Es fing alles ganz harmlos an....

Eigentlich wollte ich doch nur mit einem netten Kollegen ein kleines Pläuschchen halten.
Wir hatten uns schon so lange nicht mehr gesehen!
Und es gab so viele Neuigkeiten.
Die Firma wieder mal vor dem Verkauf, drohender Arbeitsplatzverlust, möglicher Arbeitgeberwechsel, Familienveränderungen, Regierungswechsel, Benzinpreise, Steuererhöhungen, Urlaub, Hobbies, tolle neue Kollegin – wir hätten Tage miteinander diskutieren können.

Aber da gab´s eine Kleinigkeit, die uns vom Betrachten der weltpolitischen Unwägbarkeiten und alltäglichen Banalitäten abhielt: Wir hatten Hunger, nicht zu knapp.
Und wie´s der Teufel wollte: Es hatte den ersten Frost gegeben, und der Grünkohl lachte mit rostrot schimmerndem Pinkel, einem herrlichen Kalorienspender!
Eine leckere, fette, triefende und spritzende Wurst mit kleinen Nebenwirkungen!

Also, der Hunger war groß, der Teller prall gefüllt mit bestem Grünkohl, mit Pinkel, und mit Bratkartoffeln der Sorte „Super knusprig“.

Wir setzten uns vis á vis - hatten ja noch so viel zu erzählen - und widmeten uns der noblen Mahlzeit.
Da wir beide in unserer Arbeitskleidung angetreten waren - Anzug, Krawatte, weißes Hemd - nahm ich meine Papierserviette, hielt sie mit links über meine fette Wurst und stach vorsichtig mit den Zinken meiner Gabel hinein. Schließlich sollte das Fett ja nicht in der Umgebung landen.
Tat es auch nicht – bis auf eine Kleinigkeit: Es spritze in hohem Bogen neben meiner Serviette hervor in Richtung meines Kollegen quer über den Tisch und traf ihn direkt.
Wie an einer Schnur entlang zog sich die fette Spur über das linke Brillenglas, den Hemdkragen, das weiße Hemd hinab, genau zwischen Krawatte und Revers.
Sah komisch aus – war aber so!
Er starrte mich ungläubig an, ich sprang nach einer Schrecksekunde auf – als könnte ich noch etwas retten, vergaß aber ganz meine Krawatte, die ich zum eigenen Schutz vorher über die Schulter geschlagen hatte.
Als hätten sich Wurst, Grünkohl Krawatte und der Fleckenteufel zu einem gemeinsamen Färbebad verabredet, landete die Spitze dieser meiner silberfarbenen Seidenkrawatte im frischen, saftigen grünen Kohl.
Nur ein Bad auf der grünen Kuhwiese in dieser dem Spinat ähnlichen Masse wäre noch schlimmer gewesen.

Unser Prusten und Gackern nach diesem Slapstick á lá Loriot führte im dem Lokal zu einer kurzen Schweigesekunde. Weder Messer noch Gabel noch sonstige Begleitgeräusche von emsiger Nahrungsaufnahme waren zu hören.

Sirenen gleich unterbrach eine süße Stimme diese Stille.
„Habt ihr noch einen Platz frei?“

Und ob, bei dieser Kollegin immer!

Toll, sie setzte sich neben mich!
Stellte einen Teller mit einer undefinierbaren Masse auf den Tisch - hellgrau marmoriert, breiig, eklig!

„Sag mal, was hast Du denn gestern Abend gegessen“, klang eine fremdartig fragende Stimme an mein Ohr.

Nach einer mir schier unendlich lang erscheinenden Pause hörte ich, wie ein Stuhl zurückgeschoben wurde und diese ach so liebenswerte Kollegin fluchtartig und aschfahl unsere illustre Gesellschaft verließ.

Der Teller stand noch neben mir – unberührt.

Gefüllt mit Hühnerfrikassé

Autor:

Lothar Dierkes aus Goch

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