Der "Baas"...
... für meinen Vater (1913-1997)
Ein Feuerkopf mit Eisenhänden
Als siebtes von neun Kindern wurde mein Vater in Düsseldorf-Heerdt geboren. Seine, aus der Eifel stammende, Mutter hielt ihren wallonischen Mann immer dazu an, mit den Kindern „deutsch ze kalle“. Die Familie verzog um 1922 nach Kevelaer.
Die Lehrzeit meines Vaters in Kevelaer und, bedingt durch die damalige Arbeitslosenzeit, anschließende Wanderjahre (Walz), die ihn bis nach Italien führten, waren erste Schritte zu seiner Entwicklung. Ein Fachstudium Maschinenbau und der Meisterbrief für das Schlosserhandwerk rundeten die Ausbildung ab. Bisher hatte er, in unterschiedlichen Betrieben, rein technische Vorgänge auszuführen und zu beaufsichtigen. Aus seiner Anstellung als Techniker der Marinewerft, Wilhelmshaven, wurde er 1943 einberufen, 1945 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen.
Erst jetzt, im zerbombten Goch, der Heimat seiner Frau, entwickelte er sein gestalterisches Talent. Große Mengen leerer Kartuschen, Hinterlassenschaften des Krieges, lagen verstreut im Gocher Umland. Das Material dieser Geschosse war bestes Messing, und für Treibarbeiten hervorragend geeignet. Der Boden wurde abgetrennt, das Hülsenrohr aufgeschnitten und plan gebogen. Je nach Kaliber wurde so ein Blech im Ausmaß von etwa 30 x 30 cm gewonnen – Recycling der Nachkriegszeit. Aus ehemals todbringender Munition entstanden nun Kerzenleuchter, Ampeln, Vasen, Schalen, Reliefs und Schmuckteller mit unterschiedlichsten Motiven.
Auf den umliegenden Bauernhöfen waren diese „Schmuckstücke” sehr begehrt und wurden erfolgreich gegen Naturalien eingetauscht. Lebensmittel waren in der Nachkriegszeit knapp, „organisieren” war in dieser Zeit lebenswichtig. Eine eigene Werkstatt wurde eingerichtet. Stolz und selbstbewusst setzt er 1946 auf seinen Firmenbriefbogen: Kunstschmiede / Goch, eine Pflegestätte gediegener Handwerkskunst. Der Wiederaufbau trug zur steigenden Auftragslage der kleinen Werkstatt bei. Öffentliche Bauten, Kirchen und Wohnhäuser wurden mit kunstvoll geschmiedeten Gittern, Geländern, Lampen, Toren und Türen ausgestattet. Alle Stücke wurden handgeschmiedet, oft mit getriebenen Rosetten oder anderen Zierteilen aus Kupfer, Messing und Bronze versehen. Die Techniken der Schmiedekunst wurden vorbildlich beherrscht.
Auch über die Region hinaus waren die Arbeiten der Werkstatt gefragt. Architekten aus dem Düsseldorfer Raum statteten Banken und Privathäuser mit Arbeiten der Gocher Kunstschmiede aus. Bis Gummersbach und Lüdenscheid wurde geliefert und montiert.
Viele dieser Schmiedearbeiten sind gut erhalten, und erfüllen noch heute ihren Zweck. Bis zur Auflösung der Werkstatt im Jahr 1954 – Schmiedeeisen am Bau war nicht mehr so gefragt – wurden sieben Lehrlinge zu Gesellen ausgebildet und beschäftigt, weitere Gesellen verstärkten die Belegschaft in Zeiten guter Beschäftigung. Wie in allen niederrheinischen Handwerksbetrieben wurde auch hier der Meister noch respektvoll mit „Baas” angesprochen.
Nur sehr spärlich sind die Arbeiten aus dieser Zeit dokumentiert; zu selbstverständlich waren sie für uns alle – und keiner dachte auch nur daran, sie zu fotografieren, bevor sie die Werkstatt verließen. Nach Aufgabe der Werkstatt war mein Vater als Baustellenleiter mehrerer Großfirmen angestellt. Nur an Wochenenden oder im Urlaub konnte man in diesen Jahren die Hammerschläge aus der improvisierten, kleinen Werkstatt, die er im Anbau seines Hauses eingerichtet hatte, hören.
Auch nach 1976, dem Jahr seiner Pensionierung, entstanden zahlreiche Treibarbeiten, unter anderem ein Tisch mit plastisch getriebenen, ausdrucksstarken Köpfen. Nun fand er auch Zeit zur Ausstattung der eigenen Wohnung. Ein Treppengeländer mit geschmiedeten Motiven, Treppenanfang und Krümmung auf der Empore geschmückt mit vollplastisch getriebenen Figuren aus Kupfer – ein bemerkenswertes Meisterstück. Umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass mein Vater keinerlei künstlerische Ausbildung genossen hatte. Mit ausdrucksstarken, eigenwillig gestalteten Arbeiten zierte er sein Haus. Liebhaber seiner Arbeiten baten um weitere Stücke – nur zu gerne gab er diesen Wünschen nach, bis Krankheit sein Schaffen beendete. Noch in den sieben Jahren, die er im Pflegebett verbringen musste, konnte er voller Begeisterung von seiner Arbeit erzählen.
Sein handwerkliches Geschick war sehr hoch ausgeprägt. Auch nach Aufgabe der Werkstatt holten Kollegen seinen fachmännischen Rat ein; bei besonders „kniffeligen” Arbeiten legte er dann selber Hand an. Die solide handwerkliche Ausbildung im ersten meiner drei Lehrjahre bis zum Gesellenbrief habe ich noch in seiner Werkstatt erhalten. Sie war in den folgenden Lehrstellen nicht zu überbieten. Er war ein hervorragender Handwerker, fühlte sich dem Handwerk und dessen Traditionen stark verbunden, und stand auch dafür ein. Sein Talent zur Gestaltung war stark ausgeprägt; vorwiegend setzte er jedoch bewährte, traditionelle Elemente und Motive ein – er hatte eine Werkstatt zu führen, für Familie und Belegschaft zu sorgen. Erst in späteren Jahren, in denen er mehr Mut zum Experiment zeigte, das Material selber sprechen ließ, die Formen vereinfachte, erhielten viele seiner Arbeiten außer handwerklichem auch gestalterisches Format.
© Gottfried Lambert / August 2002
Fotonachweis:
Foto Erkens, Goch (2); Foto Bohm, Goch (7); Gottfried Lambert, Goch (35)
Autor:Gottfried (Mac) Lambert aus Goch |
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