Rausschmiss auf der Camping-Anlage in Kamp-Lintfort Altfeld
Bertrand Russell formulierte 1918 das Barbier-Paradoxon mit folgenden Worten: „Man kann einen Barbier definieren als einen, der nur diejenigen, die sich nicht selbst rasieren, rasiert. Die Frage ist: Rasiert der Barbier sich selbst?“
Bei der Unternehmung, die Frage zu beantworten, ergibt sich ein Widerspruch: Angenommen der Barbier rasiert sich selbst, dann gehört er zu den Personen, die er per Definition nicht rasiert, was der Grundannahme widerspricht. Angenommen es handelt sich um das Gegenteil und der Barbier rasiert sich nicht selbst, dann erfüllt er selbst die Eigenschaft derer, die er rasiert, entgegen der Grundannahme.
Sie sind verwirrt? So oder so ähnlich ergeht es derzeit den Menschen auf der Freizeitanlage in Altfeld in Kamp-Lintfort. Denn nichts anderes ist dort geschehen - zugegebenermaßen weniger kompliziert, was aber nichts an dem Status der völligen Paradoxie ändert.
Die Freizeitanlage wirbt wie fast alle Campinganlagen in Deutschland mit der Möglichkeit, seinen Erstwohnsitz dort anzumelden zu können. So weit so gut. Im Falle Altfeld funktioniert dies auch seit über 40 Jahren reibungslos - alles im Einverständnis mit der Stadt.
So groß war das Einverständnis, dass die Forderung seitens der Stadt, Neulinge zu verpflichten, diesen Wohnsitz als ihren Erstwohnsitz anzumelden, dem Ganzen Brief und Siegel verlieh. Keine Ermahnungen, Verwarnungen, alles anmeldetechnisch legitimiert. Unglücklich nur, dass ein anderes Gesetz der Bauverordnung besagt, dass der permanente Aufenthalt auf einem Campingplatz nicht erlaubt ist.
Stehen 321 Kamp-Lintforter Bürger der Freizeitanlage Altfeld bald auf der Straße?
Zusammengefasst: Die Stadt verlangt den Status des Erstwohnsitzes, der die Menschen legitimiert, das ganze Jahr in ihrem Zuhause zu leben; das Land NRW verbietet selbiges. Da beißt sich die Katze doch in den eigenen Schwanz, will man meinen. Die Leidtragenden sind die Menschen, die hier ein Häuschen haben. Denn all die sollen - laut Meinung des Landes - bald ausziehen. Ins Rollen gekommen war die ganze Angelegenheit durch die Petition eines ehemaligen Bewohners - ebenfalls mit Erstwohnsitz in Altfeld-, die über das Bauministerium in Düsseldorf der Stadt übermittelt wurde.
Einer der Bewohner ist Wilfried Proboll, der mit seiner Gattin Edeltraut seit Juli 1998 hier lebt. Er ist einer der 231 Personen, die ihren Erstwohnsitz hier angemeldet haben. Warum er hier wohnt? „Ich bin ein Naturbursche, durch und durch. Ich liebe die Natur und genieße es jeden Tag. Hier gibt es Natur pur: Vom Kamper Berg bis zur holländischen Grenze. Auch unsere Hunde sind begeistert über den großen Freilauf, den sie hier fern der Großstadt nutzen.“ Alle Annehmlichkeiten könne er hier genießen, sagt Wilfried Proboll, „und die Nachbarschaft ist klasse. Hier hilft jeder jedem, nicht so anonym wie in der Stadt.“
Keine Probleme bei der Anmeldung.
Als er von Moers hierher zog, gab’s gar keine Probleme seitens der Stadtverwaltung Kamp-Lintfort. „Da hat niemand einen informiert, dass das eigentlich gar nicht erlaubt sein soll.“ Und auch Aufforderungen seitens der Stadt blieben aus, sich nicht das ganze Jahr im Eigenheim aufzuhalten.
Für noch mehr Kopfschütteln sorgt bei den Bewohnern die Tatsache, dass benachbarte Freizeitanlagen, wie beispielsweise die Grav-Insel in Wesel, immer noch mit der Möglichkeit werben, den Erstwohnsitz problemlos anmelden zu können. Dabei gilt das Gesetz schließlich NRW-weit. Der Amtsleiter der Baugenehmigungsbehörde der Stadt Kamp-Lintfort, Ralf Angenendt, äußert sich wie folgt: „Wie bereits […] ausgeführt, wird ein Einschreiten für alle mir bekannten Fälle des rechtswidrigen Dauerwohnens auf Campingplätzen im Stadtgebiet erfolgen müssen, soweit das Ministerium nicht von seiner Forderung nach einem Einschreiten abweicht.“
„Dass solche Aussagen für Empörung sorgen, ist nachvollziehbar“, sagt Wilfried Proboll. „Eine Rechtswidrigkeit war es für die Stadt Kamp-Lintfort nie, sonst hätte ich mich doch hier nie anmelden dürfen.“ Darüber hinaus stößt ihm der Passus „soweit das Ministerium nicht von seiner Forderung nach einem Einschreiten abweicht“ bitter auf. „Die Stadtverwaltung Kamp-Lintfort könnte doch einfach davon abweichen, da ansonsten der Stadt jährlich circa drei bis vier Millionen Euro Einnahmen verloren gingen. Das weiß auch unser Bürgermeister. Aber der hat keinen Mumm in den Knochen, obwohl er genau weiß, dass in NRW und ganz Deutschland sehr viele Campingplätze Erstwohnsitze anbieten. Insgesamt sind das um die 550.000 Menschen, die kann man doch nicht einfach alle rausschmeißen.“
Denn das würde dann der Fall sein, wie Ralf Angenendt bezogen auf die Stadt Kamp-Lintfort, erläutert: „Im ersten Schritt werden jedoch zunächst nur die Personen angeschrieben, die ihren Hauptwohnsitz nach dem 1.Mai 2013 auf einen Campingplatz verlegt haben. Sollte dies auch auf Bewohner des benachbarten Campingplatzes ,Eldorado‘ zutreffen, würden diese selbstverständlich - im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes - mit erfasst.“ Das alles wollen sich aber die Bewohner der Freizeitanlage Altfeld nicht gefallen lassen. Allen voran Platzbetreiber Dietmar Harsveldt. Er hat bereits angekündigt, rechtlich dagegen vorzugehen. „Und wenn es bis zum Europäischen Gerichtshof geht“, ergänzt Wilfried Proboll. Auf die Frage, wie die Stimmung unter den Betroffenen sei, lächelt er entspannt. „Die Stimmung ist sehr gut, wir sind davon überzeugt, dass es einen positiven Rechtsspruch für uns geben wird und so ein Verfahren kann Jahre dauern.“
Autor:Regina Katharina Schmitz aus Dinslaken |
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