Fremd im eigenen Körper - Caritasverband bietet Unterstützung für Eltern von Transgender-Kindern
Gute-Nacht-Geschichten vorlesen, kuscheln, ein Lied singen. All das gab es bei Mia*, als sie drei Jahre alt war. Aber es gab auch etwas anderes, das Mia gerade vor dem Zubettgehen beschäftigte und sie nicht los lies. Immer wieder sprach sie schon gut formuliert aus, was sie fühlte: „Mama, ich möchte ein Junge sein!“ und so wurde das Abendritual oft zu einem Gespräch, mit dem in diesem Alter kein Elternteil rechnet.
Mia ist mittlerweile 13 Jahre alt und nicht mehr Mia, sondern Michael. „Er hat sich schon immer nur mit Jungs umgeben und ging selbst als kleines Mädchen stets als Junge durch“, berichtet Mutter Anja. „Als er auf die weiterführende Schule wechselte, haben wir ihn gleich als Jungen angemeldet.“ Probleme in der Klasse hat Michael nicht. „Es war von Anfang an klar, wer er ist.“ Gleichzeitig ist er im Hormon- und Stoffwechselzentrum für Kinder und Jugendliche in Dortmund in Behandlung. „Wir haben mit der Gabe der Pubertätsblocker begonnen“, erklärt Mutter Anja.
Was sich zunächst nach einem geradlinigen Weg anhört, ist oft geprägt durch Stolpersteine, Abzweigungen und das Gefühl der Hilflosigkeit. „Die Kinder sind mit massiven Identitätsproblemen beschäftigt“, fasst Bernd Nelskamp zusammen. Der Diplom-Sozialarbeiter leitet die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche des Caritasverbandes Gladbeck. „Sie fühlen sich emotional nicht dem Geschlecht zugehörig, das sie mit Geburt zugeteilt bekommen haben.“.
Bernd Nelskamp fielen in der alltäglichen Arbeit der Beratungsstelle zwei Beispiele auf, die wegen ganz anderem Bedarf Hilfe suchten, das Thema Transgender allerdings eine Rolle spielte. „Die Eltern der betroffenen Kinder sehen sich mit so vielen medizinischen und emotionalen Fragestellungen konfrontiert, dass ich einen Austausch untereinander als unterstützendes Angebot für sinnvoll hielt.“.
Er fragte bei den betroffenen Müttern die Bereitschaft für einen solchen Austausch ab. Beide waren sofort einverstanden. Eine dritte Mutter kam hinzu. „Jetzt treffen wir uns jeden ersten Dienstag im Monat ab 18 Uhr bei uns in der Beratungsstelle.“ Weitere Teilnehmer sind jederzeit willkommen. „Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Betroffenen weitaus höher ist, viele sich aber vielleicht nicht trauen, darüber zu reden. Es gibt nicht viele Möglichkeiten, sich vor Ort auszutauschen. Die nächsten medizinischen Behandlungszentren sind in Dortmund und Münster“, so Bernd Nelskamp, der die Treffen begleitet.
Dabei gehe es nicht um die Beantwortung medizinischer Fachfragen. „Es geht darum, Erfahrungen zu teilen, sich gegenseitig Mut zu machen und zu erkennen, dass man nicht alleine ist. Und zwar aus der Perspektive der Eltern. Die Kinder sind bei den jeweiligen betreuenden Fachmedizinern und Psychologen in den richtigen Händen.“.
So sitzen neben Anja auch die Mütter von Lilli und Martin am Tisch. Lilli ist 10 Jahre alt und kam als Jan auf die Welt. Martin ist mit 17 Jahren das älteste der betroffenen Kinder und wurde als Daria geboren. „Er hat jetzt eine Freundin“, erzählt Mutter Miriam in der Runde. Und dann geht es weiter ans Eingemachte: die Pubertät, die alle Mütter gerade beschäftigt. „Ich habe das Gefühl, bei Michael machen wir die Pubertät gleich zweimal durch. Erst kam die eines Mädchens, nun sind wir mitten in der eines Jungen“, sagt Mutter Anja. Miriam muss schmunzeln, sie kennt das: „Da hilft nur Augen zu, ruhig bleiben und durch.“.
Die Intensität, mit der ihre Kinder das Thema Transgender zur Sprache brachten, hat alle drei Mütter herausgefordert. „Am Anfang denkt man sich noch, das kann auch eine Phase sein“, beschreibt Anja den Prozess. „Gerade, wenn sie noch klein sind, können sie die Probleme, die dieser Identitätskonflikt mit sich bringt, gar nicht so zur Sprache bringen.“ .Die Vehemenz, mit der sie allerdings schon in jungen Jahren das Grundbedürfnis, jemand anderes zu sein, äußerten, die war bei allen gleich.
„Ich habe mich mit Martin sehr viel ausgetauscht, Beratungsstellen aufgesucht, im Internet recherchiert, Bilder gezeigt. Und immer wieder die Frage gestellt: Willst du das wirklich?“, so Mutter Miriam. Martin hat nun die erste Operation hinter sich. Kurz vorher bekam er Bedenken. Nicht wegen der Sache an sich, sondern aus Angst vor möglicherweise eintretenden Schmerzen. „Ich habe ihm Mut gemacht. Gesagt, dass wir so viel schon gemeinsam geschafft hätten und das nun auch meistern würden.“.
„Eigentlich wünscht man sich für sein Kind nur eines: ein sorgenfreies Leben“, sind sich alle Mütter einig. „Es tut mir weh und macht mich traurig, dass mein Kind so einen Weg gehen muss, um sein zu können, wie es sein möchte“, fasst Miriam zusammen. „Aber wir gehen da gemeinsam durch und das Verhältnis zwischen mir und Martin ist viel besser und enger geworden. Die Abende hier in der Beratungsstelle tuen mir einfach gut. Es hilft, zu wissen, das eigene Kind und man selbst sind nicht die einzigen auf diesem Weg.“ .(*Namen sind zum Schutz der Betroffenen geändert)
Autor:Lokalkompass Gladbeck aus Gladbeck |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.