Der Großinquisitor – immer noch aktuell

Ich feiere ein Jubiläum, denn dies ist die 40. Saison der Ruhrfestspiele, die ich besuche. Was ich am letzten Samstag sah, wird bei mir lange in guter Erinnerung bleiben. Die Bühne war spärlich eingerichtet – zwei Tische und drei Stühle –, doch das war gut so, denn der 80-minütige Monolog von Patrice Chéreau lebte von den gesprochenen Worten und der Darstellung des Künstlers. Chéreau trug zwei Kapitel aus dem Roman „Die Brüder Karamasow“ von Fjodor Michailowitsch Dostojewski auf Französisch vor, während ein großer Teil der Übersetzung über der Bühne zu lesen war. Der Inhalt: Zunächst wird an mehreren Beispielen von Gewalt gegen Tiere und Menschen gesprochen. Anschließend erzählt Chéreau über Jesus Christus, der während der spanischen Inquisition auf die Erde zurückkommt, wie vor 2000 Jahren wirkt und (daher) vom Großinquisitor verhaftet wird. Der Großinquisitor wirft Christus vor, dass Er wiederkam, „um uns zu stören“. Schließlich können die Menschen mit der von Christus gepredigten Freiheit nichts anfangen. Die römisch-katholische Kirche herrscht, hat sich eingerichtet und von Christus entfernt.

Leider war die Vorstellung am Samstag nicht gut besucht. So wurden die Besucher, die Karten für den Rang gekauft hatten, ins Parkett verwiesen. Mögen der Zeitpunkt – am späteren Abend war das Champions-League-Finale – oder die Inszenierung in französische Sprache Gründe für den spärlichen Besuch gewesen sein, der Inhalt und der Künstler hätten viel mehr Besucher verdient. Einerseits ist das Stück – leider immer noch – hoch aktuell, obwohl keine Scheiterhaufen mehr lodern. Doch der zeitgleich in Mannheim stattfindende Katholikentag bewies, wie weit die römisch-katholische Amtskirche heute von Jesus Christus entfernt ist. Sie lebt mehr von Dogmen und weniger vom Wort und Wirken Christi. So übte der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller schwere Kritik an „Wir sind Kirche“-Gruppen und sagte: „Es kann nicht sein, dass Leute, die von sich aus nichts zustande bringen, sich an die großen Veranstaltungen dranhängen und eine parasitäre Existenzform bringen.“ Man darf annehmen, dass ein Bischof weiß, was er sagt. Der Schritt ist nicht weit, wo aus parasitären Existenzformen Menschen als Parasiten bezeichnet werden. Wohin die Entmenschlichung führt, weiß man aus der Geschichte. Neben der Aktualität des Stückes ist Patrice Chéreaus überzeugende Darstellung hervorzuheben. Die Zuschauer erlebten großes Theater, das seinem Anspruch voll gerecht wurde und zum Nach- und Mitdenken anregte. Sie dankten es zu Recht mit viel Applaus.

Autor:

Ewald Zmarsly aus Recklinghausen

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