STADTSPIEGEL-Interview: Vanessa Pinto Lemos (20) aus Ihmert lebt ein Jahr als Au-pair in New York
Nach dem Abitur direkt an die Uni? „Noch nicht“, dachte sich die heute 20-jährige Vanessa Pinto Lemos aus Ihmert. Lebenserfahrungen in einem anderen Land zu sammeln, das stand bei der Ihmerterin ganz oben auf ihrer Zukunftsliste. Gesagt, getan! Am 7. Juli 2014 war sie in New York gelandet - als Au-pair. Nach einer dreitägigen Einweisung in Tarrytown rund um Themen wie Notfallnummern, Verkehrsordnungen, Ansprechpartnern in der Organisation und Erste Hilfe wurde sie von ihrem „Hostdad“ abgeholt und in ihrem Zuhause auf Zeit von dem Rest der Familie mit Willkommensschildern empfangen. Sie hat sich trotz stressigem Alltag Zeit für ein Interview genommen.
Über welche Organisation bist Du als Au-pair in die USA vermittelt worden?
Vanessa Pinto Lemos: Es gibt viele verschiedene Organisationen. Ich habe mich für AIFS entschieden, weil diese die allererste Organisation war, die Au-pairs nach Amerika vermittelt hat. Neben Amerika bietet die Organisation auch Ziele an wie Australien, Costa Rica, China, Neuseeland, Südafrika, Kanada, England und Irland.
Konntest Du Dir die Stadt aussuchen?
Vanessa Pinto Lemos: Ich hätte es angeben können, dann wäre die Auswahl an Hostfamilys aber um einiges geringer geworden. Im Normalfall wird deine Bewerbung durch ganz Amerika geschickt. In meinem Fall hat es perfekt gepasst, weil meine Hostfamily nur 20 Minuten von meiner Tante und meinem Cousin entfernt wohnt. Also ich habe einen Teil meiner Familie sehr nah bei mir.
Man hat ein Profil, ähnlich wie bei Facebook, mit Bildern, Bewerbungsvideo und all deinen Childcare-Referenzen, und dieses Profil können die Hostfamilys sehen und wenn sie Interesse haben, und dann schreiben sie dich an.
Wie bist Du überhaupt auf die Idee gekommen, so etwas zu machen, und warum fiel Deine Wahl auf die USA?
Vanessa Pinto Lemos: Eine damalige Schülerin hat es uns in der Schule vorgestellt. Sie hatte ihr Au-pair-Jahr direkt nach ihrem Abitur gemacht und uns über ihre Erfahrungen berichtet. Mich hat es total interessiert, weil es unter anderem auch eine Pause ist nach 13 Jahren Schule und ich sehr gerne mit Kindern arbeite. Mir hat die Kombination von neuer Kultur, anderem Familienleben und Reisen einfach gefallen. Die USA hat mich schon immer interessiert. Und als ich 2013 meine Familie in New York besucht habe, wusste ich, dass ich hier gerne mal länger bleiben würde. In dem Jahr habe ich auch einiges über die USA gelernt, was man als Tourist zum Beispiel nicht so mitbekommt. Zum Beispiel wird die Gesundheitsversicherung in drei Kategorien unterteilt, Allgemeinarzt, Zahnarzt und Medikamente. Man braucht theoretisch drei Versicherungen nur alleine für die Gesundheit. Ohne Medikamenten-Versicherung kann es schnell zu 150 US-Dollar für ein Antibiotikum kommen.
Ist es für Dich das erste Mal, dass Du längere Zeit im Ausland verbringst?
Vanessa Pinto Lemos: Es ist das erste Mal, dass ich für ein ganzes Jahr im Ausland bin. In 2012 war ich für einen Monat in Brasilien im Kinderheim von Pater Beda, um dort ein freiwilliges Praktikum zu absolvieren.
Wie ist Dein Tagesablauf, und hast Du auch Urlaub?
