„Integration geht uns alle an!“

Im Hotelturm des Hans-Sachs-Hauses traf sich Jürgen Hansen mit dem Stadtspiegel und damit in einem echten Stück Gelsenkirchener Geschichte.Foto: Gerd Kaemper
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  • Im Hotelturm des Hans-Sachs-Hauses traf sich Jürgen Hansen mit dem Stadtspiegel und damit in einem echten Stück Gelsenkirchener Geschichte.Foto: Gerd Kaemper
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Es gibt Leute, die sind einfach „Macher“. Einer von ihnen ist der Gelsenkirchener Jürgen Hansen. Er redet zwar gern und auch viel, aber er ist auch einer, der anpackt, wenn es nötig ist. Dabei sind seine Interessen und Neigungen sehr breit gefächert, wie so mancher Gelsenkirchener inzwischen erfahren durfte.

Der Pirat, Maurer, Flüchtlingshelfer und Hobbymetzger

Bekannt wurde Jürgen Hansen als Einzelmandatsträger der Piraten, inzwischen sitzt er als Fraktionsloser im Rat der Stadt Gelsenkirchen. Von Haus aus ist er Maurermeister und eilt nicht nur in Gelsenkirchen mit seinen Mitarbeitern von Baustelle zu Baustelle. Und nebenbei ist er Hobbymetzger, Vorsitzender der Taskforce Flüchtlingshilfe Gelsenkirchen, Initiator des Stadt-Fußballteams...
Als Europa und auch Gelsenkirchen von der Flüchtlingswelle überrollt zu werden drohten, gründete der aus der ehemaligen DDR geflüchtete Hansen aus dem Stand die Taskforce Flüchtlingshilfe. Anfangs wurde Hansen milde belächelt, doch schon bald merkten Stadtverwaltung, Politik und Bürger, dass es ihm ernst war und er wirklich kräftig Hand anlegen wollte. „Gesagt - getan“ könnte das Motto des umtriebigen Gelsenkircheners lauten, der in seinem Engagement nicht zu stoppen ist, auch nicht von seiner eigenen Gesundheit.
Inzwischen sind die Flüchtlinge hier angekommen, schon längst leben beinahe alle in eigenen Wohnungen und lernen fleißig in Kursen, die Sprache zu sprechen und was es heißt in Deutschland zu leben. Doch damit endet die Geschichte noch lange nicht.

