Stückweiser Abschied von einem guten, alten Freund
Als wir uns damals in den 80ern kennen lernten,
war er ein Baum wie ein ganzer Kerl. Schon im ersten Frühjahr übertraf seine Strahlkraft alles, was sich in der Nähe befand. Hoch aufgeschossen war er und schien weiter in den Himmel wachsen zu wollen.
Jahr für Jahr gab es eine reichliche Ernte und fiel sie mal nicht so üppig aus, war es dem Wetter zur Blütezeit geschuldet.
Er ließ mich bis in seine Spitze klettern
und mit dem Obstpflücker seine Kirschen ernten. Eimerweise!
Nun ist er alt, mein Freund der Kirschbaum. Schon vor Jahren begann er mit seinen ersten Alterserkrankungen. Die trockenen Äste konnte ich immer wieder mit chirurgischen Schnitten der Teleskopsäge entfernen, so dass er noch blendend aussieht.
Tapfer trug er über viele Jahre hinweg den Meisenkasten
für die gefiederten Freunde. Er blühte immer noch kräftig, trug aber weniger Früchte aus und bildete auch weniger Laub.
Nun gut, heute wird er auch in jeder Phase stark geplündert. Habe ich früher im Garten in die Hände geklatscht, flogen 2 Tauben und 3 Stare aus dem Baum. Heute sind es
ganze Geschwader von Tauben, Dohlen, Elstern, Krähen, Staren, Drosseln, Amseln
und anderen Kleinräubern. Sie picken sich von der ersten weißen Blüte bis zur letzten roten Kirsche durch den Baum. Man muss sich wundern, dass sie bei einem Alarmstart nicht alle zusammen stoßen. Ich muss mich dann schon ranhalten, damit ich überhaupt ein paar Kirschen abbekomme, zumal mein Kirschbaum der letzte ist, der noch da ist. In der Nachbarschaft gibt es keinen mehr.
Als in nun am letzten Donnerstag nach Hause kam,
sah ich durch das Fenster sogleich die Tragödie, die sich abgespielt hatte. Der Altweibersturm hatte den dicksten Ast aus dem Kirschbaum heraus gebrochen und in den Garten geworfen. Hatte mein Baum früher solche Angriffe immer überstanden, so war er nun, auch ohne Blätter, nicht mehr in der Lage, dem Sturm zu trotzen.
Nachdem ich den Ast zerlegt, weggeräumt und Beigrün befreit hatte,
werde ich wohl in den nächsten Tagen meinem Freund die kräftige Krone stark stutzen und ihm einen Messerschnitt verordnen, so dass er im Frühjahr wieder in einem Grünen Kleid dastehen kann. Vielleicht hat er noch ein paar Jahre......
Autor:Elmar Begerau aus Kamp-Lintfort |
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