Vanessa Pinto Lemos: Ich passe auf vier Kinder auf (aktuelle Alter), Emma (17 Monate), Jack (2 1/2 Jahre), Julia (7 Jahre) und Ryan (9 Jahre und Autist). Mein Morgen beginnt um 6.30 Uhr, beide Hosteltern verlassen um diese Zeit das Haus, um zur Arbeit zu gehen. Das bedeutet, ich kümmere mich um vier Kinder, bis Ryan und Julia um 8.20 Uhr vom Bus abgeholt werden. Sie sind bis 16 Uhr in der Schule. Ich mache Frühstück für die Kinder und organisiere den Morgen, damit Ryan und Julia fertig sind, bevor der Bus kommt. Sobald die Ältesten in der Schule sind, verbringe ich die Zeit unter anderem mit spielen, natürlich Windeln wechseln sowie Mittagessen machen. Während die Kinder nach dem Essen schlafen, räume ich auf und mache sauber. Um 15.30 Uhr kommt dann die Hostmom nach Hause und mein Arbeitstag ist beendet. In meiner Freizeit unternehme ich viel mit anderen Au-pairs in der Umgebung, wie Dinner Party oder Drive-in Movies. Die Wochenenden verbringe ich meistens in New York City, wenn das Wetter schön ist, oder bei meiner Familie. Natürlich nehme ich an Veranstaltungen meiner Hostfamilie teil - wie Kommunion, Geburtstage und Beachpartys. In meiner Zeit hier bekomme ich zwei Wochen bezahlten Urlaub. Die erste Woche habe ich in New York verbracht, weil es über Weihnachten war. Die zweite Woche bin ich nach Los Angeles geflogen und habe bei dem Bruder meines Hostdads gewohnt. Der arbeitet in den Warner Bros. Studios für Conan O’Brien. Bei einer Führung durfte ich mir die Studios angucken und saß bei der Show im Publikum.
Unter anderem habe ich mir dort auch die Universal Studios angeguckt, bei denen mir Celebrities wie Mario Lopez und Ludacris über den Weg gelaufen sind.
Was war bisher Dein schönstes, spannendstes Erlebnis und, falls es das gab, Dein schlimmstes?
Vanessa Pinto Lemos: Das schönste Erlebnis würde ich sagen war LA, einfach eine andere Kultur und ein ganz anderes Klima zu erleben, aber immer noch im selben Land zu sein, das war erstaunlich. Die ganzen Hollywood-Momente und die schönen Strände. Dennoch ist jeder Moment mit den Kindern unvergesslich. Die ersten Schritte mit Emma zum Beispiel und jedes Mal, wenn die Kinder mich zum Lachen bringen. Atemberaubend ist es, wenn man einfach ziellos durch die Straßen läuft oder mit Freunden im Central Park entspannt, es ist einfach ein anderes Lebensgefühl als in Ihmert. So wirklich einen schlimmen Moment gab es nicht, natürlich nörgeln die Kinder mal rum oder wollen ihre Hausaufgaben nicht machen, aber das bezeichne ich nicht als schlimm.
Gibt es etwas, das Du noch unbedingt sehen und erleben möchtest in den USA?
Vanessa Pinto Lemos: Ich würde sehr gerne andere Staaten in den USA besuchen, vor allem Hawaii und die Südstaaten. In Kalifornien gibt es auch noch sehr viel, was man in einer Woche nicht alles sehen konnte.
Wie erlebst Du die Amerikaner, und hattest Du vielleicht mit Vorurteilen zu kämpfen, weil Du aus Deutschland kommst?
Vanessa Pinto Lemos: Amerikaner habe ich als sehr nette und zuvorkommende Menschen kennengelernt. Natürlich gibt es immer mal Ausnahmen, aber insgesamt sind sie sehr hilfsbereit. So wirklich mit Vorurteilen musste ich nicht kämpfen, dennoch habe ich mal den einen oder anderen Witz über Deutsche gehört. Amerikaner im Allgemeinen sind sehr an dem europäischen Lebensstil interessiert, sie fragen viel über Kultur und Politik und vor allem, was für Unterschiede es in Deutschland gibt im Vergleich zu den USA. Von jedem jugendlichen Amerikaner kann man eigentlich die Frage erwarten, ob man schon auf der Autobahn gefahren ist. Genauso ist es für Amerikaner sehr erstaunlich, dass wir nur eine siebenstündige Autofahrt von Paris entfernt sind. Wenn man von Manhattan aus sieben Stunden Upstate fährt, ist man immer noch in New York.
