Neues Buch des Heimatvereins
Wie die Ratinger die Demokratie abwählten

Vorne von links: Dr. Klaus Wisotzky, Michael Lumer und Franz Josef Schlößer. Dahinter: Heiko Knappstein (l.) und Erik Kleine Vennekate vom Stadtarchiv. | Foto: Thomas Zimmermann
  • Vorne von links: Dr. Klaus Wisotzky, Michael Lumer und Franz Josef Schlößer. Dahinter: Heiko Knappstein (l.) und Erik Kleine Vennekate vom Stadtarchiv.
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Verheerende Arbeitslosigkeit als Folge der Weltwirtschaftskrise, mächtige Kundgebungen der Kommunisten, die Spaltung der SPD durch die Gründung der sozialistischen Arbeiterpartei (SAP), gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen nationalistischen und sozialistischen Gruppen, der steile Aufstieg der NSDAP, offener Antisemitismus und 1933 schließlich die Koalition der bürgerlichen Parteien mit den Nationalsozialisten - all das hat nicht nur in Geschichtsbüchern oder im fernen Berlin stattgefunden, sondern auch mitten in Ratingen. Der zweite Band "Ratingen in der Weimarer Republik" veranschaulicht diese Ereignisse auf ebenso lebendige wie eindringliche Weise.

Die Entwicklungen der deutschen Geschichte auf die Ratinger Verhältnisse herunterzubrechen und dadurch für jeden greifbar und nachvollziehbar zu machen, das war immer das Bestreben von Herrmann Tapken. Jahrzehntelang hat der längst pensionierte Geschichtslehrer des Ratinger Innenstadt-Gymnasiums im Stadtarchiv deswegen Quellen erforscht und ausgewertet
.
Gestützt hat der inzwischen 83-Jährige sich dabei vor allem auf Artikel der Tagespresse - von der nationalsozialistischen "Volksparole" über die national-konservative "Ratinger Zeitung" bis zur kommunistischen "Freiheit." Die von ihm ausgewählten Zeitungsausschnitte, die exemplarisch den Ratinger Alltag am Ende der Weimarer Republik dokumentieren, sind auch für heutige Leser sehr informativ und lebendig geschrieben.

Zusätzlich aufgelockert und illustriert wird der Band durch zahlreiche Fotografien und Abbildungen, die Erik Kleine Vennekate und Heiko Knappstein aus dem Bestand des Stadtarchivs beisteuerten. Die Gliederung und abschließende Überarbeitung der Kommentare besorgte - für den inzwischen gesundheitlich angeschlagenen Tapken - Dr. Klaus Wisotzky.

Dass der frühere Leiter des Stadtarchivs (1986-1995) diese Aufgabe im ersten Jahr seines Ruhestands übernommen hat, nennt Michael Lumer, der Vorsitzende des Ratinger Heimatvereins, "einen Glücksfall". Genauso wie die Gestaltung durch Franz Josef Schlößer, einem weiteren Mitglied seines Vorstandsteams.

"35 wichtige Jahre vorbildlich aufgearbeitet"

Das Quellen- und Lesebuch vollendet das lokalgeschichtliche Vermächtnis Tapkens, denn dank seiner Vorarbeit sind die Jahre 1914 bis 1949 für Ratingen nun "vorbildlich aufgearbeitet", wie Erik Kleine Vennekate betont: "Darum beneiden uns viele Städte im Kreis", sagt er, "denn wir können zum Beispiel Schulklassen sehr gutes Material zu diesen sehr wichtigen 35 Jahren deutscher Geschichte zur Verfügung stellen." Zuletzt hat ein Projektkurs der Martin-Luther-King-Gesamtschule diesen Service in Anspruch genommen.

"Auch deshalb ist uns so wichtig, dass diese Dokumente veröffentlicht wurden", betonte Michael Lumer, der erst vergangene Woche von Landrat Thomas Hendele mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet wurde. Verlegt werden konnte der Band aber nur, weil er eine Jahresgabe für die Mitglieder des Heimatvereins ist. Ihre Beiträge und Spenden haben die Veröffentlichung ermöglicht. Im Handel ist das Buch für 24,95 Euro erhältlich.

Ein Drittel der Ratinger erhielt Unterstützung

Dafür erhält der Leser spannende Einblicke in die sich zuspitzenden Entwicklungen und die politische Radikalisierung von 1930 bis zur "Machtergreifung" durch die Nazis. Er erfährt, wie das Leben in der Kleinstadt Ratingen aussah, nachdem der Crash an der New Yorker Börse im Oktober 1929 eine weltweite Krise ausgelöst hatte. Wegen der katastrophalen Wirtschaftslage litten damals viele Ratinger Hunger, ein Drittel von ihnen war 1932 auf Unterstützungsleistungen angewiesen.

"Außerdem war die Arbeitslosigkeit damals viel sichtbarer als heute", erklärt Dr. Wisotzky. Nicht nur durch die Schlangen vor den Arbeitsämtern, sondern auch durch die Erwerbslosen, die sich auf dem Marktplatz trafen und den Umsturz des Systems forderten.

Antisemitismus wurde offen propagiert

Während die Linken mit Klassenkampfparolen die Grundlagen der Republik in Frage stellten, organisierten sich die rechten Republikfeinde unter der Fahne der Nationalsozialisten. Untereinander bekämpften sich die beiden Gruppen damals buchstäblich bis aufs Blut. "Mit dem Aufstieg der NSDAP nahm die Gewaltätigkeit der Auseinandersetzung auch in Ratingen eindeutig zu", erklärt Wisotzky. Dokumentiert ist etwa der Tod eines Jungarbeiters in Folge eines nächtlichen Zusammenstoßes zwischen SA-Angehörigen und einer Gruppe Kommunisten im Juni 1932. Auch offener Antisemitismus zu dieser Zeit ist in Ratingen belegt. So ruft ein ein arbeitsloser Ingenieur und Nationalsozialist in einem Leserbrief zu einem Boykott gegen eine jüdische Kinderärztin auf.

Gleichzeitig wurde durch die Notstandsgesetze der Einfluss der Parlamente, auch des Ratinger Stadtrats, mehr und mehr ausgehebelt. Lange hatte in Ratingen das traditionell starke katholische Milieu mit einem "Ordnungsblock", also einer Koalition der Bürgerlichen, die Geschicke der Stadt gelenkt. Bei den Stadtratswahlen am 12. März 1933, sechs Wochen nachdem Hitler Reichskanzler wurde, erzielt die NSDAP dann aber 34,8 Prozent der Stimmen.

1933 koalierten NSDAP und der Ordnungsblock

Weil KPD und SPD ausgeschlossen werden, verfügten die Nationalsozialisten mit dem Ordnungsblock über eine Mehrheit von 14 von 22 Sitzen. "Noch im April tritt der Ordnungsblock zur NSDAP über. Der Rat verliert seine Funktionen an die Ausschüsse", heißt es auf der Zeittafel am Ende des Bandes. Die Demokraten hatten verloren.

Autor:

Thomas Zimmermann aus Ratingen

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