Wenn Vorurteile widerlegt werden
Ich kann noch so sehr über Aufklärung und Vernunft bloggen und nach Lösungen suchen, dennoch bin ich kein Übermensch. Zu mächtig erscheint die mediale Propaganda des Angstschürens zu sein. Das lässt auch mich nicht unberührt. Zwar versuche ich dagegen zu halten und mich stets zu fragen, ob an den entsprechenden Berichten nicht doch ein Funke Wahrheit ist. Aber was nützt es, wenn wir uns gegeneinander ausspielen lassen.
Heute konnte ich mich meinen eigenen Vorurteilen stellen.
Ich war unterwegs und musste an meiner alten Berufsschule vorbei. Es war gerade Pause und vor der Tür standen eine Menge junger Männer mit schwatten Köppen, wie wir im Ruhrpott sagen. Klingt politisch total unkorrekt, aber findet noch Bedeutung. Mir war in der Tat nicht wohl dabei, direkt durch diese Menge gehen zu müssen. Da vibrierten anscheinend doch Vorurteile mit. Aber wieso? Ich will mich nicht aufheizen lassen. Aber die Gefühle sind da. Das ärgert mich.
Während ich die Gruppe ansteuerte, kam einer auf mich zu und ließ einen Spruch los: „Der ist Nazi!“ und lachte dabei. Schnell merkte ich, dass die Jungs nur frotzelten. Wer mich jedoch anspricht muss damit rechnen, dass ich ihm auch einen Teil meiner Zeit schenke.
Also blieb ich stehen und fragte: „Wer ist hier Nazi?“ – „Ja ich“, machte sich ein anderer Junge bemerkbar. Nun bildete sich ein Kreis um mich. Ich war der Mittelpunkt, was mir gar nicht gefiel. Sie waren alle so etwa um die 20 Jahre. „Wieso glaubst Du, ein Nazi zu sein?“ Während ich meine Frage stellte, suchte ich mir einen Platz am Rand des Kreises. So ließ es sich besser mit allen kommunizieren. Die Jungs wurden neugierig. Der „Nazi“ war der typische Wichtigtuer.„Ich esse Döner und trinke Alkohol“, antwortete er mir und meinte damit lustig zu sein. Aber ich ließ ihn aus dem Thema nicht raus. „Damit bist Du aber kein Nazi.“ Die Jungs drumherum murmelten auch schon was von „der macht nur Scherze“.
Ein anderer begann sich zu wundern, dass ich stehen geblieben bin. „Die Leute meiden uns, weil wir schwarze Haare haben.“ „Die habe ich auch, na und?“, erwiderte ich. „Ich bin Deutscher und der hier nicht“, lachte ein anderer. „Ist was wichtig?“ – „Neee war nur ein Scherz.“
Der „Nazi“ beteuerte, dass er Jude sei. „Mir doch egal, woran Du glaubst“, war meine Reaktion. Langsam ging ihnen der Stoff aus. Neben mir äußerte sich jemand, der meinte: „Wir sind doch alles Menschen, egal welcher Herkunft.“ Ich musste lächeln. Genau darum geht es. Der „Nazi-Jude“ meinte, es sei nur ein Scherz.
„Mein Freund hier ist bei der ISIS“, kam der nächste um die Ecke. „Sag das besser nicht so laut, es gibt Menschen in diesem Land, die da ganz empfindlich drauf reagieren“ ermahnte ich. „War nur ein Scherz“, sagte er lachend. „Habe ich verstanden, das tut aber nicht jeder.“
Die Jungs warfen alle Vorurteile, welche gesellschaftlich auf ihnen lasten, in die Runde. Und bei allem, auf das ich reagierte, antworteten sie mit: „Das war nur ein Scherz.“ Allmählich kamen wir aber auf eine andere Ebene. Wir redeten darüber, dass wir doch alle gleich und alles Menschen sind. Der eine oder andere war sichtlich überfordert, unsicher, zog sich zurück. Ein großer Teil war etwas verdutzt und wiederum ein Teil brachte sich wirklich liebevoll ein. Und wir alle waren erstaunt, was hier gerade passierte.
Aber plötzlich gab keiner mehr dumme Sprüche. Es wurde konkreter. Und ich merkte, die Jungs haben nur das wiedergegeben, was die Gesellschaft von ihnen erwartet: ISIS, Nazi, Glaube, Vorurteile über Vorurteile. Sie verhielten sich trotzig. Nicht mehr und nicht weniger. Und das sogar nachvollziehbar. Aber der Konsens in dieser Unterhaltung war, dass sie eigentlich alle nur ernst genommen werden möchten. Ich nahm sie ernst, hörte ihnen zu.
Am Ende fragten sie mich, ob ich nicht ihre Schulleiterin sein möchte. Das war zu viel des Guten. Aber ich lächle noch immer, während ich diese Zeilen hier schreibe.
Manchmal macht es Sinn, seinen ausgelatschten Pfad zu verlassen und auf Menschen zuzugehen. Ich habe wieder was gelernt. Und das von einer Zielgruppe, welche medial und gesellschaftlich als das genaue Gegenteil dargestellt werden will.
Glauben wir doch nicht alles, was man uns glauben lassen will. Machen wir doch selbst unsere eigenen Erfahrungen.
Autor:Sandra Stoffers aus Recklinghausen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.