Mit Personenzentrierung zu noch mehr Selbstbestimmung

Das eigene Leben selbst in die Hand nehmen. Darauf legen Conny Linsen und ihrem Team des LVR-HPZ Goch in der Unterstützung von Menschen mit Behinderung größten Wert. So muss auch bei wichtigen Telefonaten selbst zum Hörer gegriffen und gewählt werden.
  • Das eigene Leben selbst in die Hand nehmen. Darauf legen Conny Linsen und ihrem Team des LVR-HPZ Goch in der Unterstützung von Menschen mit Behinderung größten Wert. So muss auch bei wichtigen Telefonaten selbst zum Hörer gegriffen und gewählt werden.
  • hochgeladen von Yvonne de Mür

Der Mensch steht im Mittelpunkt. Selbstverständlich. Wer Conny Linsen und ihr Team bei der Arbeit beobachtet, der erlebt, dass genau dies die oberste Maxime ist. Für die Menschen, die im LVR-Heilpädagogischen Zentrum (HPZ) in Goch Unterstützung suchen und finden. Und doch: Als die Leiterin der Einrichtung zum ersten Mal vom Ansatz des so genannten personenzentrierten Denkens hörte, wurde sie nachdenklich. Dass der Mensch im Mittelpunkt stehe, sei seit Jahren im Leitbild des LVR-HPH-Netz Niederrhein verankert, werde hier nur etwas in einen neuen Begriff gepackt? Nicht ausschließlich. Denn, sagt Conny Linsen, „wenn etwas, was wir uns immer ersehnt haben, nun einen neuen Begriff erhält, zeigt es uns vielleicht, dass wir noch nicht dort angekommen sind, wo wir uns in unserem Leitbild längst sehen wollen?“

Worum geht’s? Personenzentriertes Denken wurde im englischsprachigen Raum entwickelt, um Menschen mit Behinderung bei einem wirklich selbstbestimmten Leben zu unterstützen. Bedürfnisse, Wünsche, Träume und Ziele sollen Berücksichtigung finden, der eigene Weg eines jeden Menschen, die eigenen Wertvorstellungen gehören dazu. „Die Menschen, die wir unterstützen, sollen Entscheider für ihre eigenen Belange sein“, erläutert Conny Linsen. „Aber wir geben immer noch zu viel vor.“
Im LVR-HPZ in Goch bekommen Frauen und Männer mit einer geistigen Behinderung Förder-, Freizeit- und Beschäftigungsangebote, jenseits der Werkstatt. Dabei handelt es sich um einen Personenkreis für den es früher meist kein adäquates Beschäftigungsangebot gab. Eine Gruppe trägt den Namen „Ins Leben finden“, in der 18- bis 35-Jährige eben genau dies tun sollen – den Weg ins Leben zu finden. In der bislang gültigen Lesart war dies: Fit zu werden für die Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Personenzentriertes Denken aber, so Conny Linsen, bedeute etwas anderes. „Jeder von uns, der hier arbeitet hat eine lange Ausbildung hinter sich, wer älter ist, hat Jahrzehnte Wissen gesammelt, um es umsetzen zu können.“ Ein zeitintensiver Lernprozess. Aber von einem Menschen mit Einschränkung und einer schwierigen Vergangenheit werde erwartet, dass dieser möglichst schnell auf den Zug Werkstatt aufspringe. „Unser Ansatz muss ein anderer sein, um den Frauen und Männern sinngebend Unterstützung zu bieten, auch – aber nicht ausschließlich – im Hinblick auf produktive Arbeit und die Möglichkeit eigenes Geld zu verdienen.“
Zu oft stehe noch der Fürsorgegedanke im Vordergrund, hätten Fachkräfte zu schnell Antworten parat. Wahre Unterstützung, Respekt und Kommunikation auf Augenhöhe bedeuteten aber nicht, Dinge vorzugeben, sondern neugierig und offen zu sein, zusammen herauszufinden, was der Betroffene wirklich wolle und wie der Weg dahin aussehe. Jeder könne etwas, jeder habe eine besondere Gabe. Bestehe ein Wunsch, müsse gemeinsam der Weg entwickelt werden, wie dieser Wunsch erfüllt werden könne. „Wir sind Infogeber, Unterstützer und Assistenten bei diesem Prozess.“ Unterstützer auch dann, wenn etwas schief laufe. Aber nicht mit dem Wörtchen „Siehste“, wie sie betont. Langfristig, sagt Conny Linsen, werde dieser neue Ansatz die Menschen unterstützen, ihnen helfen, Selbstbewusstsein aufzubauen und erlebbar zu machen, mehr Verantwortung für sich zu übernehmen und zu spüren und so ein deutlich selbstbestimmteres Leben zu leben.
Der Mensch nehme sein Leben selbst in die Hand, werde zum Entscheider. Und die bisherigen Entscheider, die Fachkräfte, die Betreuerinnen und Betreuer, zum Unterstützer. Oder, anders ausgedrückt: Die unterstützte Person soll sich als Forscher begreifen, der Mitarbeitende als Forschungsassistent.

Autor:

Yvonne de Mür aus Kleve

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