"Sie nahmen mir meinen Vater" - Die Biografie eines Kriegskindes
Als fünfjähriges Mädchen muss die kleine Helga Brose durch das heimische Hoffenster im ostpreußischen Rosenberg heimlich beobachten, wie sich eines Tages zwei Gestapo-Beamte in der Küche vor ihrem Vater Johann breit machen, der gerade beim Abendbrot zu Tisch sitzt.
Es sind eher schemenhafte Erinnerungen. Da waren ganz sicher diese Stiefel der SS-Männer, die Pistolen, die in den schwarzen Lederhalftern steckten, und dann plötzlich auch Handschellen. Dann war da vor allem diese dunkle Angst, ein klopfendes Kinderherz, dieses Gefühl von Ohnmacht, ganz sicher, und auch heute noch spürbar. Und waren da nicht auch kurz darauf diese gaffenden Nachbarn am Zaun, die einfach nur zuschauten und neugierig glotzten, als der Vater schließlich abgeführt wurde? Hier zieht Nebel in den Erinnerungen auf. Es sind die letzten Bilder, die der kleinen Helga von ihrem Vater bleiben werden. Eine Belastung für das ganze Leben – zumal im Laufe der Jahre immer deutlicher wird: Es war die eigene Mutter, die den Ehemann und Vater an die Schergen der SS verriet…
Heute, über sechs Jahrzehnte später, hat die Monheimerin Helga Panitzky, die kleine Helga Brose vom Küchenfenster, ihre Kindheitserinnerungen und die daraus später erwachsene Spurensuche in einem Buch zu Papier gebracht. „Von der Seele geschrieben“, wie sie selber sagt. Als eine Art Spättherapie für sich selbst, aber auch als Mahnmal für die Zukunft, um ewig „an die größte Seuche des 20. Jahrhunderts“ zu erinnern.
Nach dem Tod ihrer Mutter, mit dem auch das familiäre Tabuthema verstorben war, begann Helga Panitzky immer intensiver nachzuforschen und führte im Berliner Bundesarchiv letztlich auch schwarz auf weiß in verstaubten Akten das zu Tage, was sie schon immer geahnt hatte. „Meine Mutter hat meinen Vater angezeigt, weil die Ehe offenbar zerrüttet war.“ Das Vergehen von Johann Brose? „Er hatte offen gegen Hitler opponiert“, fand Helga Panitzky heraus, „hatte Goebels in der Kneipe als ‚Klumpfuß‘ verhöhnt.“ In Nazi-Deutschland ein Vergehen, an dessen Ende das Fallbeil stand. Auch so konnte man sich 1945 des ungeliebten Ehemanns entledigen.
„Sie nahmen mir meinen Vater – Die Autobiografie eines Kriegskindes“ lautet die 284 Seiten starke Anklage und gleichzeitige Vergangenheitsbewältigung der heute über 70-jährigen Monheimerin. „Tränen Wut und Schmerzen“ habe sie das Schreiben gekostet, berichtet die Autorin. „Und ich konnte das auch erst nach dem Tod meiner Mutter vor sieben Jahren angehen, wollte sie nicht zu Lebzeiten beschädigen. Nach langem Ringen um die Form und die rechtlichen Aspekte begann ich dann mit meinem Vorhaben“, immer unterstützt von Ehemann Klaus.
Heraus kam ein wahrer Bericht von einem wahren Leben, zum Nachdenken und zur Mahnung, mit 41 Bildern und 13 eingepflegten Original-Dokumenten, die das Grauen einer längst vergangenen Zeit aufflackern lassen, die wahre Geschichte von Johann und Elise Brosowski, die irgendwann nur noch Brose hießen, weil ein gewisser Adolf Hitler die polnisch klingenden Namen nicht so mochte, und von ihren Söhnen Heinz, Erwin, Richard und der kleinen Tochter Helga, denen der Vater durch die eigene Mutter genommen wurde.
Helga Panitzkys Autobiografie ist bei Books on Demand mit der ISBN 978-3-8423-8395-1 erschienen.
Autor:Thomas Spekowius aus Monheim am Rhein |
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