Die nächste Aufgabe ist die der Integration

„Wir brauchen ein neues Integrationskonzept“, weiß Jürgen Hansen. Und die Zahlen, die er parat hat, beweisen seine Theorie. „Derzeit leben in Gelsenkirchen rund 6.700 geflüchtete Menschen. Über 50 Prozent davon sind in den letzten zwei Jahren aus anderen Kommunen und Bundesländern hierher gezogen. Allein bis jetzt waren es in diesem Jahr 500 Menschen. Zum Vergleich: Vor dem 31.12.2015 lebten 1000 Flüchtige hier. Hinzu kommen noch etwa 6.500 Zuwanderer aus Südost-Europa. Somit zählen wir derzeit rund 14.000 Neubürger, das macht knapp 5 Prozent der Gelsenkirchener Gesamtbevölkerung aus“, schildert Jürgen Hansen und ergänzt: „Damit ist schon mal klar, dass das Totschlagargument der Unterwanderung nicht greift!“
Unter den Geflüchteten befinden sich 2.293 Kinder und Jugendliche im Alter bis 18 Jahren, davon sind 1.498 zwischen einem und zehn Jahre alt. Bei den Südost-Europäern zählt man 2.816 unter 18-Jährige, von denen 1.762 zwischen einem und zehn Jahre alt sind.
Hansen erinnert daran, dass es keine neuen Zuweisungen gibt und somit eine gewisse Ruhe eintritt. Darum ist für ihn klar: „Jetzt muss der Integrationsprozess starten. Das ist keine Aufgabe der Politik oder Verwaltung, sondern der Gesamtgesellschaft. Hier müssen alle an einem Strang ziehen. Die Wohlfahrtsverbände schicken dazu Quartiersbetreuer dahin, wo die Menschen leben und die ehrenamtlichen Einrichtungen, wie die Task Force Flüchtlingshilfe, sind mit eingebunden. Aber alle Bürger müssen die ‚Neuen‘ in unsere Gesellschaft einführen und aufnehmen.“
Klar ist dabei, dass die Sprache das wichtigste Mittel ist, um hier anzukommen. Die Basic-Kurse sind inzwischen überholt und im nächsten Schritt bietet die Task Force nun Kurse zur Vorbereitung auf die Abschlussprüfung des Integrationskurses des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an.
Aber Hansen will mehr. Ähnlich wie einst Martin Luther King sagte „I have a dream“, verkündet Jürgen Hansen: „Ich habe eine Vision, die mich manchmal nachts nicht schlafen lässt: Ein interkulturelles Mehrgenerationenhaus!“
In Duisburg hat der Gelsenkirchener ein solches Haus besucht und mit großer Freude festgestellt, dass dort „Omis mit ihrem Rollator unterwegs sind, die die Patenschaft für Flüchtlingskinder übernommen haben und diese betreuen.“ Ihm schwebt ein Haus vor, das sowohl altengerecht und barrierefrei ist, aber auch jungen Familien genügend Raum bietet, sowie eine Begegnungsstätte, in der sich jung und alt treffen und eine Sozialbetreuung, die sich um Senioren wie auch Zugewanderte kümmert.
„Ich möchte meine Vision im Rat vorstellen und auch in die Haushaltsplanungen für 2018 einbringen. Dazu würde ich mir Verbündete quer durch die Parteien suchen, die die Idee unterstützen und mittragen. Mit Mitteln des BAMF und des Europäischen Sozialfonds sowie weiteren Fördermitteln wäre die Umsetzung möglich. Gemeinsam mit der GGW könnte man eine stadteigene Immobilien dahingehend auf ihre Eignung prüfen. Ich bin mir sicher, dass das möglich ist“, gibt sich der Gelsenkirchener zuversichtlich.
Aber zunächst einmal stehen der Taskforce noch zwei Highlights bevor: Am Samstag, 26. August, findet auf der Sportanlage Offene Tür an der Adenauer Allee das inzwischen vierte Kinderfest für Flüchtlingskinder statt, das in diesem Jahr unter dem Motto „Fest der Integration“ steht. Nur wenige Tage später wird am Montag, 4. September, der neue Help-Laden in Buer im Michaelshaus feierlich eröffnet. „Dort können dann die gleichen Angebote genutzt werden wie in unserem Help-Laden in der Gelsenkirchener City“, freut sich Hansen.

Die Stadtteilerneuerung bietet mehr als Optik

„Bei einer Kassenlage wie der in Gelsenkirchen ist es schwierig ganze Straßenzüge oder auch nur Häuser zu sanieren. Wichtig wäre es darum Fördergelder zu akquirieren, wo immer es möglich ist“, weiß Hansen. „Das, was auf diese Art umgesetzt wird, kommt in der Bevölkerung gut an. Aber darüber hinaus bieten solche Vorhaben auch die Chance auf neue Arbeitsplätze.“
Dabei ist sich der umtriebige Gelsenkirchener natürlich im Klaren darüber, dass damit nicht die durch das Aus für Kohle und Stahl verloren gegangenen Arbeitsplätze aufgefangen werden können, aber man ist in Gelsenkirchen auch dankbar für kleine Schritte, die auch zum Ziel führen.
Stolz ist der Gelsenkirchener darüber, dass es hier keine Zeltstädte für die Flüchtlinge gegeben hat, wie in vielen anderen Städten. „Der Wohnungsmarkt ermöglichte eine schnelle Unterbringung in Wohnungen, das war gut so. Aber nun ist es fünf vor zwölf und Bund und Land müssen sich daran beteiligen, die Situation weiter zu verbessern. Das betrifft sowohl die Kosten für die Unterkunft als auch die Schaffung von sozialem Wohnraum.“
Das wichtigste für die Zukunft ist dabei für Hansen „die Bildung, die hier in der Stadt als Schlüsselfunktion erkannt wurde. Dabei kann man gar nicht früh genug anfangen, die Bildung zu fördern und darum sind Projekte wie ‚Kein Kind zurücklassen‘ genau die richtigen Ansatzpunkte. Auch die Einrichtung der Internationalen Förderklassen geht in die richtige Richtung.“

