Skeptiker bleiben bei ihren Bedenken: Bringen es Versandapotheken?
Gladbeck. Seit mittlerweile 14 Jahren gibt es in Deutschland den Versandhandel für Arzneimittel. Das Geschäft machen vor allem die großen Versender in Holland: DocMorris und die Europa Apotheek. Es mag sein, dass Versandapotheken in manchen Dingen günstiger sind als die Apotheke vor Ort – aber warum ist das so? Und nach Ansicht des Gladbecker Apothekers Christoph Witzke hat die - oftmals günstig wirkende - Alternative aus dem Internet gleich eine Vielzahl von Tücken!
Die Vor-Ort-Apotheke ist in Preisgestaltung und Einkaufsmöglichkeiten extrem vom Staat reglementiert. Die Krankenkassen haben vor einiger Zeit höchstrichterlich eingeklagt, dass alle erzielten Einkaufsrabatte den Krankenkassen gehören. Das ist erst einmal gut für die Versicherten, bedeutet für eine deutsche Apotheke aber deutliche Nachteile im Vergleich zu holländischen Versendern.
Mehrwertsteuer: In Deutschland unterliegen Medikamente der vollen Mehrwertsteuer von 19 %. Arztbesuche sind komplett von der MWSt befreit, selbst für Tierfutter oder Magazine werden nur 7 % fällig. Für Arzneimittel (übrigens auch für Kinderartikel und Babywindeln) zahlt der Verbraucher hingegen den vollen Steuersatz. In den Niederlanden beträgt der Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel 6 % - das allein macht schon einen Unterschied von 13 % aus. Nur drei von 27 Staaten in der EU verlangen für Arzneimittel die volle Mehrwertsteuer.
Kostenstruktur: Versandapotheken beteiligen sich nicht an den sogenannten Gemeinwohlpflichten, die jede Apotheke in Deutschland unentgeltlich leisten muss: flächendeckende Versorgung inklusive unentgeltlichem Bodendienst, Apothekennotdienst (jeden Tag, auch Sonn- und Feiertags, machen in Deutschland ca. 2000 Apotheken Notdienst), Abgabe und Überwachung von Betäubungsmitteln, Herstellung von patientenindividuellen Rezepturen und vieles andere mehr. Und die Apotheke hält qualifiziertes pharmazeutisches Personal vor, wohingegen bei den Versandhändlern auch Ungelernte die Päckchen packen.
Abgesehen davon, dass die klassische vor-Ort-Apotheke nicht so preisgünstig sein kann wie mancher Versandhändler, sollte man sich einmal vor Augen führen, was die Vorteile der lokalen Apotheke als klassischer Einzelhändler vor Ort sind:
Versandapotheken können einfach nicht alles liefern, was Sie als Kunde von ihrer Apotheke gewöhnt sind: Betäubungsmittel, Kühlartikel (Insulin, Impfstoffe), individuelle Rezepturen, Tierarzneimittel, etliche weitere Arzneimittel, die nicht auf dem Postweg verschickt werden dürfen…
Versandapotheken haben nicht den direkten Kontakt zum Arzt wie die Apotheke vor Ort. Etwa 25-30 % aller Rezepte sind fehlerhaft ausgestellt - fehlerhafte Patientendaten, falsch verordnete Arzneimittel, fehlende Arztunterschrift - die Liste der möglichen Fehler ist endlos. Ihre Apotheke klärt das in einem kurzen Telefonat mit dem Arzt - die Versandapotheke schickt normalerweise nach 2-3 Wochen das „fehlerhafte“ Rezept kommentarlos zurück.
Genauso stoßen die Onlinehändler an ihre Grenzen, wenn Medikamente (meist herstellerbedingt) nicht lieferbar sind. Wie alle Apotheken sind auch die Versandhändler an die Verträge mit den Krankenkassen gebunden. Die vor-Ort-Apotheke wird schnell versuchen, eine Alternative zu finden - das ist für die meisten Versandhändler logistisch viel zu aufwendig. In den meisten Fällen werden sie das Rezept zurückschicken mit der Bitte, sich das Medikament woanders zu besorgen.
Die Apotheke als lokales Geschäft stellt eine Menge wohnortnaher Arbeitsplätze zur Verfügung. Die fast 20.000 deutschen Apotheken beschäftigen insgesamt ca. 160.000 Mitarbeiter, davon 89 % Frauen.
Die Apotheke zahlt Steuern und Abgaben vor Ort und unterstützt damit die lokale Infrastruktur. Áuch andere nicht unerhebliche Abgaben stützen das Gemeinwesen und insgesamt die Medikamentenversorgung in Deutschland. Alles das zahlt die ausländische Versandapotheken nicht. Die großen Drei (Zur Rose, DocMorris, Europa Apotheek) können die enormen Ausgaben für Marketing, Logistik und Fernsehwerbung gar nicht aus eigener Kraft stemmen und sind deshalb an die Börse gegangen oder haben sich anderweitig fremde Investoren gesucht (DocMorris bekam letztens eine Finanzspritze von 100 Millionen € vom saudischen Königshaus). Als Verbraucher sollte man sich also letztlich folgendes genau überlegen: möchte ich eine gestärkte Versorgung vor Ort oder möchte ich als Verbraucher langfristig abhängig sein von Mega-Konzernen und von ausländischen Großkapital? Gleiches gilt übrigens auch für Bestellungen bei Amazon….
Weitere Infos unter #daumenhochfürmeineApothekevorOrt Ein Beitrag von Apotheker Christoph Witzke. Foto: Archiv
Autor:Uwe Rath aus Gladbeck |
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