Tatort facebook

Über das soziale Netzwerk facebook kam in jüngster Zeit Unruhe in die Klassenzimmer der Gelsenkirchener Schulen. Einige Schüler der Gesamtschule Berger Feld wurden von einem Unbekannten sexuell belästigt. Andere Schüler nutzten die Plattform, um sich gegenseitig zu "mobben". Foto: Gerd Kaemper
  • Über das soziale Netzwerk facebook kam in jüngster Zeit Unruhe in die Klassenzimmer der Gelsenkirchener Schulen. Einige Schüler der Gesamtschule Berger Feld wurden von einem Unbekannten sexuell belästigt. Andere Schüler nutzten die Plattform, um sich gegenseitig zu "mobben". Foto: Gerd Kaemper
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In jüngster Zeit haben Vorfälle an Gelsenkirchener Schulen gezeigt, wie das Internet Schüler gefährden kann. Der Vorfall sexueller Belästigungen von Schülern der Gesamtschule Berger Feld im sozialen Netzwerk facebook offenbart die Opferrolle der Kinder. Das Internet ist aber auch eine Plattform, die zur Täterschaft verlockt, wie im Falle des sogenannten cyber mobbings.

Die Freundschaftsplattform facebook wird derzeit weltweit von 800 Millionen Menschen genutzt. „Facebook ermöglicht es dir, mit den Menschen in deinem Leben in Verbindung zu treten und Inhalte mit diesen zu teilen“, steht auf der Startseite von facebook. Was ist aber, wenn dadurch Menschen mit einem in Kontakt treten, mit denen man gar keinen Kontakt haben will? Was geschieht, wenn Inhalte über einen „geteilt“ werden, die verletzend oder diffamierend sind und man selbst diese Form von Öffentlichkeit nicht mehr kontrollieren kann?

Opferrolle im Internet

Ein vermeintlicher Fußball-Scout hat über facebook Schüler aus den Sportklassen der Gesamtschule Berger Feld angeschrieben, sich mit ihnen befreundet und ihnen Hilfe bei der sportlichen Karriereplanung angeboten. Der bislang unbekannte Täter nutzte perfide die Sportbegeisterung der Fünft- und Sechstklässler aus, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Alsbald folgten aber belästigende Fragen etwa nach der Unterwäsche und der Schambehaarung der Jungen. Dadurch wurde den Schülern bewusst, dass der freundliche Fußballscout keine guten Absichten verfolgt. Sie blockierten und löschten ihn aus der Liste der Freunde auf facebook. Was zurückblieb, ist das unangenehme Gefühl bei den Belästigten und der Verlust der Unbeschwertheit im Umgang mit Kontakten im Internet – wahrscheinlich sogar generell. Gefühle lassen sich nicht einfach löschen.

„Die Eltern informierten die Schule über den Vorfall. Wir ermutigten die Eltern dann, Anzeige zu erstatten“, sagt der Schulleiter Georg Altenkamp. Derzeit ermittelt die Polizei Gelsenkirchen im Fall des offenbar pädophilen „Fußballscouts“. „Allerdings gestalten sich solche Ermittlungen schwierig, da der Server von facebook in Kalifornien steht und dort andere Datenschutzbestimmungen vorherrschen als in Deutschland“, erklärt Marion Rochel vom Kommissariat Vorbeugung der Polizei Gelsenkirchen die generelle Problematik von Ermittlungen in solchen globalen Netzwerken wie facebook.

Täterschaft im Internet

Beim „Runden Tisch mit Experten“, der an der Gesamtschule Berger Feld auf Grund der Ereignisse rund um die Sportklassen am vergangenen Mittwoch (12.) tagte, ging es jedoch nicht nur um die sexuelle Belästigung der Schüler. Das Gespräch kam schnell auch auf die Täterrolle der Schüler im Internet. Der Schulleiter hatte schon in einem Elternbrief auf die „Verrohung der Sprache“ und auf den Missbrauch sozialer Netzwerke hingewiesen. Immer wieder käme es zum sogenannten cyber mobbing, bei dem Schüler beispielsweise im facebook auf „menschlich oft unerträgliche Weise“ beschimpft und verleumdet würden, schildert Altenkamp.

So sei es im letzten Jahr häufig am Montagmorgen zu Aggressionen gekommen, deren Ursache für die Pädagogen zunächst nicht klar gewesen sei, sagt Christian Krabbe, Präventionsbeauftragter der Gesamtschule Berger Feld. Gerade eher unauffällige Schüler hatten sich am Wochenende vor dem Computer stark gefühlt und Beschimpfungen, Beleidigungen und Behauptungen über ihre Mitschüler losgelassen. Dabei haben sie sich in der Parallelwelt Internet so sehr in Sicherheit gefühlt, dass sie darüber das realweltliche Wiedersehen auf dem Schulhof vergessen hätten. Dort sei dann ausgetragen worden, was in der Parallelwelt begonnen wurde.

Auch an der Gesamtschule Buer-Mitte ist die Problematik mit sozialen Netzwerken bekannt. Dort gab es vor kurzem im Schulgebäude Schmierereien mit dem Namen eines Schülers, einem Datum und dem Wort Tod. Ein Mitschüler, der diese Schmierereien entdeckte, brachte die Situation zur Eskalation, indem er mit der Entdeckung nicht zur Schulleitung oder Polizei ging, sondern seine Mitschüler auf facebook informierte und warnte. Die Schulleiterin Dr. Brigitte Schulte berichtet, dass daraufhin Panik ausgebrochen sei. „Die einen Schüler bekamen Angst, wollten an diesem Tag nicht zur Schule gehen. Andere Schüler wiederum reagierten cool. Sie nutzten die Gunst der Stunde, um sich auf facebook zum Frühstück zu verabreden.“ Am Ende führte der facebook-Diskurs über die Schmierereien so weit, dass die Schule geschlossen bleiben musste.

Phänomen Parallelwelt facebook

Das Private ist öffentlich und das Öffentliche bricht in das Private. Soziale Netzwerke wie facebook sind Bühnen, die zur Inszenierung einladen. Der dargestellte Stoff auf der größten Bühne der Welt speist sich jedoch aus den Triumph- und Tragikgeschichten der Protagonisten selbst. Der Schauspieler wird zum Stoff, dem das ganze Stück, also sein öffentlich präsentiertes Dasein, gehörig entgleiten kann. Denn die öffentliche Wahrnehmung und vor allem die Wiederverwendung ist nicht kontrollierbar.Ein derart selbstreflexiver Medienkonsum ist bei Kindern noch nicht ausgeprägt, weshalb ihnen die große Bühne laut den Pädagogen am Runden Tisch eigentlich nicht zugänglich sein sollte. Allerdings kann man das Rad nicht zurückdrehen.

Auch Verbote sind zwecklos, da die „digital natives“, also jene von Medientheoretikern so benannte erste Generation, die von klein auf mit dem Internet aufgewachsen ist, viel wendiger und firmer im Umgang mit den neuen Medien ist als ihre Eltern. Verbote würden sie problemlos unterlaufen können.
Wenn sich ein neues Medium in der breiten Gesellschaft etabliert hat, ist der Mensch – nach der ursprünglichen Masseneuphorie – gezwungen, Regeln für den vernünftigen und nachhaltigen Gebrauch festzulegen. Zwei Elternabende an der Gesamtschule Berger Feld sollen diese Woche die Wahrnehmung der Eltern für die Probleme Internetsicherheit und -etikette schärfen.

Autor:

Harald Gerhäußer aus Bochum

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