Sozialen Arbeitsmarkt fördern statt kürzen

„Die alte Landesregierung hat erkannt wie wichtig die Schaffung eines dritten Arbeitsmarktes, nämlich des sozialen Arbeitsmarktes ist. Nach Jahren des Kampfes um die Umsetzung des Gelsenkirchener Appells hat die Regierung Kraft in Anlehnung daran ein Projekt aufgelegt. Kaum an der Regierung will die neue Landesregierung dieses Projekt nun um 50 Prozent beschneiden. Das ist nicht hinnehmbar und völlig kontraproduktiv!“, wettert Hansen, dem durchaus bewusst ist, wie wichtig die Haushaltskonsolidierung ist, „aber bitte nicht auf Kosten des dritten Arbeitmarktes.“
Angesichts der Tatsache, dass Gelsenkirchen statt der bereits zugesagten 200 Stellen für Langszeitarbeitslose in diesem Jahr nur noch 100 bekommen soll, fordert Hansen: „Die CDU in Gelsenkirchen sollte harte Kante zeigen bei ihren Parteikollegen in Düsseldorf. Denn so kommen wir mit dem Arbeitsmarkt nicht weiter!“

Sind wir hier nun sicher oder nicht?

„Die CDU ist der Ansicht, dass wir dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nicht gerecht werden. Um das zu ändern stellt sie unmögliche Forderungen, wie die Erweiterung des Kommunalen Ordnungsdienstes und deren Einsatz im Drei-Schichten-System“, kritisiert Hansen.
Dabei ist ihm das Thema durchaus wichtig, er möchte nur, dass sich die Wahrnehmung dazu ändert: „Wenn die CDU sagt, das Glas ist halb leer, wir hätten es aber gern voll, dann halte ich dagegen, dass das Glas halbvoll ist und ich es natürlich auch gern voll sähe, aber...“
Dabei verweist er auch auf einen Bericht der Polizeipräsidentin, die versichert hat, dass die Polizei in Gelsenkirchen gut aufgestellt ist und daran erinnert hat, dass der Kommunale Ordnungsdienst keine polizeilichen Hoheitsaufgaben übernehmen kann.
Der fraktionslose Politiker gibt zu bedenken: „Die CDU konnte bisher im Land fordern und dann kritisieren, dass die Landesregierung nicht geliefert hat. Das hat sich nun geändert, nun muss die CDU liefern. Darum sollte sie bedenken, dass zur Erweiterung des Kommunalen Ordnungsdiensten erst einmal neue Mitarbeiter ausgebildet werden müssten.“

Der leidige Streit in der Bäder-Frage

„Da wird ständig über die Drei-Bäder-Lösung der SPD und die Vier-plus-zwei-Komfort-Lösung der CDU gestritten. Und das obwohl der Rat der Stadt ursprünglich mal beschlossen hat, dass sich Fachleute und Verwaltung Zeit nehmen sollten, um Fakten und Zahlen zu ermitteln, mit denen sie die Politik füttern können. Es geht doch nicht um eine ad hoc-Entscheidung, sondern darum, dass wir die Entscheidung in zehn Jahren unseren Enkeln gegenüber noch verteten können“, schimpft der Gelsenkirchener.
Er sieht die ganze Diskussion eher als „Scharmützel-Gefechte", die nur um die Diskreditierung des politischen Gegners willen geführt werden. „Dabei liegen noch nicht einmal alle Fakten vor. Das gefährdet eher den Ratsfrieden, als das es lösungsfördernd ist. Polemik ist an dieser Stelle einfach nicht angebracht, denn eine falsche Entscheidung könnte auch dafür sorgen, dass Gelsenkirchen aus dem Stärkungspakt heraus fliegt!“
Hansen plädiert dafür, dass hier keine Politik der Schnellschüsse, des gegenseitigen Anmachens und Vorwerfens gemacht werden sollte. „Wenn alle Ratsmitglieder Kenntnis von Zahlen und Fakten haben, dann ist noch Zeit im Rat darüber zu streiten und zwar an konkreten Dingen.“

