Wie der Stadtspiegel entsteht, anhand einer fast wahren Geschichte
Walters wundersames Ei
Wie entsteht eigentlich unsere Zeitung, und wie gelangt sie zu Ihnen nach Hause? Am Anfang unserer Geschichte steht, wie so oft, das Ei.
Von Oliver Borgwardt
So etwas hat Walter noch nie gesehen: Mit beiden Händen birgt der fidele Frührentner ein glänzendes Objekt aus dem vermoosten Erdreich. Eine bunte Schale, leicht verschmutzt, bestimmt uralt. Als ehemaliger Bergmann und geübter Dinosaurierbuch-Vorleseopa ist Walter zum Glück Experte für Vorsintflutliches aller Art, und so greift er zum Telefon.
Die Redaktion
Mit einem unverwechselbaren Dudeln meldet sich das Telefon in der Stadtspiegel-Redaktion zu Wort. Mit geübtem Griff fasst der Redakteur das läutende Gerät und hört die Stimme des aufgeregten Walter, der von einem nie dagewesenen Fund von epochaler Bedeutung in Gladbeck erzählt. „Ein Dinosaurier-Ei, so wahr ich hier stehe“, ruft der begeisterte Finder ins Telefon.
Ob Walter nun steht, sitzt oder liegt, kann der Redakteur fernmündlich nicht beurteilen, aber an guten Geschichten aus Gladbeck ist der Stadtspiegel immer interessiert. Schließlich ist es die Nähe zum lokalen Geschehen, die das Anzeigenblatt seit nunmehr 40 Jahren ausmacht. Kaum hat Walter aufgelegt, wählt der Redakteur eine wohlbekannte Nummer.
Der Fotograf
Fast verschüttet der Fotograf seinen Kaffee, als er nach seinem laut losplärrenden Handy greift. Den ganzen Tag schon war er auf der Suche nach spannenden Fotomotiven, die das Stadtleben in Gladbeck bebildern können. Er schaut auf die Nummer und tastet bereits in der Jackentasche nach seinem Stift, als er abnimmt. „Ja, was gibt es zu tun?“ fragt er und lauscht, während seine andere Hand einen Block und Stift zutage fördert. Einen Moment lang ist er sprachlos. „Und das ist echt?“ fragt er noch, als er sich die Adresse notiert.
Es vergehen keine zehn Minuten, da steht er mit gezückter Kamera am Gartentor von Walter, dem stolzen Finder. Im selben Moment biegt auch der Wagen des Redakteurs um die Ecke.
Frisch gedruckt
Eine Stunde später klappern bereits die Tasten unter den geschickten Händen des Redakteurs. Sein Notizblock ist voll, und der Kugelschreiber fast leer, denn Walter hatte so einiges zu erzählen. Mit geübter Hand fasst der Journalist die Wörterflut nun in einem informativen und lesbaren Artikel zusammen. „Und... Punkt“, denkt er im Stillen und drückt zum Abschluss auf die Tastatur.
Zur gleichen Zeit sitzt der Fotograf ebenfalls am Bildschirm. Digitalkamera und Maus haben die alte Dunkelkammer längst ersetzt, und vor den Augen des Profis bekommt die auffällige Färbung des Eis gerade noch einen Hauch mehr Kontrast. „So ein Ding habe ich noch nie gesehen“, denkt der Fotograf und speichert das Bild als Datei ab. In Sekundenschnelle ist das Ei des Walter als großes Foto auf der Titelseite montiert, und die gesamte Datei wird über das Internet an das Verlagshaus in Hagen gesandt.
Als die Druckmaschinen anlaufen, träumt Walter bei einem Nickerchen im Sessel selig von Ruhm und Ehre. Walter, der Entdecker. Er lächelt im Schlaf.
