Hebammenberuf - Traum oder Alptraum?

Julia Auer ist eine der wenigen verbliebenen Hebammen in der Region, die noch Hausgeburten anbieten.
  • Julia Auer ist eine der wenigen verbliebenen Hebammen in der Region, die noch Hausgeburten anbieten.
  • hochgeladen von Christoph Schulte

„Nicht wenige aus meinem Verwandten- und Bekanntenkreis haben mich seinerzeit für verrückt erklärt“, erinnerte sich Julia Auer noch genau, „doch Hebamme war und ist nun mal mein Traumberuf.“

Auch die gebürtige Hildesheimerin selbst zeigt durchaus Verständnis für die damaligen Bedenken aus ihrem persönlichen Umfeld, denn nach Ablauf ihrer Bundeswehrzeit als Sanitätssoldatin in der Hemeraner Blücherkaserne hätte sie den Anschlussvertrag für eine Beamtenstelle nur noch unterschreiben müssen.
Doch statt der finanziellen Absicherung entschloss sie sich 2005, selbstständige Hebamme zu werden - mit allen damit verbundenen Einschränkungen, wie sich im Gespräch schnell herausstellt. Urlaub? „Seit vier Jahren nicht mehr.“ Theater oder Kino? „Fast unmöglich, da es dort nur selten Handy-Empfang gibt.“ Feiern? „Nur ausnahmsweise, aber dann natürlich ohne Alkohol, weil ich ja jederzeit zu einer Geburt gerufen werden kann.“ Selbst für einen längeren Waldspaziergang mit ihrem Hund informiere sie zunächst immer eine Kollegin. „In der Tat ist man als Hebamme in ständiger 24-Stunden-Bereitschaft.“
Dabei gehen die Aufgaben einer Hebamme weit über das hinaus, was im Allgemeinen als „Geburtshilfe“ bezeichnet wird. „Wir Hebammen begleiten die Frauen - natürlich nur, falls das gewünscht wird - während der gesamten Schwangerschaft und noch darüber hinaus“, so Julia Auer, „bei uns gibt es quasi alles aus einer Hand.“ Schließlich dürfen Hebammen alle Tätigkeiten rund um die Betreuung normaler Schwangerschaften, sowie physiologischer Geburten, mit allem was dazu gehört, und die Wochenbettbetreuung allein und ohne ärztliche Anordnung oder Anwesenheit durchführen.
Das fängt bereits bei der Feststellung einer Schwangerhaft an, geht weiter über fast alle Vorsorgeuntersuchungen, Hilfeleistungen bei typischen Schwangerschaftsbeschwerden sowie psychologischer Betreuung u.a. bei plötzlich auftretenden Ängsten.

Schwangerenversorgung aus einer Hand

Es folgen die Vorbereitung auf die Geburt sowie die unmittelbare Geburtshilfe entweder in einer Klinik oder zuhause. Anschließend kümmern sich Hebammen noch bis zu acht Wochen um die medizinische, psychologische und soziale Nachsorge der jungen Mütter und Kinder und bieten auch sog. Rückbildungsgymnastik an.
Landläufig werden Hebammen in erster Linie mit dem Thema Hausgeburt in Verbindung gebracht. Doch das ist bei weitem nicht so. „Von den rund 50 bis 60 Geburten pro Jahr, die ich begleite, sind nur acht bis zehn Hausgeburten. Alle anderen begleite ich in die Klinik.“ Auch dort muss eine Hebamme bei der Geburt anwesend sein, da es gesetzlich vorgeschrieben ist, dass ein Arzt eine Hebamme hinzuziehen muss ( Was umgekehrt nicht so ist). Für Julia Auer ist das inzwischen das Marien-Hospital in Schwerte, wo sie einen Vertrag als Beleghebamme hat, da die Hemeraner Paracelsus-Klinik vor einigen Jahren ihre geburtshilfliche Abteilung geschlossen hat.
Aber auch zu Hausgeburten fahre sie immer zusammen mit einer Kollegin. „Aus Sicherheitsgründen, denn auch wenn es in ganz Deutschland pro Jahr lediglich rund 100 ,Schadensfälle‘ bei knapp 640.000 Geburten gibt, kann immer etwas passieren.“
Und genau hier liegen die Gründe, die aktuell aus dem „Traumberuf Hebamme“ immer mehr einen Alptraum werden lassen: die Berufshaftpflicht-Versicherung für einen der ältesten Frauenberufe der Welt. „Zum einen ist der Versicherungsbeitrag von rund 500 Euro jährlich im Jahr 2005 auf inzwischen 5.100 Euro gestiegen, was sich kaum noch eine freiberuflich tätige Hebamme leisten kann“, so Julia Auer, und zum anderen gebe es aktuell nur noch ganze drei Versicherungen (Bayerische Beamtenkasse, R+V, Nürnberger) die diese Versicherungen überhaupt anbieten und von denen die Nürnberger Mitte 2015 ebenfalls aussteigen will.

Haftpflichtbeitrag hat sich verzehnfacht

Gründe sind Gerichtsurteile mit immer weiter steigenden Schadenssummen (Pflegekosten und entgangenes Einkommen) im Falle eines nachgewiesenen Behandlungsfehlers einer Hebamme, auch wenn die Zahl der Schadensfälle sogar leicht rückläufig ist.
„Wenn sich die verbliebenen Versicherungen auch noch zurückziehen, käme das einem Berufsverbot für uns gleich, denn eben diese Versicherung ist ja Voraussetzung für unsere Tätigkeit“, fürchtet Julia Auer nicht nur katastrophale Auswirkungen für alle freiberuflichen Hebammen, sondern auch ein Zusammenbrechen des ganzen Geburtshilfesystems. „Schließlich setzen auch immer mehr Krankenhäuser aus Gründen der Kostenersparnis ausschließlich auf freiberuflich tätige Beleghebammen.“
Diese dramatische Entwicklung hat inzwischen auch die Politik erkannt und sucht jetzt verstärkt nach Lösungsmöglichkeiten. Die reichen von einer deutlich höheren Vergütung der Hebammen pro Geburt, über einen (teilweisen) Regressverzicht der Sozialversicherungsträger bis hin zu einer grundlegenden Neustrukturierung der Haftpflichtversicherung mit einer Haftungsobergrenze für Hebammen. Bleibt nur zu hoffen, dass schnell etwas passiert, denn sonst gibt es schon bald vielleicht überhaupt keine „echten“ Hemeraner mehr.

Weitere Informationen zum Thema bietet der Deutsche Hebammenverband.

Autor:

Christoph Schulte aus Hemer

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