Ausgezeichnetes Tönnchen
Von der Stadt Hemer erreichte die Redaktion folgende Pressemitteilung:
„Guten Tag, hier ist der Waldschrat!“ Egal, wer ihm gegenübersteht – er wird ehrlich, herzlich und auf eine kumpelhafte Art begrüßt. Jörg „Tönnchen“ Franz wirkt keinesfalls aufgesetzt. Er ist wie er ist: urig und direkt. Großmütter würden ihn als „echte Hemeraner Marke“ bezeichnen. Und dazu ist der 66-Jährige seit 52 Jahren und 37 Tagen ehrenamtlich hoch engagiert. Das Sprichwort „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder heraus“ wird von dem Bundesgeschäftsführer der Deutschen Waldjugend gelebt. Seit 1972 bekleidet er diesen Posten. Mit Feuereifer. Wer sich mit ihm unterhält, spürt förmlich seinen Elan. Einfach mitreißend ist seine Begeisterung für den Wald, mit der er schon tausende Jugendliche angesteckt hat. Vielleicht tut er es in diesem Moment wieder. Vielleicht infiziert er just seinen Sitznachbarn im Schloss Bellevue. Denn „Tönnchen“ ist in die Hauptstadt Berlin gereist. Zum Bundespräsidenten höchstpersönlich. Joachim Gauck wird ihm nämlich heute (6. Juni) das Bundesverdienstkreuz zur Würdigung seiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Umwelt- und Naturschutz verleihen.
Wie Jörg Franz zum Posten des Bundesgeschäftsführers der Deutschen Waldjugend kam? Verschmitzt grinsend sagt er nur zwei Worte: „Aus Faulheit.“ Und pragmatischem Hintergrund. „Wir waren im NRW-Landeslager in Kleve. Weil ich ein Einzelzelt wollte, dachte ich mir: ,Tu mal was!’“ Das Einzelzelt bekam er zugeteilt, „musste aber auf die Chaoten aufpassen“. Franz, der 1966 Gründungsmitglied des Bundesverbandes der Deutschen Waldjugend wurde, wollte einfach die Vorzüge dieser Funktion genießen, ohne viel Arbeit zu haben. „Das hat nicht so richtig geklappt“, gesteht er sich heute lachend ein, möchte die Zeit aber auch nicht missen. 15 bis 20 Stunden pro Woche bringt er für die ehrenamtliche Arbeit auf, hinzu kommen viele Wochenendstunden, wenn von ihm initiierte Landes- oder Bundeslager mit mehr als 500 Teilnehmern auf dem Plan stehen. Es sind die Vorbereitung, die Organisation, die Arbeit mit Jugendlichen in der Natur und der Wissenstransfer, die ihm so unbeschreiblich große (Lebens-)Freude bereiten. „Es passt einfach alles. Ich sitze nicht nur am Schreibtisch, sondern erlebe auch viel Natur.“ Die Natur zu erleben, sie zu spüren, sie zu schätzen, sie zu ehren, sie zu erhalten - das ist es, was „Tönnchen“ Franz antreibt. „Deswegen bin ich mit 16 Jahren schon in den Verein Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V. eingetreten.“ Das war in den 60er Jahren, als er in Altena wohnte, und die Mitgliedsnummern bei der Gründung der Waldjugend alphabetisch sortiert vergeben wurden. Deshalb darf er sich heute als Mitglied Nummer eins in NRW bezeichnen.