Was einen Hansen wirklich traurig stimmt

„Ich bin mir bewusst, dass ich die Grünen und auch die CDU in verschiedenen Sitzungen angegriffen habe. Aber das war im politischen Rahmen und da gehört es auch dazu, dass man unterschiedliche Meinungen vertritt“, blickt Hansen zurück und ergänzt: „Vielleicht liegt es ja an meiner Person, aber wenn ich in Sachen interkulturelles, interpolitisches und integratives Kinderfest alle Fraktionen und Parteien in Gelsenkirchen anschreibe und von den Grünen wie auch der CDU mit Ignoranz bestraft werde, dann empfinde ich ein solches Schweigen als Feigheit. Und das ist der falsche Weg, wenn es um die Integration der Flüchtlinge und ein gesamtgesellschaftliches Fest geht.“
Hintergrund ist, dass Hansen im Zuge der Vorbereitungen auf das vierte Sommerfest für Flüchtlingskinder wieder einmal alle Fraktionen, außer Pro NRW, angeschrieben und um Unterstützung gebeten hatte. „Daraufhin gingen ratzfatz Zusagen ein, dass AUF Gelsenkirchen das Kinderschminken übernimmt, die Linke etwas plant, und die SPD die Falken mit zwei Spielständen entsenden wird. Außerdem haben sich die ebenfalls angeschriebenen Kirchen, Sportvereine, Institutionen und Verbände gemeldet und mitgeteilt, ob und wie sie sich einbringen könnten.Nur von den beiden genannten Parteien kam schlicht und ergreifend nichts.“ Allerdings nicht zum ersten Mal, denn schon bei den drei vorhergehenden Kinderfesten gab es keine Reaktion.
Dabei erwartet der Organisator gar keine großen Aktionen: „Das Aufstellen eines Pavillons und das Angebot von Bällewerfen wäre mit wenig Aufwand und Mitteln möglich. Wenn dann noch jedes Kind einen Lolli bekommen würde, wäre es noch schöner, aber das wäre ja kein Akt.“

Maurermeister, Politiker, Helfer, Hobbymetzger?

Jürgen Hansen ist ein Unikum. „Wie, Sie wussten nicht, dass ich Hobbymetzger bin?“ fragt er ganz erstaunt, als ob es das Natürlichste auf der Welt ist.
„Ich bin ja im Osten der Republik aufgewachsen und zwar im Ländlichen. Da war ich oft bei meinen Großeltern, die noch Schweine hatten. Mein Großvater stammte aus Schlesien und hatte Wurstrezepte, nach denen er gewurstet hat. Die habe ich irgendwann meiner Schwester abgeluchst, weil die sie nicht genutzt hat“, lacht der Gelsenkirchener, der in einem Jahr schon mal acht Schweinehälften „verwurstet“ hat.
Während andere einen Hobbykeller haben, hat Hansen eine eigene Wurstküche mit allem, was des Metzgers Herz begehrt. „Natürlich nur für den Hausbedarf, aber wann immer ich Zeit habe, verdient an uns kein anderer Metzger.“ Via Internet ist er mit einer Gruppe von Hobbymetzgern verbunden und verfügt inzwischen über beinahe 150 verschiedene Wurstrezepte, aber „die japanische Wurst, die ich mal ausprobiert habe, mochte nicht einmal der Hund.“ 

Autor:

silke sobotta aus Gelsenkirchen

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