Wochenblatt-Serie "Your private museum" - Heute: Die Thitz-Aktion
2.000 Tüten in der Truhe
GOCH. Normalerweise kommt es in einem Museum darauf an, etwas zu zeigen. Die Besucher wollen die Werke sehen, die die Künstler ausstellen, wollen versuchen, die Kunst zu deuten, wollen verstehen, was Künstler wie Thitz, Deusser, Langenberg und Co. zum Ausdruck bringen wollten und wollen. Von solchen Kunstwerken hat das Museum Goch eine ganze Menge in seinem Bestand. Doch eines ist darunter, bei dem kommt es nicht auf das Sichtbare an, sondern vielmehr um das was es verbirgt. Noch...
Um ein solches Werk handelt es sich in Teil sieben unserer Serie "Your private museum". Diese erläutern wir nur kurz: Friseure dürfen ab dem 1. März öffnen, alle anderen Geschäfte und Kultureinrichtungen, darunter Kinos, Theater und Museen, bleiben mindestens bis zum 7. März geschlossen.
Gerade für Museen, die mit ihren Ausstellungen und Sammlungen allen sozialen Gruppen eine Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Kunst anbieten, ist das keine gute Nachricht. Die Corona-Pandemie erfordert darum weiter viel Fantasie und Flexibilität, um dieses Angebot an die Öffentlichkeit zu bringen.
In Goch lautet dies: „Your private museum“. Die Idee: Die Kunst kommt zu den Bürgern ins Haus und zwar durch das Gocher Wochenblatt. In regelmäßigen Abständen präsentiert das Museum Goch in dieser Zeitung verschiedene Kunstwerke und beschreibt in einem kurzen Text, warum gerade dieses Werk innerhalb der Sammlung besonders wichtig ist. Die Serie "Your private museum" ist nicht neu, sondern lief bereits beim ersten Lockdown im Frühjahr des vergangenen Jahres mit viel Erfolg. Aus diesem Grund gibt es eine Fortsetzung der gemeinschaftlichen Aktion.
Zurück zu unserem heutigen Kunstwerk. Es handelt sich hierbei um eine Stollentruhe aus dem Besitz von Ferdinand Langenberg (Kassettierung aus dem 16. Jahrhundert).
Zu dieser Truhe gäbe es direkt zweierlei Geschichten zu erzählen, sagt Jasmin Schöne, die pädagogische Mitarbeiterin des Museums, doch hier soll es jedoch um die weniger offensichtliche gehen, nämlich um das, was in der Truhe drin ist: "Im Jahr 2000 hat der Künstler Thitz die Gocher Bürger dazu aufgerufen etwas, das ihnen wichtig ist oder am Herzen liegt, etwas über ihr Leben erzählt oder schlicht zu diesem Zeitpunkt für sie selbst interessant war zu nehmen und in eine Tüte zu packen." Die Tüten für diese Aktion wurden zuvor als Beilage im Gocher Wochenblatt an die Leser, mit dem Aufruf sie zu befüllen und zum Museum zurückzubringen, verteilt.
2.000 dieser am Museum angekommenen Tüten wurden genommen und in diese historische Truhe gelegt. Die Truhe selbst wurde daraufhin nicht nur abgeschlossen, sondern von einem bestellten Notar verplombt, da sie nach Absprache erst 50 Jahre später wieder geöffnet werden solle, damit man nachsehen könne, was die Gocher zum Jahr des Jahrtausendwechsels bewegt hat. Jasmin schöne: "So lange bleibt der Truheninhalt ein Geheimnis, das noch viele Jahre darauf warten muss, entdeckt zu werden.
Es war damals der Hit in Tüten: Der Künstler Thitz zeigte in Goch zum ersten Mal das gesamte Repertoire seiner Thitz'schen Welt. Vor allem auf die Papiertüte setzte der Frankfurter als Medium in seiner Kunst ein. Das Museum stellte ihm hierfür seine Sammlungsräume für eine neue Gestaltung zur Verfügung. Darin hatte Thitz seine persönlichen Gegenstände so unauffällig wie möglich installiert.
Das Gocher Wochenblatt hatte den Museumsleiter Dr. Stephan Mann wie folgt zitiert: "Der Besucher wird permanent irritiert und dabei nicht nur der Thitz-Welt, sondern auch den alten Skulpturen, den niederländischen Gemälden, oder auch den Grammophonen völlig neu begegnen." Und die Besucher sollten nicht nur sehen, sondern aktiv mitwirken: Über das Gocher Wochenblatt ließ das Museum kleine Plastiktütchen mitsamt einer kleinen Beschreibung der Aktion an die Bürger verteilen.
In die Tüten sollten diese persönliche oder dem Zeitgeist entsprechend wichtige Gegenstände hineinlegen und beim Museum Goch wieder abgeben. Wer wollte, durfte die Tüte auch bemalen oder beschriften. Anschließend wurden die Tüten im Museum Goch vier Wochen lang ausgestellt, bevor sie dann in der Langenberg-Truhe für die nächsten fünfzig Jahre verschwinden sollten. Auf diese Weise soll der Inhalt im Jahr 2050 einen repräsentativen Einblick in das Gocher Zeitgeschehen des Jahres 2000 geben. Man darf also in rund dreißig Jahren gespannt sein, was die Menschen in dieser Zeit bewegte, was vorm allem für die damals noch sehr jungen Mitbürger interessant sein dürfte.
Auch das Gocher Wochenblatt beteiligte sich an der Aktion mit einer Hinterlassenschaft: In die Tüte steckte die Redaktion eine Ausgabe der damaligen Titelseite, sowohl in Printform als auch auf CD. Ob sie in rund 30 Jahren in der Form noch eingelesen werden können?
Steffen Fischer, der wissenschaftliche Mitarbeiter im Museum, erinnert sich noch genau an das Jahr 2000: "Das war eine aufregende Aktion und ich fand es interessant, wie stark der Rücklauf der Tüten und Karten war." An eine der Karten erinnert sich Fischer noch heute sehr genau: "Auf der hatte ein Bürger einen Sonnenkönig gemalt und meinte damit wohl einen politischen Vertreter aus jener Zeit."
Auch über das Motiv der Aktion war sich Fischer im Klaren: "Das Jahr 2000 war für die Menschen ein Jahr voller Ungewissheiten. Viele glaubten, dass die Computersysteme die Umstellung des Datums nicht mitmachen und zusammenbrechen würden. Bei vielen Menschen herrschte die Angst, dass alles den Bach runtergeht." Insofern sei die Situation, so Fischer, vergleichbar mit der heutigen. Der Grund läge auf der Hand: Wie damals erleben die Menschen eine Krise. Zwar nicht wegen der Jahrtausendwende, sondern vielmehr wegen Corona. Anmerkung der Redaktion: Und Sonnenkönige gibt es bekanntlich auch heute noch mehr als genug, sowohl in der großen als auch in der kleinen Welt ... Mit diesem Aufruf, der dem Gocher Wochenblatt beigefügt war, startete die Thitz-Aktion im Jahr 2000 in Goch.
Autor:Lokalkompass Goch aus Goch |
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