Wie ist es, mit einer fremden Familie zusammenzuleben, und hast Du manchmal Heimweh? Wie kommen Deine Eltern und Deine Schwester mit der vorübergehenden Trennung klar?
Vanessa Pinto Lemos: Mit einer fremden Familie zu leben, ist nicht immer einfach. Man muss sich an eine neue Umgebung und andere Persönlichkeiten gewöhnen, und die Essensgewohnheiten sind anders. Dennoch klappt es ganz gut. Ich versuche mich so gut wie möglich anzupassen, und meine Gastfamilie bemüht sich wirklich, es mir einfacher zu machen.
Am ersten Tag ist die Hostmom erstmal mit mir einkaufen gegangen, damit ich ihr zeigen kann, was mir schmeckt, und sie weiß, was sie zukünftig kauft für mich. Natürlich gibt es auch verschiedene Regeln, das war mir aber bewusst, da ich mehrere Male mit der Familie geskypt habe, bevor ich eine Entscheidung getroffen habe.
So wirklich Heimweh habe ich nicht, denn es ist sehr hilfreich, dass ich meine Tante und meinen Cousin hier habe. Natürlich denke ich mir manchmal, es wäre schön, jetzt Mama und Papa hier zu haben, aber ich bin meistens sehr beschäftigt, die Zeit vergeht sehr schnell. Ich glaube, für meine Eltern und meine Schwester ist es schwerer als für mich. Meine Schwester hat mich im Oktober zu ihrem Geburtstag besucht und meine Eltern waren im März zu meinem Geburtstag hier. Natürlich habe ich die Zeit genossen und es war schön, sie nach so langer Zeit wiederzusehen, dennoch war der Abschied da umso schwerer.
Was hast Du bisher gelernt während Deines Aufenthaltes?
Vanessa Pinto Lemos: Also mein Englisch hat sich definitiv verbessert, und ich würde es auch jedem raten, der sich sprachlich verbessern möchte, ein Auslandsjahr zu machen. Ich würde sagen, ich habe gelernt, im Chaos die Ruhe zu behalten, denn mit vier Kindern, von denen eines Autist ist, ist Chaos nicht auszuschließen. Da ist es wirklich wichtig, die Ruhe zu behalten. Natürlich ist man ein wenig selbstständiger geworden. Man hat niemandem, der hinter einem herläuft und aufräumt. Aber ich glaube, für mich war es keine große Umstellung, denn eigenständig war ich vorher auch schon.
Welche Tipps kannst Du anderen geben, die für eine längere Zeit ins Ausland möchten?
Vanessa Pinto Lemos: Ganz wichtig ist es, dass man sich bewusst ist, dass man ein Jahr von Zuhause weg ist, denn es ist für beide Seiten schwer, eine solche Entscheidung zu treffen. Worauf man auch sehr achten sollte, ist, dass man sich Zeit lässt bei der Wahl der Hostfamilie. Auch wenn man es nicht abwarten kann, dass es endlich los geht, sollte man sich extra Zeit nehmen, eine Entscheidung zu treffen. Wenn man sich wirklich Zeit nimmt, die richtige Familie zu suchen, ist es auch unwahrscheinlich, dass man das Jahr früher abbricht oder eine neue suchen muss. Ich würde es jedem empfehlen.
Wenn Du wieder zurück bist, welche Pläne hast Du für Deine Zukunft?
Vanessa Pinto Lemos: Bevor ich mein Jahr in Amerika angetreten bin, habe ich mich um einen Ausbildungsplatz als Krankenschwester im St. Elisabeth Hospital in Iserlohn gekümmert. Ich werde im Oktober 2015 meine Ausbildung anfangen, daher kann ich auch nicht auf ein zweites Jahr verlängern.
Autor:Karola Schröter aus Hemer |
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