In kleinen Schritten zurück: U-Turn des St. Gocher Anna-Stiftes bringt Schulverweigerer wieder auf Kurs
Es ist ein unscheinbares Wohnhaus mitten in der Stadt, in das jeden Tag eine kleine Gruppe Schüler kommt. Doch wenn man das Gebäude betritt, fühlt man sich an einen anderen Ort versetzt: In einem Raum stehen eine Tafel und Tische, nebenan gibt es einen Werkraum. "Wir sind ein außerschulischer Lernort", sagt August Böckenhüser, der den "U-Turn", eine Einrichtung des St. Anna-Stiftes, leitet.
GOCH. "U-Turn" ist englisch und lässt sich mit "Kehrtwende" übersetzen. Und genau das haben die sieben Jungs und ein Mädchen im Alter zwischen elf und 15 Jahren auch nötig: Sie sind passive Schulverweigerer. "Die Kinder gehen zwar immer noch in die Schule, machen aber im Unterricht nicht mit oder stören ihn sogar massiv", erklärt Böckenhüser. Viele zeigten aggressives Verhalten, gerieten immer wieder mit Mitschülern in Konflikt und seien Lehrern gegenüber respektlos.
Für viele Lehrer und Mitschüler stehe dann schnell fest: "Es wäre gut, wenn die schwierigen Schüler nicht mehr in die Schule kommen." Böckenhüser will das nicht als einseitige Kritik an den Schulen verstanden wissen. "Die Schulen und Klassen werden immer größer. Vielen Lehrern bleibt einfach keine Zeit, sich noch individuell um den einen schwierigen Schüler in der Klasse zu kümmern", zeigt er Verständnis für die Lehrkräfte. Zudem sind die Schulen wie die Gocher Astrid-Lindgren-Schule wichtige Partner, da sie nicht nur die Lehrmaterialien liefern, sondern auch eine Kooperationsvereinbarung mit dem U-Turn, dem Schüler und dessen Eltern unterzeichnen. "Mit dem Schulleiter und den Pädagogen vor Ort arbeiten wir gut zusammen", freut sich Böckenhüser.
Alle Parteien verfolgen zumeist ein gemeinsames Ziel: "Wir holen diese Kinder und Jugendlichen aus ihrer alten Schule und bereiten sie bei uns auf eine Rückkehr dorthin vor", so Böckenhüser. Das beginne mit ganz einfachen Dingen. Die Pädagogen im U-Turn legen beispielsweise großen Wert auf Pünktlichkeit. "Wer zu spät kommt, muss das nicht nur erklären, sondern auch Wiedergutmachung betreiben", berichtet Böckenhüser. Das könne zum Beispiel über kleinere Zusatzaufgaben erfolgen.
Eigene Ziele formulieren
Insgesamt setzt der U-Turn aber auf kleine Schritte. "Die Schüler formulieren zusammen mit uns eigene Ziele", erklärt Sozialpädagoge Jörg Krosse, der gemeinsam mit einer Kollegin die Unterrichtseinheiten gestaltet. Der erste Teil des Schulvormittages ist den klassischen Schulfächern Deutsch, Mathematik und Englisch vorbehalten. Viele der Kinder, zumeist Jungen, bringen große schulische Defizite mit, an denen gearbeitet werden muss. "Durch die kleine Klasse und die gute Betreuung durch zwei Pädagogen gleichzeitig lässt sich das recht gut bewerkstelligen", erklärt August Böckenhüser.
Im zweiten Teil des Vormittages geht es meist etwas handfester zu. "Die Kinder treiben Sport, kochen gemeinsam oder arbeiten im Werkraum mit Holz", erzählt Jörg Krosse. So werden manchmal nicht nur verborgene Talente sichtbar. Die Schüler lernen, auch bei Kooperationsaufgaben mit Konflikten besser umzugehen und Probleme gemeinsam anzugehen. Zudem gibt es ein Punktesystem, das gutes Verhalten honoriert. "Zu Beginn versucht jeder Schüler pro Tag fünf Punkte zu erreichen, später werden es mehr", erklärt Jörg Krosse. Auch hier geht es um kleine Schritte. "Ich gehe nicht an fremde Sachen" oder "Ich melde mich, bevor ich etwas sage" sind klassische Beispiele, für die es Punkte gibt. "Ganz zu Anfang geht es den meisten noch um die Punkte", hat Jörg Krosse beobachtet. "Später wollen sie einfach nur noch einen guten Tag haben."
Wiedereingliederung
Wenn es im U-Turn gut läuft, erfolgt die Wiedereingliederung der Schüler ebenfalls in kleinen Schritten. "Bei Aktivitäten wie Klassenausflügen sind unsere Schüler meist dabei", sagt August Böckenhüser. Außerdem hospitieren sie in ihren alten Klassen und Schulen. "Wir schauen dann gemeinsam mit den Eltern, dem Kind und der Schule, ob und wie es weitergeht", so Böckenhüser. Dabei nimmt der U-Turn häufig die Rolle des Vermittlers ein. "Zwischen den Eltern und der Schule hat es meist zuvor gekracht", weiß August Böckenhüser. Er und seine Mitarbeitenden nehmen die Sorgen beider Seiten auf und ernst. "Am Ende hängt es aber von den Schülern ab, wie es weitergeht."
Autor:Christian Schmithuysen aus Goch |
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