Die Niers - Einst Landeskloake, heute Sport- und Freizeitader
„Die Niers entspringt in einem Ziegenstall“, lernten in früheren Zeiten die Kinder in der Schule. Eine krasse Umschreibung für einen Fluss, der wie kaum ein anderer ein bewegte Geschichte vorweisen kann. Über Jahrhunderte hinweg immer wieder aus seinem Bett vertrieben, wurde auch noch die Quelle von Braunkohlebaggern verschluckt ...
Renate Verwayen steht am Parkplatz an der Niers und bereitet sich auf ihr Lauftraining vor. „Es gibt kaum eine bessere Strecke als den Nierswanderweg Richtung Kessel. Sehr schön eben und landschaftlich ideal“, sagt die Gocherin zwischen dehnen und Aufwärmen. Und schon geht es los ...
In Weeze besteigen Gardefrauen einer Karnevalsgesellschaft das Floß. Eine lustige Fahrt ist garantiert, wenn die Damen unterwegs sind. Erst recht, weil das Ziel Kessel ist, wo der „wahnsinnige Puppenspieler“ Heinz Bömler in der Viller Mühle wartet und einen Rundgang organisiert. Das wird erst recht lustig ...
Die Niers, früher Lebensader, heute Freizeit- und Sportader, zwischen Rhein und Maas, zwischen Mönchengladbach und Gennep. 116 Kilometer lang, bei geringem Gefälle träge dahinfließender Wald- und Wiesenfluss, doch immer noch eine der meistgenutzten Wasserläufe in Nordrhein-Westfalen.
Geschätzt von Spaziergängern, Läufern und Kanuten. Gespickt mit Erlebnis- und Wissensstationen, reich an Menschen und Geschichten. Idylle am Niederrhein, zum großen Teil von Menschenhand geprägt, für den Mühlenbetrieb umgeleitet, begradigt, zwangsverlegt.
„Wahrscheinlich wohl“, sagt Klaus Uske, unterwegs mit seinem Terrierhund, gefragt, ob er die Niers vermissen würde. Den 68-Jährigen zieht es stets zum Wasser, egal wohin ihn sein ehemaliger Arbeitgeber beorderte. „Lech, Ahr, Mosel, ich bin am Fluss groß geworden“, sagt der ehemalige Luftwaffensoldat.
Dabei war die Niers früher alles andere als ein lohnendes Ziel. Von der Trinkwasserquelle zur größten „Landeskloake“ in NRW wandelte sich das gemächlich dahinfließende Gewässer: Nach dem Ausbau der Kanalisation Ende des 19. Jahrhunderts leiteten Städte und Industrie ihre meist ungeklärten Abwässer ohne Rücksicht auf die Anlieger in die Niers. 18 Millionen Kubikmeter jährlich waren es, mit denen die Niers schließlich nicht fertig wurde. Unerträglicher Geruch und schwarzer Schlamm gaben dem Wasser den Namen „Chinesische Tinte“.
Erst die Gründung des Niersverbandes 1928 führte zum Ausbau der Niers und dem Neubau von Kläranlagen. Heute kreuzen entsprechenden Quellen zufolge Aal, Schmerle, Barsch und Hecht und siebzehn weitere Fischarten im Fluss ihre wege.
„Weil es hier so schön ist“, sagt Michaela Kippel, die Studentin, die hier regelmäßig mit ihrem Hund „Bobby“ spazieren geht oder walkt. Die Aussichten, dies auch im Erwachsenenalter zu tun, könnten gut sein.
Doch der Niersverband sieht im Rahmen des ökologisch orientierten Gewässerschutz noch gewaltige Probleme. Neben der Verbesserung der physikalisch-chemischen Wasserbeschaffenheit hat die Wiederherstellung einer gewässertypischen Pflanzen- und Tierwelt Priorität. Mit der konsequenten Umsetzung des Gewässerauenkonzeptes sollen die Niers und ihre Auen wieder als natürliche, den Niederrhein durchziehende, Lebensader hergerichtet werden. Damit die Kinder in der Schule künftig nicht mehr lernen, dass die Niers ihren Ursprung in einem Ziegenstall hatte.
Autor:Franz Geib aus Goch |
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