Eine mörderische Mutter steht Rede und Antwort

Foto: (c): Regina Schleheck
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Interview mit der Leverkusener Autorin Regina Schleheck anlässlich ihres Auftritts am 4. Oktober in der Gladbecker Stadtbücherei. Das Gespräch führte der Hagener Verleger und Bürgerreporter Jürgen Ludwig, dessen zweite Heimat Gladbeck ist.

JL: Frau Schleheck, wären Sie so freundlich, sich unseren Lesern kurz vorzustellen?
RS: Sehr angenehm. Schleheck. Zweimal Ce, zweimal Ha, zweimal Eh. Nur Es, El und Ka sind singulär. Zwei Drittel der Buchstaben in meinem Namen stehen für das Kollektive, der Rest für das Streben nach Individualität. Das Bild ist vielleicht gar nicht so verkehrt. Meine Biographie ist geprägt von meiner Familie und meinem Beruf, der ja ganz viel mit anderen Menschen zu tun hat. Ich bin fünffache Mutter und Alleinernährerin meiner Kinder. Hauptberuflich bin ich Lehrerin an einem Berufskolleg, nebenberuflich Referentin an Erwachsenenbildungsstätten, Autorin, Herausgeberin und noch einiges mehr. Das Schreiben als Form der Selbstverwirklichung nimmt in meinem Leben nur einen kleinen Teil ein.

JL: Als Oberstudienrätin im Fachbereich Deutsch kennen Sie sich mit Sprache naturgemäß gut aus. Was war Ihre erste, professionell veröffentlichte Arbeit? Und wann ist sie erschienen?
RS: 2002 hat der Wurdack-Verlag eine Kurzgeschichte von mir veröffentlicht, die aus Beiträgen zu einem Schreibwettbewerb ausgewählt wurde. Es ging um das Dämonische im Menschen, ein Thema, das mir am Herzen lag und immer noch liegt.

JL: Wie kamen Sie zum Schreiben?
RS: Zufällig. Ich wollte einen meiner Söhne ermutigen, etwas zu einem Wettbewerb zu schreiben. Er wehrte ab mit den Worten: "Mach du doch, wenn du meinst, dass das so einfach ist." Ich hatte noch nie etwas geschrieben, aber ich versuchte es und habe mich prompt mit der Geschichte platzieren können. Das fand ich zunächst ganz witzig, mehr nicht. Aber als ich ein halbes Jahr später wieder etwas ausprobierte, wurde die Geschichte gleich prämiert. Ich versuchte es mit anderen Genres: Hörspiel, Drehbuch, Theaterstück – jedes Mal wurde mein erster Versuch gleich für eine Auszeichnung nominiert oder kam aufs Siegertreppchen. Da lag es nahe weiterzumachen.

JL: Was bedeutet das Schreiben für Sie? Was inspiriert Sie?
RS: Das Leben. Alles, worüber man so den lieben langen Tag stolpert. Man muss ja nur die Zeitung aufschlagen. Die Frage, wieso wir Menschen zu all diesem Wider- und Wahnsinn fähig sind, springt einen doch an. In meinen Geschichten versuche ich dem nachzuspüren.

JL: Sie sind ja nicht bloß Mitautorin der Mordmütter-Anthologie, die am 4. Oktober in der Gladbecker Stadtbücherei groß vorgestellt wird, sondern auch Mitherausgeberin. Verraten Sie uns, wie schafft man es, so viele berühmte Autoren und Autorinnen in einem Buch zu vereinen?
RS: Man fragt sie. Und rennt bestenfalls offene Türen ein. Sabine Deitmer zum Beispiel, mit der ich ja Anfang Oktober nach Gladbeck komme, sagte sofort zu. Das Thema habe sie sich immer schon gewünscht. Ingrid Noll bot mir gleich mehrere Geschichten dazu an – wie fast alle Autorinnen, die ich anschrieb. Die Männer taten sich schwerer mit dem Thema, da kamen einige Absagen.

