Auf den Spuren derdeutschen Geschichte
Emotionale Gespräche mit Zeitzeugen der Nazi-Diktatur
Gladbeck.Die Fahrt zu Gedenkstätten von Verbrechen des Nationalsozialismus fand in der Zeit vom 29. März bis zum 2. April in Berlin statt. An dieser bereits traditionellen Fahrt haben insgesamt 20 Jugendliche aus Gladbeck teilgenommen.
Zu Beginn der Gedenkstättenfahrt stand eine 3-stündige Stadtführung mit dem Referenten Reinhard Bahlow auf dem Programm. Im Vordergrund standen hier historische Orte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Am nächsten Tag informierte sich die Gruppe in der Gedenk.- und Bildungsstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ über das vielleicht schändlichste Dokument der modernen Geschichte, und den damit verbundenen Konsequenzen für Millionen von Menschen
Am 20. Januar 1942 kamen in einer Villa am Wannsee in Berlin 15 hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und SS-Behörden zusammen, um unter Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich den bereits begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.Entgegen verbreiteter Meinung war es nicht Hauptzweck der Konferenz den Holocaust zu beschließen – diese Entscheidung war mit den seit Monaten stattfindenden Massenmorden in den vom Deutschen Reich besetzten Gebieten faktisch schon gefallen –, sondern in den Grundzügen die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten zu organisieren und die erforderliche Koordination sicherzustellen.
Die Historikerin Ingrid Damerow informierte die Jugendlichen der Gedenkstättenfahrt in beeindruckender Weise über die systematische Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch den nationalsozialistischen Machtapparat.
Ein weiterer Programmpunkt der Fahrt war der Besuch der Gedenkstätte „Deutscher Widerstand“, die sich im ehemaligen Bendler-Block in der Stauffenbergstraße befindet.
Im Vordergrund der Führung stand das Thema, „Jugend im Widerstand“! Gemeinsam mit der Referentin der Gedenkstätte, Regina Foelz, wurden einzelne Jugendgruppen vorgestellt und besprochen, die aktiven Widerstand während der Naziherrschaft leisteten. Die Jugendlichen der waren sehr beeindruckt vom Mut und der Entschlossenheit dieser jungen Menschen, die sich gegen das bestehende Unrecht auflehnten.. Es wurde in der Gruppe auch sehr lebhaft die Frage diskutiert, wie hätten wir uns verhalten, und wie kann unser Engagement gegen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft heute aussehen.
Tags drauf wurde das Jüdische Museum in Berlin-Kreuzberg besucht, wo der bekannte Architekt Daniel Libeskind einen ganz besonderen Ort des Erinnerns geschaffen hat. Hier nahmen die Jugendlichen an einem Workshop teil, der sich mit den Themen: "Zwangsarbeit, Überleben in Berlin, Deportation" auseinander setzte. Dieses Angebot wurde von den MitarbeiterInnen der Bildungsabteilung in Zusammenarbeit mit dem Archiv des Jüdischen Museums Berlin vorbereitet und durchgeführt.
Mit Unterstützung durch die Mitarbeiterinnen des Jüdischen Museums, haben sich die Jugendlichen in den Arbeitsgruppen mit den Leidenswegen von deutschen Juden auseinandergesetzt. Mit Hilfe von Originaldokumenten, wie z. B. Fotos, persönlichen Briefen, Schreiben von Ämtern und Behörden, Zeitungsartikeln etc., wurde das persönliche Schicksal von Menschen aufgezeigt, die aufgrund ihrer Religion oder politischen Überzeugung von den Nationalsozialisten verfolgt bzw. ermordet worden sind.
Ergänzt wurden die Arbeitsergebnisse der jeweiligen Arbeitsgruppen durch die persönlichen Schilderungen des Zeitzeugens Peter Neuhof, der 1925 in Berlin als so genannter “Halbjude“ geboren wurde. Er berichtete den Jugendlichen in beeindruckender Weise vom „Überlebenskampf“ seiner Familie. Sehr emotional beschrieb er die Verfolgung und Verhaftung seiner Eltern. Sein Vater Karl wurde als Widerstandskämpfer jüdischer Abstammung ins KZ Sachsenhausen eingeliefert und ohne Urteil dort auch erschossen. Seine Mutter Gertrud wurde ins KZ Ravensbrück eingeliefert, sie überlebte den Todesmarsch und wurde von der Roten Armee befreit.
Das Gespräch war für die jungen Menschen eine sehr intensive Erfahrung mit den schrecklichen und unfassbaren Geschehnissen der Naziherrschaft. Eine Erfahrung, die uns so kein Geschichtsbuch und Lehrer vermitteln kann.
Der letzte und emotionalste Programmpunkt war das Treffen mit der Zeitzeugin Inge Deutschkron im Otto Weidt Museum.
Sie begrüßte die Jugendlichen aus Gladbeck in der ehemaligen Werkstatt des Unternehmers Otto-Weidt. Dieser betrieb während der Naziherrschaft eine kleine Firma in der Nähe der Hackeschen-Höfe, um dort Besen und Feger für die Wehrmacht und Karstadt zu produzieren. Er stellte fast ausschließlich blinde und gehörlose Juden ein. (I. Deutschkron arbeitete ebenfalls für Otto Weidt, und war eine von drei sehenden Mitarbeitern), um sie somit vor der drohenden Deportation zu retten, was ihm auch eine längere Zeit gelang. Im Jahr 1942 wurden dann doch 30 von den 35 Beschäftigten in die Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet. I. Deutschkron, die mit ihrer Mutter in einem Versteck in Potsdam untergetaucht war, gehörte zu den fünf Überlebenden . Nach dem Krieg lebte sie lange Zeit in England und Israel und kam Ende der achtziger Jahre wieder zurück nach Berlin. Ihr Leben diente als Vorlage für das berühmte Theaterstück “Ab heute heißt du Sarah“, welches in regelmäßigen Abständen im Kinder- und Jugendtheater „Grips“ aufgeführt wird.
I. Deutschkron unterstütze die Arbeit junger Studenten, die die Geschichte der Werkstatt von Otto-Weidt, und den damit verbundenen Leidenswegen der ermordeten Juden, erforschten. Auf Initiative dieser Studenten befindet sich heute in der ehemaligen Werkstatt eine wichtige Gedenkstätte für den „Stillen Helden“ Otto-Weidt.
Das Zusammenkommen und fast zweistündige Gespräch mit der 93.-jährigen Zeitzeugin war für die Jugendlichen ein sehr bewegender Moment. Einen tiefen Eindruck hinterließ bei den Teilnehmern der Fahrt auch in diesem Jahr wieder der Appell von Inge Deutsckron, sich gut über die Zeit des Nationalsozialismus zu informieren und mitzuhelfen, dass sich diese Zeit des Terrors nicht wiederholt.
Die Gedenkstättenfahrt wurde in diesem Jahr durch das Landesjugendamt und der Brost-Schenkung finanziert. Peter Neuhof, Zeitzeuge und Überlebender, stand den Besuchern im Jüdischen Museum in Berlin als Ansprechpartner zur Verfügung.
Autor:Lokalkompass Gladbeck aus Gladbeck |
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