Lesung im Gocher Kastell erinnert an die Zwangssterillisation und die Ermordung von Hubert Kleintjes
Wie ein Gocher in die Fänge des Unrechts geriet
Zwischen 1933 und 1945 gerieten die Menschen in Deutschland schnell in die Fänge des Unrechts, allzu leicht war man entrechtet, seiner Würde beraubt. Einer von ihnen war Hubert Kleintjes aus Goch, der wegen seiner Aufrichtigkeit und seines Widerstands in die Psychiatrie in Bedburg-Hau und später im März 1940 in der "Landespflegeanstalt" in Brandenburg ermordet wurde. An ihn erinnert am Mittwoch, 6. November, um 19 Uhr, eine Lesung im Kastell.
Goch. Der November ist der Monat des Erinnerns. In dieser Zeit lädt die Stolpersteininitiatve um Ruth Warrener und Heinz van de Linde zur Mahnung und zum Gedenken an die vielen Opfer der NS-Ideologie. Galten die ersten Stolpersteinverlegungen und Mahnungen den jüdischen Mitbürgern, die dem Rassenwahn der Nazis zum Opfer fielen, konzentriert sich die Initiative nun den Menschen, die im Rahmen der Euthanasie, dem Gesetz zur "Verhütung erbkranken Nachwuchses", ihr Leben lassen mussten.
Hubert Kleintjes ist Kind einer großen Familie. Der Vater war Zigarrenmacher, in der Familie fehlte es an Geld. Hubert fiel den Behörden früh durch seine "Aufmüpfigkeit" auf, wie Ruth Warrener aus ihren Recherchen entnehmen konnte. Er wiederholte demnach mehrere Schuljahre, galt als faul und renitent, wurde nach einem Wutausbruch entlassen und schlug sich als Gelegenheitsarbeiter durch.
Diagnose: "Schwachsinn"
Nachdem er seine Arbeit verlor, blieb er weiter bei den Eltern, was die Situation nicht leichter machte, bis ihn der eigene Vater in die Psychiatrie einweisen ließ. Da bereits ein Vetter (Anton) von Hubert Kleintjes in Bedburg-Hau verbracht worden war, schien es in der Logik der Nationalsozialisten tatsächlich so, als läge in bei Hubert Kleintjes eine erbliche Veranlagung vor, Diagnose: "Schwachsinn".
Einer angeordneten Sterilisation wehrte sich der junge Mann, das Erbgesundheitsgericht in Kleve befand tatsächlich, dass keine Schizophrenie vorlag, sondern das Verhalten den schwierigen Verhältnissen anzulasten sei. "Eine Entlassung kam für das System dennoch nicht in Frage", fand Ruth Warrener heraus. Der Leiter der Anstalt ließ das Urteil durch eine höhere Instanz, dem Erbgesundheits-Obergericht prüfen, welches zum Schluss kam, dass sehr wohl Schwachsinn vorläge und die Sterilisation anordnete. Der Gocher kämpfte dennoch weiter, bis er am 9. August 1935 zwangssterilisiert wurde. "Ich habe seinen Widerstand bewundert", befand Ruth Warrener.
Entlassen wurde Kleintjes nach wie vor nicht und auch nach dem barbarischen Akt entsprach er nicht dem System, die Folge: Am 26. Möärz 1940 wurde Kleintjes in die "Landespflegeanstalt Brandenburg" verlegt, wo er noch am selben Tag ermordet wurde. Auch sein Vetter wurde mit dem gleichen Zug dorthin verbracht und getötet. "Den Eltern schickte man allerdings Todesurkunden unterschiedlichen Datums, damit das nicht auffiel", so Ruth Warrener.
Am Mittwoch soll nun an Hubert und auch Anton Kleintjes erinnert werden: Hierzu trifft sich um 17 Uhr ein Projektkurs der Gesamtschule Mittelkreis unter der Leitung von Julia Laquer an der Hubertusstraße 18 für Hubert Kleintjes, zu einer stillen Zeremonie, bei der aus dem Leben von Hubert Kleintjes berichtet wird. Um 17.30 Uhr folgt eine weitere Zeremonie für Anton Kleintjes: An der Straße Hinterm Engel 20.
Wiederum trifft sich ein Projektkurs und gibt kurze Hinweise zu Anton Kleintjes und zum Thema "Euthanasie" im Allgemeinen. Von hier aus geht es zum Kastell, wo um 19 Uhr die Lesung "Hubert Kleintjes - In den Fängen der NS-Psychiatrie" stattfinden wird. Heinz van de Linde, Holger Zenker und Petra Brischke lesen im Wechsel Auszüge aus Original-Dokumenten, darunter einem Test, mit dem das System damals seine zweifelhaften Diagnosen stellte. Christoph Krott wird die Lesung am Klavier begleiten. Der Eintritt ist frei.
Schwierige Recherche
Nach Recherchen von Ruth Warrener wurden 19 Gocher zwangssterilisiert. "Eine Recherche bei Euthanasieopfern ist schwierig, da die familiäre Situation eine ganz andere ist als bei ermordeten Juden", so die Lehrerin. In Bedburg-Hau sind rund 3.000 Opfer gelistet, weitere Informationen wie Namen seien aber schwer zu bekommen.
Der Fall von Hubert Kleintjes wurde durch die Initiative von Elvira Bublitz, einer Verwandten der Familie, bekannt. Sie wird am Mittwoch ebenfalls anwesend sein.
Autor:Christian Schmithuysen aus Goch |
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