JL: Das Buch erhält ja sehr positive Kritiken. Angesichts solcher Namen wie Ingrid Noll, Sabine Deitmer, Judith Merchant, Sandra Lübkes oder Carsten Sebastian Henn sind Sie vom Erfolg wahrscheinlich nicht sonderlich überrascht. Oder doch?
RS: Eigentlich nicht. Aber das ist weniger eine Frage der Namen als des Inhalts. Wer hat keine Mutter? Das Thema geht doch jeden an. Gleichzeitig gibt es kaum eines, das dermaßen mit Tabus belegt ist. Mütter sind und bleiben heilige Kühe. Dabei: wer hat nicht schon in Gedanken an seine Mutter das Messer gewetzt? Und die Mütter erst! Unter dem Deckmäntelchen der Aufopferung staut sich reichlich dicke Luft.

JL: Ein großes Thema in "Mordsmütter" ist Rache. Ist Rache ein typisches Frauenthema?
RS: Nicht mehr als bei den Männern. Nur leben die es offener aus. Der Großteil der Morde wird statistisch von Männern begangen. Aber was heißt das schon? Die Dunkelziffer beträgt 50%. Frauen haben nun mal die schlechteren Karten, wenn es um körperliche Gewalt geht, vielleicht fehlt ihnen auch das Quäntchen Testosteron, das Männer blind für die Folgen ihres Tuns machen mag. Deswegen sind Frauen keine besseren Menschen. Sie müssen sich nur mehr einfallen lassen, wenn sie jemand um die Ecke bringen wollen.

JL: Hegen Sie vielleicht gegen jemanden ganz persönlich Rachegelüste?
RSR: Wenn ich ich das Gefühl nicht kennte, schriebe ich Heiteitei. Oder vermutlich gar nichts. Dann gäbe es ja keine Probleme.

JL: Ihre Geschichten gelten ja im Allgemeinen als ausgesprochen böse. Gibt es einen besonderen Grund für diese Grausamkeit und Brutalität?
RS: Ich schreibe keine blutrünstigen Splatter-Geschichten, sondern weise nur auf das hin, was wir selbst und unser Alltag an Grausamkeiten oder Brutalität aufweisen. Die Leerstellen füllt der Leser in seinem Kopf, weil das Böse ihm durchaus vertraut ist. Da einmal genauer hinzugucken ist doch eine ganz wichtige Übung. Astrid Lindgren lässt Ronja Räubertochter täglich über die Schlucht springen, weil ihr Vater ihr gesagt hat, sie solle sich vor dem Abgrund in Acht nehmen. Wie soll sie es auch anders lernen? Nur der Blick in den Abgrund schützt vor dem freien Fall und hilft gegebenenfalls wieder heraus zu finden. Friede, Freude, Eierkuchen finde ich prima. Darauf arbeite ich hin. Momente des Glücks sollte man genießen. Ich hoffe doch, dass es mir gelegentlich gelingt, meine Leser genau dafür zu sensibilisieren, indem ich auf das hinweise, was schief läuft. Solche Momente sind alles andere als selbstverständlich oder etwas, worauf wir ein Recht geltend machen könnten. Es erfordert harte Arbeit an den Unzulänglichkeiten unseres Daseins.

JL: Für wen sind Ihre Bücher und Geschichten? Haben Sie eine Zielgruppe?
RS: Menschen, die sich damit auseinanderzusetzen bereit sind. Vorwiegend sind das Erwachsene, aber ich schreibe auch für Kinder und Jugendliche. Nehmen Sie die „Adventsgeschichte von A bis Z“, mein „Hörspiel für Ü-Zehner“. Weihnachten ist ja auch so ein Tabu. Wenn Kinder in die Pubertät kommen, können Sie sie mit der ganzen weichgespülten Weihnachtsliteratur nicht mehr erreichen. Dabei ist es doch gerade ein Alter, in dem sie sich den Sinnfragen des Lebens öffnen und sich ganz bewusst auf die Suche nach Lösungen begeben. Heuchelei ist eher kontraproduktiv auf dem Weg zum Frieden auf Erden.

JL: Sie selbst treten ja recht häufig in Gladbeck auf, speziell im Café Stilbruch. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Gladbeck?
RS: Die Nähe zu Gladbeck hat sich durch Harry Michael Liedtke entwickelt. Nachdem ich ihn in vielen Anthologien als Mitautor, dann als ausgesprochen umtriebigen Leseveranstalter schätzen lernen durfte, blieb es nicht aus, dass wir beide häufiger etwas miteinander machen.

