Die Ruhrfestspiele und die Poahlbürger von Recklinghausen
Es war ja nicht der erste Skandal, der mit so lautem Donner über die Bühne gegangen ist, dass die Bretter, die manchem die Welt bedeuten, gekracht haben und das Ende der Ruhrfestspiele nahe schien. Am Morgen des 1. Mai 1977 war es schon fast einmal so weit.
Was war passiert? Ich war von der Ruhrfestspielleitung gebeten worden, für die Festspielzeitung einen Beitrag aus dem Werkkreis Literatur der Arbeitswelt zu liefern, ein Gedicht oder eine Kurzgeschichte, eine Glosse, irgendeinen kleinen Text mit Bezug auf die „Arbeitnehmerfestspiele“, die jedes Jahr am 1. Mai feierlich eröffnet wurden. Es gab damals, wie in fast allen westdeutschen Großstädten und in vielen kleinen Orten auch in Recklinghausen eine Literaturwerkstatt des Werkkreises, und wir kooperierten unter anderem mit den Ruhrfestspielen, vornehmlich mit deren Jungen Forum. So lag es nahe, schreibende „Arbeitnehmer“ an der Festspielzeitung zu beteiligen.
Nun standen wir ein paar Schritte weiter links als die SPD und der DGB, gleichwohl die meisten von uns deren Mitglieder waren, und waren mit dem Status der Ruhrfestspiele als „Arbeitnehmerfestspiele“ so gar nicht einverstanden. Wir forderten Arbeiterfestspiele. Waren es doch Bergarbeiter in Recklinghausen, die im Winter 1946/7 Hamburger Schauspielern und ihrem Publikum zu warmen Theatersälen verholfen hatten.
Mit Kohlen, die sie hier eigenhändig aus der Erde herausgeholt und hinter dem Rücken der britischen Besatzer in die Hansestadt geschafft hatten. So entstand das Projekt “Kunst gegen Kohle“. Es entstanden die Ruhrfestspiele.
Mit diesen Gedanken im Kopf und einem kleinen Gedicht in der Tasche bin ich im April den Hügel hinaufgegangen zur Festspielleitung und freute mich auf das Kommende. Ich hatte unter den Texten aus unserer Werkstatt nichts Geeignetes gefunden, dafür aber einen Vierzeiler aus der Kölner Werkstatt. Der wurde dann auch akzeptiert und in der Festspielzeitung abgedruckt. Das Gedicht erschien gleich oben links auf der Titelseite.
Es gab einen Eklat. Der oben erwähnte Donner war sechs Wochen lang in ganz West-Deutschland zu hören bzw. zu lesen, sogar im Bayern-Kurier. Die Aufregung über dieses „Machwerk“ war am größten bei einer sich christlich nennenden Partei („Ich schäme mich für die Ruhrfestspiele!“ „Hier wird der Boden für den Terrorismus beackert..! Und dgl. mehr) Zwei Mal tagte der Rat der Stadt und stritt stundenlang über die Verse. Ein Gutachter und ein Schlechtachter wurden bestellt. Beide Professoren, die über sechs Gedichtzeilen befanden.
Am Morgen des 1. Mai stand nicht mehr fest, ob die Festspiele überhaupt in diesem Jahr (1977) stattfinden würden. Die Telefonleitungen zwischen Recklinghausen, Düsseldorf und Bonn liefen heiß. Sozialdemokraten und Gewerkschafter bekamen weiche Knie, besannen sich dann aber auf ihren traditionellen Auftrag und boten der christlich sich nennenden Opposition die Stirn. Die Festspiele wurden fortgesetzt, aber nach und nach gelang es den gutbetuchten Recklinghäuser Poahlbürgern, die Ruhrfestspiele auf ihre bildungsbürgerlichen Maße zuzuschneiden, die Widerspenstigen zu zähmen.
Übrigens, vom 1.Mai-Gedicht, das 1977 für so viel Aufregung gesorgt hat, erinnere ich mich nur an die letzte Zeile: „Dann sind die Bosse arbeitslos“. Schon damals standen die Zeichen nicht auf WIRTSCHAFTSDEMOKRATIE.
Autor:Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen |
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