AWO geht in die Offensive: Kassenüberschuss auf Kosten der Pflegebedürftigen

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird auch in Gladbeck in den nächsten Jahren weiter steigen. Doch die AWO zieht sich aus Pflege-Teilbereichen zurück, da die Pflegesätze, die von den Kassen gezahlt werden, nicht mehr kostendeckend sind. | Foto: Gerd Altmann/pixelio.de
  • Die Zahl der Pflegebedürftigen wird auch in Gladbeck in den nächsten Jahren weiter steigen. Doch die AWO zieht sich aus Pflege-Teilbereichen zurück, da die Pflegesätze, die von den Kassen gezahlt werden, nicht mehr kostendeckend sind.
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Gladbeck/Kreis Recklinghausen. Die "Arbeiterwohlfahrt" (AWO) geht in die Offensive, übt heftige Kritik an den Krankenkassen. So hat Uwe Hildebrandt, Geschäftsführer des AWO Unterbezirkes Münsterland-Recklinghausen, absolut kein Verständnis für die Aussagen von Jens Baas,der als Chef der "Techniker Krankenkasse" (TK) angesichts der hohen Rücklagen der Krankenkassen Beitragssatzsenkungen der Versicherungsnehmer fordert.

„Insgesamt haben die gesetzlichen Krankenkassen und Gesundheitsfonds eine Rekordsumme von über 20 Milliarden Euro angehäuft. Wir werden mit unseren Dienstleistungen nicht weiter dazu beitragen, die Krankenkassen indirekt quer zu finanzieren“, erklärt Hildebrandt. „Unsere Pflegedienste stehen unter enormen wirtschaftlichen Druck. Nur die Hilfebedürftigkeit unserer Kunden und die Verpflichtung zu unseren Grundwerten haben uns bisher davon abgehalten, entsprechende Konsequenzen daraus zu ziehen und uns aus dem Geschäftsfeld zu verabschieden."

Eine Refinanzierung durch die Pflegeversicherung finde nicht statt, führt Hildebrandt weiter aus. Und die Vergütungsverhandlungen zwischen Kranken- und Pflegeversicherungen auf der einen Seite sowie den Pflegediensten auf der anderen Seite hätten nur minimale Vergütungssteigerungen für die Grundpflege erbracht.

"Mit der Einführung des Pflegeneuausrichtungsgesetzes haben die Pflegekassen in NRW den Pflegediensten ein nahezu unverschämtes neues Angebot für die häusliche Betreuung vorgelegt," wird Hildebrandt in seiner Kritik noch deutlicher. "Mit einer Vergütung von 16,20 € für den Betreuungsbereich setzen sie die Pflegedienste in NRW weiter unter Druck. Diese Angebote reichen aber in keinster Form aus. Unter diesen Bedingungen kann ein Pflegedienst nicht auskömmlich und wirtschaftlich arbeiten kann und darüber hinaus die Mitarbeiter nach qualitätsorientiertem Maßstab adäquat schulen. Warum kann höhere Vergütung in der Pflege nur so schwer umgesetzt werden? Was rechtfertigt eine Autowäsche von Hand für 40,- € gegenüber einer Ganzkörperwäsche beim Pflegebedürftigen mit besonderer Ansprache von 18-19,- €?"

Nach Angaben von Uwe Hildebrandt kam es im Bereich der Behandlungspflege sogar zu einer Absenkung der Vergütung einzelner Leistungen. Demgegenüber stünden aber tarifliche Gehaltserhöhungen und Sachkostensteigerungen, hier insbesondere die angezogenen Kraftstoffpreise.

"Muss es einer Gesellschaft nicht wichtig sein, dass es Arbeitsgeber wie die Wohlfahrtsverbände gibt, die ihre Mitarbeiter nach Tarif zahlen und damit auskömmliche Löhne gewährleisten und damit auch der Altersarmut entgegenwirken?" fragt Uwe Hildebrandt.

Bereits auf seiner Klausurtagung im Januar habe der AWO-Vorstand deshalb beschlossen, sich aus Teilen dieses Geschäftsfeldes zurückziehen. Die zunehmenden Kostensteigerungen der letzten Jahre in dem Aufgabenbereich der sogenannten pflegeergänzenden Maßnahmen, wie Betreuung und Hauswirtschaft, würden sich mit den Vergütungen der Kostenträger nicht mehr auffangen lassen.

Konkret bedeute dies für die AWO und derer – sehr zufriedene! – Kunden, dass man bereits Ende März die beiden Arbeitsfelder „hauswirtschaftliche Dienstleistungen“ und „Betreuung“ aufgeben werde. Wie lange die AWO anschließend nicht mit ihren Pflegediensten unter den aktuellen Bedingungen existieren könne, sei noch fraglich.

"Wir müssen Dienste schließen und damit auch Mitarbeiter entlassen. Aber die Krankenkassen freuen sich über ihre rekordverdächtigen Rücklagen und sitzen wie Dagobert Duck auf ihren Milliarden und ziehen sich zum Zählen in ihre Glaspaläste zurück," hat Uwe Hildebrandt den Schuldigen für die Misere ausgemacht.

Der demografische Wandel in Deutschland und der sich daraus ergebende höhere Bedarf an professionellen Pflegekräften sind nach den Worten des AWO-Chefs vorerst nicht aufzuhalten. "Ich wünsche mir aber, dass alle Pflegedienste, auch die, die sich in Zukunft noch gründen, weiter am Markt mit ihrer guten qualitativen Arbeit Bestand haben werden und auskömmliche Entlohnung ihren Mitarbeitern zahlen können," zeigt sich Hildebrandt ein wenig optimistisch.

Leider aber befinde sich die Politik zu diesem Thema im Tiefschlaf, beklagt sich Hildebrandt. Das Zauberwort zum Thema demografischer Wandel sei insbesondere auf Landesebene das inklusive Wohnquartier. Doch dies könne ohne Pflegekräfte nicht realisiert werden.

Daher sei es äußerst wichtig, dass hier von politischer Seite reagiert werde, um das Geldsäckel der Pflegekassen nicht mehr weiter zu füllen. Und solle sich die Situation nicht ändern, dann werde es einen echten Pflegenotstand, der alle Bürger treffen werde.

Der AWO Unterbezirk Münsterland-Recklinghausen betreibt vier Pflegedienste in den Kreisen Borken und Recklinghausen - inklusive Gladbeck - sowie in Münster. Rund 600 Kunden werden täglich pflegerisch versorgt. Ergänzend zu den pflegerischen Leistungen bietet der AWO-Unterbezirk beratende und unterstützende Hilfen im häuslichen Umfeld an. Diese tragen oft dazu bei, dass der Kunde so lange wie möglich in seiner gewohnten häuslichen Umgebung verbleiben kann.

Autor:

Uwe Rath aus Gladbeck

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