Der Jahreswechsel bedeutet für die Telefonseelsorge am Niederrhein mehr Arbeit
"Die Angst, nicht zu wissen, was kommt"
An die Zeit zwischen weihnachten und Neujahr sind viele Erwartungen geknüpft, von denen einige auch enttäuscht werden. Kinder, die an Heiligabend nicht kommen können, Streit zum Jahreswechsel. Und wer hört dann eigentlich noch zu? Die Telefonseelsorge.
VON FRANZ GEIB
Kreis Kleve. Auch in diesem Jahr dürfte es nicht wenige Menschen am Niederrhein geben, die es als großes Glück empfänden, wenn sie die Hektik dieser Tage überfallen würde, denn dann wären sie zwar genervt, aber nicht allein. "Das große, große Thema zu Weihnachten und zum Jahreswechsel ist die Einsamkeit", weiß Diplom-Sozialpädagogin Karin Hante von der ökumenischen Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland: "In diesem Jahr kommt noch die Corona-Pandemie hinzu, die sich in dieser Hinsicht noch schwerer bei den Menschen auswirkt."
Nahezu bei jedem jedem zweiten Anruf bei der Telefonseelsorge ginge es um den Virus und dessen Folgen, vor allem um die Ängste vor Krankheit oder einer ungewissen wirtschaftlichen Zukunft. Schon bei der ersten Welle im März machte die Pandemie einen signifikanten Anstieg bei den Telefonanrufen aus, bis zu 50 Prozent mehr Menschen als in dieser Zeit üblich suchten den Rat der ehrenamtlichen Mitarbeiter der Telefonseelsorge.
"Die Unsicherheit, nicht zu wissen, was kommt, und die Angst, selbst daran zu erkranken, ist groß", sagt die stellvertretende Leiterin auf Anfrage. Die finanziellen Auswirkungen bei Kurzarbeit oder der drohende Verlust des Arbeitsplatzes würden die psychischen Anforderungen gerade auch in diesen Tagen um ein Vielfaches verstärken.
Dabei, so weiß Karin Hante durch die Gespräche mit den 115 ehrenamtlichen Mitarbeitern, würden mehr Frauen als Männer bei der Telefonseelsorge anrufen: "Vielleicht liegt es daran, dass es immer mehr alleinerziehende Mütter gibt, oder weil sie einfach offensiver in die Problematik gehen." Auch habe sie einen Wandel im Kommunikationsverhalten erkannt, was unter Umständen auch mit den neuen Kommunikationsmöglichkeiten via Smartphone, Internet und anderen zusammenhänge. "Diese werden vor allem durch junge Leute zwischen 40 und 50 Jahren genutzt, wogegen ältere Menschen nach wie vor den analogen Weg, sprich Telefonie, bevorzugen." Die Telefonseelsorge ist technisch auf dem neuesten Stand und bedient seit mittlerweile 25 Jahren mehr Kanäle als die Telefonleitung und hilft zusätzlich via Chat oder E-Mail.
Unter den Anrufern spiegele sich die gesamte, gesellschaftliche Bandbreite wieder, sowohl der einfache Handwerker als auch der Akademiker würden das kostenfreie Hilfsangebot der Telefonseelsorge in Anspruch nehmen. Vier Stunden dauert jeweils ein Dienst der Ehrenamtlichen, den die meisten von ihnen zwei- bis dreimal im Monat leisten und das an allen Feiertagen und in den Abend- und Nachtstunden. Zu den weniger frequentierten Zeiten am Tage und in der Nacht ist mindestens ein Anschluss jederzeit erreichbar, in den Stoßzeiten zwischen 19 - 23 Uhr werden zwei Leitungen freigeschaltet. "Uns geht es vor allem darum, präsent zu sein, empathisch zuzuhören", sagt Karin Hante. Da die Gesprächspartner auf beiden Seiten anonym, und die jeweiligen Örtlichkeiten und Hilfsangebote nicht bekannt sind, beschränkt sich das Gespräch darauf, die emotionale Belastung des Anrufers abzufedern, gemeinsam Möglichkeiten zu entwickeln, Zuversicht, und Hoffnung zu geben. "Wir erfahren nie, wie es den Betroffenen danach ergeht", sagt Karin Hante. Denn die Mitarbeiter der Telefonseelsorge bleiben unbekannt, nach dem Auflegen können Anrufer nicht wieder mit denselben Gesprächspartnern verbunden werden.
Die Telefonseelsorge bietet ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern darum die Möglichkeit einer professionellen Supervision an, bei der die Themen in den Gesprächen, die Herausforderungen während des Telefondienstes und die Schlussfolgerungen daraus besprochen werden können. Karin Hante: "Gerade in diesem Jahr wirken sich die Herausforderungen auf beiden Seiten der Leitung in besonderer Weise aus."
Info: Die Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland wird aus Mitteln der evangelischen und katholischen Kirche finanziert. Die Anrufe unter 0800/1110111 und 08001110222 sind anonym, vertraulich und kostenfrei. Kostenfrei
Autor:Franz Geib aus Goch |
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