Der Vertrieb
Das Ruhrgebiet hat gerade zu Abend gegessen, als mit Zeitungen voll beladene Lastwagen am Druckhaus ihren Weg beginnen. Auch eine Ladung für Gladbeck ist dabei. Fast 40.000 Zeitungen werden an den Verteilerstellen abgeladen, und eine Schar von Zustellern packt sie bündelweise in ihre Botenkarren.
An diesem Mittwoch bekommen viele Gladbecker beim Blick auf die frisch gedruckte Titelseite den Mund nicht mehr zu: „Gladbeckosaurus entdeckt?“ steht dort in großen Lettern, und das Bild spricht Bände. Schon beim Wochenmarkt verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Bei Walter, der seit dem frühen Morgen liebevoll sein Dinosaurierei abstaubt, steht das Telefon an diesem Tag nicht mehr still.
Die Kundenberater
Auch die Gladbecker Geschäftswelt steht Kopf: Nach dem spektakulären Fund suchen Kaufleute, Restaurantbetreiber und Selbstständige eine Möglichkeit, Profit aus dem Ei zu schlagen. Schon wird der erste „Dino-Döner“ kreiert, eine Kosmetikerin bietet Masken aus Jurassic Quark an, und im lokalen Supermarkt sollen die Saurierwochen Kunden locken. Aber wie sollen die Menschen von den Angeboten erfahren?
Beim Stadtspiegel klingeln die Telefone. „Ich würde gerne eine Anzeige aufgeben“, tönt es dutzendfach aus dem Hörer. Kein Problem für die Kundenberater: Dank jahrelanger Erfahrung gestalten sie den Geschäftsleuten im Nu ansprechende Anzeigen, die bereits in der Samstagsausgabe abgedruckt werden sollen. Die Motive lassen die Berater aber einige Schweißperlen vergießen: „Habt ihr noch Dinosauriermotive?“, ruft eine Stimme durch das Büro.
Kleinanzeigen
Auch bei den Kleinanzeigen geht es nun rund. Da sich der Gladbeckosaurus-Trend überall in der Stadt Bahn zu brechen beginnt, entrümpeln die Bürger ihre Dachböden und verkaufen alles, was auch nur entfernt an die Kreidezeit erinnert.
Dank der professionellen Mitarbeiterinnen sind Anzeigen wie: „Verkaufe urzeitlichen Staubsaurus Rex“ oder „Junggebliebenes Fossil sucht hübsche Ausgräberin“ in Minutenschnelle aufgegeben. Die kleinen Verkaufstexte werden sich am Samstag fein sortiert im Anzeigenteil wiederfinden.
Im Lokalkompass
Auch im Internet schlägt sich die Sensation nieder: Hunderte Besucher klicken den Artikel, den Walters Freund Herbert, seines Zeichens Bürgerreporter, auf die Stadtspiegel-Plattform lokalkompass.de gestellt hat. Sogar ein Foto des stolzen Finders hat Herbert geschossen und eingestellt. Mit Opas altem Tropenhelm sieht Walter aus wie ein richtiger Entdecker, finden seine Fans.
Andere Bürgerreporter steuern eigene Geschichten bei. Angeblich soll ein Saurier auch im Heidesee gesichtet worden sein, vermutet jemand. Andere schreiben wissenswerte Geschichten über Dinos und ihre Entdeckung.
Die Pressekonferenz
Und Walter? Der beruft eine Pressekonferenz ein, in der er die Benennung der unbekannten Saurierart als Gladbeckosaurus walteri bekannt geben wird. Zu diesem Zweck stellt er das Ei, wie schon seit Tagen, unter einer hellen Schreibtischlampe auf einem Kissen aus. „Liebe Gäste“, fängt er an, seine Fliege zurecht zupfend, denn das wirke professoral, hatte ihm Herbert geraten.
In diesem Moment knackt es hinter ihm. Sofort wird es still im Raum, und die Kameras der Journalisten richten sich auf das Ei. Als die Schale platzt, stellt sich heraus: Auch in der besten Zeitung kann schon einmal eine Ente abgedruckt werden ...
Autor:Oliver Borgwardt aus Dorsten |
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