Steinstr. 72: 222 Personen unter Generalverdacht?
Mit mehr als einer Hundertschaft der Polizei, einer Hundestaffel, dem Ordnungsamt und Schlüsseldiensten fand am 22. Juni eine Großrazzia an der Steinstrasse 72 statt. Dort soll einer der sechs "verrufenen Orte" des Kreises Recklinghausen sein. Mehrere Straftäter haben irgendwo in Deutschland die Steinstrasse 72, ein Hochhaus mit 120 Wohnungen, als ihren Wohnsitz angegeben.
Als Medien erstmals über die Zunahme dieser "gefährlichen bzw. verrufenen Orte" von eins auf sechs im Kreis Recklinghausen berichteten, hatte die Fraktion DIE LINKE im Kreistag von Recklinghausen den Landrat um Auskünfte dazu gebeten. Der ließ sich vier Wochen Zeit, um nach der Landtagswahl mitzuteilen, dass nicht er, sondern die Polizei zuständig sei. Genau diese Methode der Auskunftsverweigerung gehört zu den Gründen der Abwahl der SPD.
Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. "Nicht bei allen Bewohnern handelt es sich um Straftäter!", teilte ein Polizeisprecher mit und die Presse veröffentlicht den Satz kommentarlos. Richtig müsste es heißen, nur wenige der 222 Bewohner sind Straftäter, denn es gab nur zwei Festnahmen und dann auch noch aus anderen Gründen, als sie der Razzia zugrunde lagen.
Es stellt sich die Frage, ob es für die 120 Wohnungen einen umfassenden Durchsuchungsbeschluss gab und auf welcher Faktengrundlage er erstellt wurde. Schließlich wurden rund 20 Wohnungen durch Schlüsseldienste geöffnet. Man stelle sich vor, dass irgendwo in Deutschland gefasste Ladendiebe als Adresse eine Straße in Gladbeck nennen, auf der überwiegend begüterte Menschen wohnen. Kein Richter dieses Landes würde einen Durchsuchungsbeschluß für alle Häuser an dieser Straße ausstellen.
Weiter wäre es interessant zu wissen, was mit den aufgenommenen Daten von 222 Personen passiert. Der weitaus größte Teil dieser Menschen ist völlig unschuldig und ist nun im Zusammenhang mit Straftaten, mit denen sie nichts zu tun haben, datenmäßig erfasst worden? Wie lange bleiben diese Daten gespeichert, welche Rechtsgrundlage gibt es für die Speicherung?
Abschließend noch einmal die Fragen unserer Anfrage vom 20. April 2017 an den Landrat:
1. Sind die (in der Landtagsdrucksache 16/14861) genannten "gefährlichen bzw. verrufenen Orte" der Kreisverwaltung bekannt?
2. Wie bewertet die Kreisverwaltung die Einstufung als "gefährliche bzw. verrufene Orte" mit Blick auf die hiermit verbundenen Stigmatisierung der betroffenen Stadtteile und deren Bewohnerinnen?
3. Welche Maßnahmen beabsichtigt die Kreisverwaltung gemeinsam mit den betroffenen Städten in Bezug auf die betroffenen Orte?
Die Antwort des Landrates: er sei nicht zuständig, sondern die Polizei. Es mag sich jeder selbst einen Reim auf diese Aussage eines gewählten SPD-Spitzenpolitikers machen. Problemlösung geht jedenfalls anders!
PS: Hier kann man lesen, was diese Datensammlung für die 222 Personen bedeuten kann: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/banken-auf-der-schwarzen-liste-der-banken-1.3557704
Autor:Ralf Michalowsky aus Gladbeck |
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