Nach fast tödlichem Kita-Unfall
Celina strahlt wieder
Es war 14.09 Uhr, als bei Corinna Schubarth das Telefon klingelte: "Sie müssen sofort kommen." Beim Klang der tränenerstickten Stimme der Erzieherin wusste die Mutter, es musste etwas Schlimmes mit ihrer Tochter Celina passiert sein.
Und tatsächlich: Als sie in der Kita* eintraf, lag Celina leblos am Boden. "Sie war nicht ansprechbar, lag in ihrem Erbrochenen. In ihrem Gesicht waren viele blaue Pünktchen." Zu diesem Zeitpunkt hatte eine Erzieherin das Mädchen bereits erfolgreich reanimiert, der Rettungsdienst war noch auf der Anfahrt.
Was war passiert? Die Vierjährige hatte mit anderen Kindern mit einem Spielzeug-Pferdegeschirr gespielt. Dabei war sie die Rutsche hochgeklettert, ausgerutscht und mit dem Hals in das Geschirr geraten. Die Folge war eine so starke Strangulation, dass Atem und Puls aussetzten. "Sie war für einige Minuten tot", bringt es Corinna Schubarth auf den Punkt.
Mit dem Hubschrauber in die Unfallklinik
Die Rettungswagenbesatzung brachte das Kind in eine Klinik nach Geldern, von dort aus ging es mit dem Rettungshubschrauber in eine Duisburger Unfallklinik. Vier Tage lag Celina auf der Intensivstation im Koma, Eltern und die beiden großen Schwestern hofften und bangten. Dann gelang es den Ärzten, Celina aufwachen zu lassen. Nur wenige Tage später startete die Reha. Dabei zeigte sich, dass das Hirn durch die fehlende Sauerstoffversorgung Schäden erlitten hat. "Celina wusste nicht mehr, wie man zum Beispiel einen Apfel nennt, und auch körperlich hatte und hat sie bis heute zu kämpfen", erzählt die Mutter. Ihr rechtes Bein wollte ihr nicht mehr gehorchen, Celina konnte es nicht mehr steuern. Dank viel Trainings konnte dieses Problem weitgehend aus der Welt geschaffen werden, aber auch heute noch ist das Mädchen eingeschränkt. "Man sieht es ihr auf den ersten Blick nicht an", sagt die Mama, "aber sie ist bei weitem nicht das Kind von vor dem Unfall".
Celina kämpft mit den Folgen des Unfalls
Die Verbindung zwischen Kurz- und Langzeitgedächtnis ist gestört. Dadurch hat Celina Probleme, sich an Dinge zu erinnern, sie erkennt Gesichter nicht wieder und hat Wortfindungsstörungen. Psychisch leidet die heute Sechsjährige an einer posttraumatischen Belastungsstörung, was sich in Panikattacken und Ängsten ausdrückt. Und auch körperliche Folgen sind nach wie vor spürbar. Es fehlt an Balance und Kondition.
Radfahren ging nicht mehr
Wirklich schlimm war für Celina der Moment, als sie auf ihr heiß geliebtes Fahrrad stieg. "Sie konnte nicht mehr Fahrradfahren. Nicht einmal mit Stützrädern", berichtet Corinna Schubarth. Sie erinnert sich, wie stolz ihre kleine Tochter war, als sie ihre Mutter überallhin mit dem Rad begleiten konnte. "Das war ganz alltäglich. Da ich keinen Führerschein besitze, haben wir alle Besorgungen mit dem Fahrrad erledigt." Die Familie bemühte sich um ein spezielles Therapierad, aber die Krankenkasse übernahm die Kosten nicht.
"Wir konnten das finanziell nicht stemmen", sagt die 33-Jährige, die Vollzeit als Nachtwache in der Altenpflege gearbeitet hatte - bis zu dem schicksalhaften Tag im April 2019. "Wir standen alle unter Schock. Zum Glück gab es damals schon Unterstützung durch den Freeware Riders Motorradclub, in dem Ehemann Thomas Mitglied ist. "Die haben sich um alles gekümmert, haben alles organisiert. Das war wirklich toll", erinnert sich Corinna Schubarth.
Bis heute beherrschen Therapien den Alltag der Familie, schließlich soll Celina weiter Fortschritte machen. Ob sie irgendwann einmal ganz gesund wird, steht in den Sternen. Die Ärzte geben dazu keine Prognosen ab, sagt die Mutter.
"Goch hilft" schaltet sich ein
Ehemann Thomas arbeitet zwar Vollzeit, aber mit einem Verdienst sind für die fünfköpfige Familie keine großen Sprünge möglich. Also wandte sich die dreifache Mama an den Verein "Goch hilft". Dessen Vorsitzender Sascha Ruelfs war sofort überzeugt: "Hier müssen wir helfen." Spontan rief er auf der Facebookseite des Vereins eine Spendenaktion ins Leben. Nach 24 Stunden waren die 300 Euro für ein gebrauchtes Therapierad auf dem Konto. "Die Hilfsbereitschaft war in diesem Fall besonders groß", stellt Ruelfs fest. Neben Geldspenden gingen auch zahlreiche Nachrichten mit guten Wünschen, Nachfragen und Tipps bei "Goch hilft" ein.
Bald ist Celina ein Schulkind
In der vergangenen Woche fand die Übergabe des Rads statt. "Celina strahlt wieder", freut sich ihre Mutter, und ist selbst überwältigt von der spontanen Hilfe fremder Menschen. "Ihnen allen gilt mein Dank - und der Erzieherin, die so schnell und mutig reagiert hat. Ohne sie würde mein Kind nicht mehr leben."
In wenigen Wochen kommt Celina in die Schule. Darauf freut sich die Familie. "Dann müssen wir endlich nicht mehr täglich an den Ort, wo das alles passiert ist", sagt Corinna Schubarth. Sie ist den Erziehern nicht böse. Man habe nach dem Unfall gut zusammengearbeitet und von Seiten der Einrichtung wurde viel Rücksicht auf Celina genommen, betont die Dreifach-Mama. Aber die Erinnerung, hofft sie, wird durch den neuen Lebensabschnitt ein wenig verblassen.
Ein Ritual wird Corinna Schubarth aber auch in der Schulzeit beibehalten. Jedes Jahr am 16. April um 14.09 Uhr ist Celina in ihrer Nähe, bei ihr Zuhause. Das muss einfach sein.
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*Name und Standort der Kita sind der Redaktion bekannt, werden aber bewusst nicht genannt, um die Einrichtung nicht zu diskreditieren.
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