Ehrenamtlich wirkt er seit mehr als einem halben Jahrhundert. Die Nachricht von der Verleihung durch den Bundespräsidenten erreichte auch Hemers Bürgermeister Michael Esken. Gemeinsam freuten sie sich, dass ein Hemeraner mit dem Bundesverdienstkreuz direkt im Schloss Bellevue ausgezeichnet wird. Beim Besuch im Rathaus meinte Esken: „50 Jahre sind im Leben eines Menschen eine sehr, sehr lange Zeit, in dem eines Baumes aber eine verschwindend geringe.“ In der Tat hat der Tag auch für den kaufmännischen Angestellten nur 24 Stunden parat. Da können auch hin und wieder Probleme mit dem Arbeitgeber keimen. Franz war im Glück. „Ohne die Großzügigkeit meines damaligen Arbeitgebers in Deilinghofen wäre das nicht möglich gewesen.“ Seinem heutigen Arbeitgeber in Letmathe ist er gleichermaßen dankbar. Dabei bemerkt er am Rande, dass ihm das gesetzliche Rentenalter mehr oder minder gleichgültig ist. „Ich kann noch arbeiten, also tue ich das auch.“
Selbiges gilt für sein astreines Ehrenamt – ein Ende als Bundesgeschäftsführer ist im positiven Sinne kurzfristig nicht in Sicht: „Wenn mir aber eines Tages jemand sagt: ,Alter, es wird Zeit, dass du deine Sachen packst’, dann werde ich das auch tun, ohne eine Träne zu verdrücken.“ Allerdings, und das wird jeder behaupten, der Jörg Franz kennt oder kennenlernen darf, wird das so schnell nicht passieren. Denn „Tönnchen“ ist nicht nur baumstark, sondern mit seinem Posten auch fester verwurzelt, als er vielleicht selbst glaubt. Dass allerdings nichts für die Ewigkeit bestimmt ist, weiß Jörg Franz nur zu gut. Ein Grund den stellvertretenden Geschäftsführer als seinen Nachfolger aufzubauen. „Da spielen die Neuen Medien und Soziale Netzwerke eine wichtige Rolle. Ich kann damit auch umgehen, ich bin halt nicht so schnell wie andere. Und ich brauche das nicht wirklich mehr.“ Da ist er wieder. Die ehrliche und herzliche Hemeraner Marke, die 1960 ihren ersten Baum in Nieringsen gepflanzt hat.
Markant könnte man überdies seine Freundschaften zu allen Bäumen dieser Erde bezeichnen. Der Wald allein sei nicht sein ein und alles. „Ich habe sogar andere Hobbys“, verrät er spitzbübisch. Was? Ehrlich? Pardon – ein ironischer Unterton des Interviewers ist eigentlich nicht angebracht; Tönnchens Art steckt an. Man ist ihr wehrlos ausgeliefert. Jörg Franz verzeiht den Fauxpas schmunzelnd und beantwortet die nicht ganz ernst gemeinten Nachfragen genüsslich: „Mein Motto ist, den Wald zu lieben, aber auf dem Parkett nicht auszurutschen. Ich gehe gerne ins Theater und bin leidenschaftlicher Jäger, aber ohne eine eigene Jagd.“ Es kommt einem in den Sinn, dass der Wald bei letzterem schon wieder im Mittelpunkt steht, diesmal gelingt es jedoch, den Gedanken einzusperren.
Doch der Wald, und das soll betont werden, ist wirklich nicht der einzige Grund dafür, dass Jörg „Tönnchen“ Franz das Bundesverdienstkreuz vom Bundespräsidenten höchst persönlich verliehen wird. Für ihn ist das Ehrenamt das Lebenselixier, scheinbar wichtiger als für den Baum der Regen. Er hat die deutschen evangelischen Kirchtage mitorganisiert, wirkt beim Arbeitskreis Zentraler Jugendverbände mit, brachte sich enthusiastisch in den Umweltausschuss der Stadt Altena ein und fördert heute noch die Jugendarbeit, wo er nur kann. Frei nach der Parole: Was hilft mein Einsatz, wenn es nach mir niemand mehr tut.
Zumindest sind seine Aktivitäten jetzt in der Bundeshauptstadt bekannt. Zu hoffen bleibt im Grunde nur noch, dass sich Bundespräsident Joachim Gauck den heutigen Tag, den 6. Juni 2012, im Kalender rot markiert, drei Kreuze kritzelt oder zumindest zu schätzen weiß, welche Ehre ihm heute zuteil wird, wenn er Jörg „Tönnchen“ Franz mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnet. Wer dem Hemeraner nahe steht, der darf sich sicher sein, dass er es dem Bundespräsidenten auf seine Weise erklären wird: urig und direkt, herzlich und kumpelhaft. Und bei der Verabschiedung wird Joachim Gauck zumindest im Sinn haben: „Da fährt er heim – mein Freund, das Tönnchen.“ Ein Hemeraner eben…"
Autor:Christoph Schulte aus Hemer |
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