Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und die Folgen für die Stadt Hemer

Klaus Erdmann | Foto: Stadt Hemer
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In der letzten Ratssitzung sorgte Sozialdezernent Klaus Erdmann für erstaunte Blicke bei der Politik, als er bekanntgab, dass die Stadt Hemer nach wie vor auf die zugesagte Erstattung der Kosten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus dem Jahr 2015/2016 durch den Bund warte - immerhin rund 800.000 Euro. Grund genug, das Thema und das genaue Procedere einmal intensiver zu beleuchten.

"Wir haben in Hemer aktuell eine Aufnahmequote von 26 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, zu deren Aufnahme wir verpflichtet sind", erläutert Peter Brühmann, stellv. Jugendamtsleiter bei der Stadt Hemer, "momentan kümmern wir uns gerade um 19 Jugendliche." Theoretisch fallen unter die Bezeichnung "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" zwar alle vom Kleinkind bis hin zum 17-Jährigen, doch hat es die Verwaltung zum ganz überwiegenden Teil mit männlichen Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren zu tun.
Eine offizielle Zuweisung erfolgt dabei durch die eigens eingerichtete Landesstelle beim Landesjugendamt Rheinland, die für die Verteilung dieser Personengruppe auf die Kommunen in ganz NRW zuständig ist. "Unser Jugendamt erhält im gegebenen Fall meist mit zwei Tagen Vorlauf dann einen Anruf des Landesjugendamtes, dass wir mit der Ankunft eines minderjährigen Flüchtlings zu rechnen haben", erläutert Sozialdezernent Klaus Erdmann, "und damit setzt sich die Verwaltungs-Maschinerie in Bewegung, wobei es grundsätzlich keine grundlegenden Unterschiede im Verfahren zwischen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen und deutschen Jugendlichen in Jugendhilfemaßnahmen gibt. Zunächst nehmen wir die Jugendlichen in eine vorläufige Obhut." Dabei gelte es erst einmal, einen Platz in einer entsprechenden Facheinrichtung zu finden. "Obwohl es in Hemer selbst - bis auf zwei kleine Wohngruppen der Ev. Jugendhilfe Iserlohn - keine Plätze für solche Fälle gibt, sind wir durch die gute, langjährige Zusammenarbeit mit unseren bewährten Partnern gut aufgestellt," kann Klaus Erdmann berichten. Dazu gehören die Ev. Jugendhilfen in Iserlohn und Menden, der Gemeinschaftsdienst Iserlohn oder auch die Sozialpädagogische Partnerschaft (SPP) in Unna. "Bislang ist es uns noch immer gelungen, einen Platz in einer dieser Einrichtungen zu bekommen", kann auch Peter Brühmann bestätigen.

Ohne Eltern in einem fremden Land

Zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle Ende 2015/Anfang 2016 sahen sich die Mitarbeiter des Jugendamtes aber noch mit einem anderen Szenario konfrontiert. "Da haben wir schon mal den einen oder anderen Anruf aus der ZUE in Deilinghofen bekommen mit dem Inhalt: ,Im gerade angekommenen Bus sitzt auch ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Kümmert Euch mal drum.'" Das hätte eigentlich nicht sein dürfen, war aber im vorübergehenden Registrierungschaos in ganz Deutschland nicht ungewöhnlich. "Und natürlich mussten und haben wir uns um die Jugendlichen gekümmert." Der Behörden-Weg war dann plötzlich umgekehrt. "Wir haben dann beim Landesjugendamt angerufen und es über den Fall informiert mit der Bitte, uns den Jugendlichen offiziell im Nachhinein zuzuweisen, damit er unserer Quote angerechnet wird." Inzwischen komme es aufgrund des geringeren Flüchtlingszustroms und der geordneteren Registrierung aber nicht mehr zu solchen Fällen.
Nachdem die Frage der Unterkunft geklärt ist, muss für die Jugendlichen ein gesetzlicher Vormund gefunden werden. Normalerweise übernehmen dies eigene Kräfte des Jugendamtes. Doch Hemer hat auch hier mit dem Betreuungsverbund e. V. aus Schwerte ebenfalls einen externen Partner gefunden, der durch sog. Vereinsvormundschaften sowohl für finanzielle als vor allem auch für personelle Entlastung im Hemeraner Rathaus sorgt. So musste das Jugendamt personell in diesem Bereich lediglich um eine halbe Stelle aufstocken.
Mindestens alle sechs Monate kommen dann alle Beteiligten zusammen, um über den Verlauf der einzelnen "Fälle" zu beraten. Dabei geht es um Themen wie Identitätsklärung, Deutschkenntnisse oder Gesundheitszustand der minderjährigen Flüchtlinge.
Bliebe die Frage der Finanzen. "Natürlich stellen uns die Einrichtungen ihre Kosten in Rechnung und da kommen in der Tat durchschnittlich 5.000 Euro pro Monat plus Krankenhilfe zusammen", weiß Klaus Erdmann nur zu genau. Die Erstattung der Kosten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge habe der Bund zugesagt, aber bislang eben nicht erfüllt. "Und auch in 2016 erwarten wir kein Geld", so Peter Brühmann. Woran das liegt? "Sicherlich vor allem an der Überlastung der zuständigen Landesjugendämter, die für die Zahlungen zuständig sind", vermutet Klaus Erdmann.
Das sieht übrigens auch Arne Hermann Stopsack so, der für die FDP im LWL-Parlament sitzt. "Beim Landesjugendamt Westfalen-Lippe sind rund 13.000 Anträge mit ,Altfällen' vor dem Stichtag 1.11.2015 aufgelaufen, die erst mal abgearbeitet werden müssen." Der Hemeraner FDP-Politiker sieht aber Licht am Ende des Tunnels, denn inzwischen seien beim Landesjugendamt zusätzliche 20 Vollzeitstellen für diesen Bereich eingerichtet worden. "Inzwischen sind mehr als 3.500 Fälle erledigt, aber auch noch 9.000 Fälle offen." Gleichzeitig bezweifele er, dass das bis zum Ende des Jahres geschehen könne. "Sonst droht die Verjährung, wovor viele Kommunen verständlicherweise Angst haben." Da eine Verjährung durch eine Klage verhindert werden kann, sieht Stopsack eine Klagewelle der Kommunen auf das Land zurollen.
Die Gefahr einer möglichen Verjährung der Ansprüche sieht man hingegen im Hemeraner Rathaus nicht. "Wir haben unsere Forderungen, bei denen es sich überwiegend nicht um die genannten Altfälle handelt, vollumfänglich angemeldet und vom Landesjugendamt auch bestätigt bekommen", so Peter Brühmann, der aber die reale Erstattung der Kosten nach wie vor noch nicht sieht. "Aber damit sind wir nicht alleine. Keine Kommune im Märkischen Kreis hat bislang ja Geld bekommen", ergänzt Klaus Erdmann. Immerhin zahle das Land NRW inzwischen eine Kostenpauschale für eine weitere halbe Stelle im Bereich des Jugendamtes, bei der sich der Mitarbeiter um die wirtschaftliche Jugendhilfe - also den kompletten Abrechnungsprozess für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge -kümmert. Immerhin.

Autor:

Christoph Schulte aus Hemer

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