JL: Lesungen gehören untrennbar zur Autorenarbeit. Wie bereiten Sie sich darauf vor und was bedeuten sie Ihnen persönlich?
RS: Lesungen sind – klarer noch als Veröffentlichungen und Ehrungen – Ernte. Erst wenn man erlebt, wie eine Geschichte einen Zuhörer packen kann, weiß man, ob sie wirklich funktioniert. Da ich viel lese, bedeutet meine Vorbereitung vor allem ganz viel Organisation.

JL: Man kann Sie ja getrost als Vielschreiberin bezeichnen. In wie vielen Anthologien sind Sie vertreten?
RS: Oh je. Das kann ich nicht mehr zählen. Ich habe bisher um die hundert Kurzgeschichten in Printmedien, also auch Literaturzeitschriften, veröffentlicht, manche allerdings auch schon mehrfach. Keine Ahnung, wie viele Einzelausgaben das sind.

JL: Das ist wirklich sehr beeindruckend. Aber warum schreiben Sie nur Kurzgeschichten? Wie sieht es denn mal mit einem Roman aus? Woran arbeiten Sie zur Zeit?
RS: Lieber Himmel, wann sollte ich die Zeit finden? Neben meinen Hörspielen schaffe ich gelegentlich etwas längere Erzählungen oder Novellen. Die kann ich in den Sommerferien, wenn ich einmal zwei Wochen lang einigermaßen in Ruhe daran arbeiten kann, herunterschreiben. Davon gibt es einige, und etwas wird auch demnächst erscheinen. Vor ein paar Wochen habe ich wieder so eine phantastische Novelle verfasst. Es sind aber ungewöhnliche Formate. Ich werde immer wieder von Verlagen gebeten, doch endlich mal einen richtigen Roman zu schreiben. Aber der Lebensunterhalt geht vor. Und den kann das Schreiben nun mal nicht garantieren. Jedenfalls nicht für so eine große Familie.

JL: Was lesen Sie privat? Kommen Sie eigentlich bei Ihrem hohen Arbeitspensum überhaupt zum Lesen?
RS: Früher habe ich Bücher gefressen. Heute lese ich leider wenig. Natürlich professionell bedingt schon sehr viel. Ich habe mir notgedrungen einen Schnelllesestil angewöhnt. Für die vielen Autofahrten weiche ich auf Hörbücher aus.

JL: Wer ist denn Ihr Lieblingsautor, Ihre Lieblingsautorin?
RS: Was für eine Frage! Es gibt so viele tolle AutorInnen! Wenn ich einen Namen nenne, tue ich Hunderten Unrecht. Das Fass machen wir jetzt besser nicht auf. Ich kann nur jede/n ermuntern, sich auf das Abenteuer Lesen einzulassen. Fernsehen ist ein müder Abklatsch von den Abenteuern im Kopf, die ein Buch bewirken kann.

JL: Zum Abschluss, haben Sie noch einen Tipp für junge Autoren und Autorinnen?
RS: Schreiben, schreiben, schreiben. Gleichgesinnte suchen, sich austauschen. Es gibt eine Unmenge von Ausschreibungen im Netz. Das sind wunderbare Anregungen und gleichzeitig klare Vorgaben, die man erfüllen muss. Eine gute Übung.

JL: Frau Schleheck, ich danke für das Gespräch.
RS: Der Dank ist ganz meinerseits.

Mörderisch gute Geschichten rund um den Mythos Mutti!
Zu knapper Kasse und frustiger Fron kommen neidische Nächste, biestige Blagen, flüchtige Väter und dieses dornige Dasein soll einmal im Jahr rosig verblümt werden? Da muss es andere Lösungen geben.
Neunundzwanzig hochkarätige AutorInnen blicken hinter die Fassade der Familienidylle und binden einen Strauß Neu(e)Rosen zum Muttertag. Von den Grandes Dames des Frauenkrimis wie Sabine Deitmer und Ingrid Noll über viele andere ausgezeichnete AutorInnen bis hin zu Judith Merchant, Glauser-Kurzkrimi-Shooting-Star 2010.
Nach den Witwen sind nun die Mordsmütter auf Erfolgskurs. Ganz ohne Staub- und Augenwischerei. Dafür mit einer starken Prise schwarzen Humors.

Mordsmütter: Mörderisch gute Geschichten rund um den Mythos Mutti
Mechthild Zimmermann, Regina Schleheck (Hgb.)
Taschenbuch: 320 Seiten
ViaTerra Verlag
ISBN-13: 978-3941970069

Autor:

Dirk Juschkat aus Gladbeck

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