Interview mit dem Literaturkritiker Denis Scheck
Georg Stefan Troller bei den Ruhrfestspielen

Georg Stefan Troller bei den Ruhrfestspielen am 14. Mai 2019
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Warum sollte man zu einem Abend mit einem 97 Jahre alten Mann mit wildem grauem Haar gehen?

Weil es Georg Stefan Troller ist, der da auf der Bühne des Festspielhauses zusammen mit dem bekannten Literaturkritiker Denis Scheck sitzt.
In der Reihe von Interviews mit Scheck bei den Ruhrfestspielen wurde er eingeladen als Zeuge eines Lebens im Exil.

Der Schriftsteller, Journalist, „genialer Filmemacher“ und Fotograf, geboren 1922 in Wien und Sohn jüdischer Eltern, ist Zeitzeuge des Nachkriegs-Wiens mit all seinen Facetten jüdischen Lebens und künstlerischen Flairs, des Wiens, in dem das 20.Jahrhundert „erfunden wurde“, der Kultur, die auch die Kultur der Juden war, die „deutsche“ Kultur, maßgeblich geprägt von jüdischen Größen wie Arthur Schnitzler, Alfred Adler, Sigmund Freud, Josef Roth.

Aber schon mit 16 Jahren, beim Einmarsch der Deutschen in Österreich, findet dieses Leben eine jähe Zäsur. Troller erlebt die „Kristallnacht“ in Wien. Die Familie flieht zuerst nach Paris, das kurz darauf auch von den Deutschen besetzt wird. Die weitere Verwandtschaft Trollers, die ursprünglich aus dem mährischen Brünn stammte, wurde fast gänzlich ausgelöscht durch den Holocaust. Troller schloss sich dann der amerikanischen Armee an und begann dort, sich dem Aufarbeiten der Vergangenheit zu widmen, in dem man ihm die Vernehmung von gefangenen deutschen Soldaten überlässt.

In der Reihe der Interviews mit Denis Scheck bei den Ruhrfestspielen wurde er eingeladen als Zeuge eines Lebens im Exil.

Nach dem Krieg kehrte Troller zurück nach Europa. Er besuchte auch die frühere Heimat Wien, aber niemand kannte ihn dort mehr, niemand interessierte sich für sein Schicksal. Die Österreicher setzten sich nicht mit ihrer Schuld auseinander („die ‚guten‘ alten Nazis waren alle noch da“). So wie sie sich vor dem Einmarsch der Deutschen, das „Paradies“ durch Hitler ersehnt hatten, so deklarierten sie sich nach dem Krieg als die ersten Opfer der Nationalsozialisten.

Aber was wurde aus Troller durch das Exil oder trotz des Exils?

Angefangen mit den Vernehmungen der deutschen gefangenen Soldaten, perfektionierte Troller die Interviewtechnik, die eine gemeinsame Basis mit dem zu Interviewenden suchte (auch mit dem „Feind“).
Troller bezeichnete sich selbst als einen „Menschenfresser“, jemand, der vom Blut der Interviewten lebte, sie benutzte, aussaugte, auf eine gewisse Art missbrauchte…

Diese Interviews sollten seine weitere Karriere, seine künstlerische Entwicklung, bestimmen. Und Troller interviewte sie alle (etwa 1500 Interviews) von Arthur Rubinstein über Edith Piaf, Roman Polanski, Ezra Pound (einen „glühenden Antisemiten und Faschisten“) und viele mehr.

Troller wurde als der Dokumentarfilmer der „Zeugen des Jahrhunderts“, legendär, auch durch seine berühmte Fernseh-Reihe „Pariser Journal“.

Am Abend seines Auftritts bei den Ruhrfestspielen,
nimmt dieser Troller nach dem Interview durch Denis Scheck, seine Lesebrille in die Hand, setzt sich darunter eine Augenklappe auf das linke Auge (wie „Moshe Dajan“) und beginnt aus seinen fast verschollen geglaubten Schätzen über den „Traum von Paris“ zu lesen, geschmückt mit erst wieder kürzlich aufgefundenen Fotos aus einer alten Kiste.

Er gibt dem Publikum Gelegenheit, hineinzuhören in sein neuestes Werk („Liebe, Lust und Abenteuer“), das erst im September dieses Jahres erscheinen wird, und er zieht ein Fazit, nämlich, dass „Leben die Summe der intensiv gelebten Augenblicke sei“ und die schönste Zeit, sei die, in der Wünschen und Können übereinstimmten.
Das Publikum, ganz in seinem Bann, dankte es ihm mit stehenden Ovationen und stand dankbar Schlange, als er anbot, gern mitgebrachte Bücher von ihm zu signieren.

Autor:

Werner Zempelin aus Olfen

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