Traumsequenzen (4)

Begegnungen ...

Das Auto hatte er auf dem kleinen Markt abgestellt, der von den schönen Giebeln mittelalterlicher Häuser eingerahmt wurde. Über das holperige Kieselsteinpflaster ging er zur Terrasse seines Lieblings-Cafés. Es waren erst wenige Stühle besetzt und so nahm er seinen üblichen Platz in der hinteren Reihe ein, wo er, mit dem Rücken zur Hauswand, den Blick über den Platz genießen konnte.

Sein Gesicht sah müde aus. Vor den Anrufen der Kunden und dem Ärger bei der Arbeit hatte er sich in die kurze Mittagspause geflüchtet. Er war die paar Kilometer hierher gefahren, um seine Ruhe zu haben. Er hatte Stress, zu Hause, mit den Kindern, auf der Arbeit – mit sich.

Die freundliche Bedienung, ein aufgewecktes Mädchen mit langer, dunkelroter Schürze, nahm seine Bestellung auf. Er lehnte sich zurück, bis sein Hinterkopf die Wand berührte, schloss die Augen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen …

„Pardon, ist dieser Stuhl noch frei?“ „Ja, bitte“, hörte er sich sagen. Sie war also doch gekommen. Er erhob sich und betrachtete etwas verlegen ihr Gesicht. Die blonden Haare trug sie sehr kurz geschnitten, was ihr Gesicht sehr jung aussehen ließ. Dieses Gesicht mit den hellen, wasserblauen Augen war viel schöner, als er es von einigen Fotos in Erinnerung hatte. Er sah sie nur unentwegt an. Was sie erzählte, hörte er nicht – nur ihre leise, melodische Stimme. Einige Male legte sie ihre Hand auf seinen Arm und stellte ihm Fragen, die er nur mit Blicken beantworten konnte.

Irgendwann standen sie auf, fassten sich bei den Händen, überquerten den Platz und schlenderten durch die anschließenden Gassen. Alle paar Schritte blieben sie stehen, um sich zu küssen. Einige Passanten schauten sich nach ihnen um. Müllmänner, die an einer Kreuzung volle Tonnen zusammenschoben, machten anzügliche Bemerkungen. Die Küssenden hörten und sahen nichts, hielten sich fest umschlungen. Und eng umschlungen gingen sie den gleichen Weg zurück.

Viel Zeit blieb ihnen nicht heute – und sie würden sich nie wieder sehen. Er warf noch einige Münzen in den Parkautomaten, vor dem ihr Auto stand. Dann stiegen sie in seinen Wagen und fuhren aus der Stadt, um einen ruhigen Platz zu suchen. Auch während der Fahrt berührten sich ihre Hände. Etwas außerhalb, aus Sichtweite der Häuser, bogen sie in einen engen Waldweg ein. Sie brauchten keine Worte mehr, um sich zu verstehen, auch keine Blicke. Sie fanden und berührten sich zärtlich – nicht nur mit den Händen …

Plötzlich zuckte er hoch. Ein schrilles Geräusch hatte seinen Kopf hochschnellen lassen. Verwirrt blickte er um sich, dann auf seine Uhr. Es wurde Zeit für ihn. Er fingerte in seiner Tasche nach einigen Münzen, als neben ihm die Frage gestellt wurde: „Pardon, wird ihr Platz jetzt frei?“ Verdutzt drehte er sich zur Seite: „Oh, ja natürlich – bitte sehr“ und blickte in die wasserblauen Augen einer Frau mit kurzen, blonden Haaren, die ihren jungen Begleiter an der Hand hielt.

© Text und Illustration: G. Lambert / 2012

Autor:

Gottfried (Mac) Lambert aus Goch

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