant gefährdet. Die Deutsche Bischofskonferenz hat das Urteil des Kölner Landgerichts bereits scharf kritisiert und nach den Worten des Aachener Bischofs Mussinghoff als „äußerst befremdlich, weil es der grundgesetzlich geschützten Religionsfreiheit der Eltern und ihrem Erziehungsrecht in keiner Weise gerecht wird“ zurückgewiesen. Mussinghoff führt weiter aus: „Es sei nicht erwiesen, dass die Beschneidung dem Wohl des Kindes schade.“ Ich denke, dass viele Moslems und Juden in unserem Land durch einen solchen Richterspruch massiv verunsichert werden. Viele werden sich zu Recht die Frage stellen, ob sie in Deutschland ihren religiösen Pflichten überhaupt noch nachkommen können. Man muss berechtigt die Frage aufwerfen, ob sich die deutsche Rechtsprechung bereits von der Religion verabschiedet habe. Das hat früher oder später auch Auswirkungen auf christliche Traditionen. Der Präsident des Kirchenamtes der EKD, Hans Ulrich Anke, verlangte bereits eine Korrektur dieses umstrittenen Urteils, denn das Urteil „habe die religiöse Bedeutung der Beschneidung nicht hinreichend berücksichtigt.“ Der Präsident des Zentralrats der Juden sprach von einem „unerhörten und unsensiblen Akt“; der Zentralrat der Muslime nannte die richterliche Entscheidung einen „eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht.“ Die Türkische Gemeinde in Deutschland wies bereits auf einen „Beschneidungstourismus“ in Länder hin, in denen die Beschneidung nicht unter Strafe stehe. Schließlich ist die Beschneidung in jüdischen und muslimischen Familien eine „ganz weit verbreitete Praxis“. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) sah den Richterspruch sogar als Rückschlag bei der Integration von Muslimen an. Muslime würden an der Ausübung ihrer Religion in Deutschland behindert, was der Religionsfreiheit widersprechen würde. Schon werden berechtigterweise Stimmen laut, die darüber nachdenken, ob man als Moslem angesichts massiver Eingriffe in die Religionsfreiheit überhaupt noch einen Platz in der bundesrepublikanischen Gesellschaft habe. Die türkische Regierung vertritt die Auffassung, dass die Beschneidung als „heilige Angelegenheit“ keine Sache der (deutschen) Gerichte sei. Nach Ansicht eines Strafrechtlers könnte das Kölner Urteil sogar zu höheren medizinischen Risiken infolge von unprofessionellen Eingriffen im In- und Ausland führen. Schließlich wird das Fest „Beschneidung des Herrn“ in der außerordentlichen Form des römischen Ritus am ersten Januar gefeiert, dem Oktavtag von Weihnachten. Der Evangelist Lukas berichtet im zweiten Kapitel, dass Jesus gemäß biblischer Vorschrift und jüdischem Brauch am achten Lebenstag beschnitten worden sei. In der Auseinandersetzung mit den Doketisten, die die Inkarnation bestritten, galt die Beschneidung als Argument, dass Jesus Christus „wahrer Mensch und wahrer Gott“ sei. Die Ostkirche kennt dieses Fest seit dem vierten Jahrhundert; ab dem sechsten Jahrhundert ist es auch in Spanien und Gallien nachweisbar. In den anglikanischen, orthodoxen, syrisch-orthodoxen und syro-malabarischen Kirchen wird der Beschneidung Christi am ersten Januar auch heute noch gedacht, wie ebenso in einigen altkatholischen und evangelischen Kirchen. Auch in der römisch-katholischen Kirche ist das Tagesevangelium Lukas 2,16-21. Bis zur Grundordnung des Kirchenjahres von 1969 gedachte man am ersten Januar der Beschneidung Jesu acht Tage nach seiner Geburt. Wann können wir endlich ein Wort des starken Protests einer christlichen Arbeitsgemeinschaft in Recklinghausen gegen das Urteil des Kölner Landgerichts erwarten? Schließlich geht es doch um den Bestand der Religionsfreiheit! Nicht zuletzt erwarten unsere jüdischen und muslimischen Freunde ein eindeutiges Wort der Solidarität!

Autor:

Dr. Dr. Joachim Seeger aus Recklinghausen

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