Friede den Hütten!
In der Kleingartenanlage Wiehagen rumort es. Seit zwei Wochen kochen die Emotionen über. Die Kleingärtner hat die Furcht vor dem Ortstermin gepackt. Aber wie viel ist wirklich dran an den düsteren Prognosen?
Stein des Anstoßes ist eine 13 Seiten lange Mängelliste, die vom Stadtverband der Kleingärtner für die Gärten in der Kleingartenanlage Wiehagen erstellt wurde. Die Mängel müssen bei einem Pächterwechsel beseitigt werden.
Den Auftrag dafür sollen die Gelsendienste gegeben haben, sagt der Stadtverband. Uwe Unterseher, Leiter der Gelsendienste, schilderte das auf der Betriebsausschusssitzung am Mittwoch (21.) anders: „Die Gelsendienste sind leidenschaftslos, was die Durchsetzung der Auflagen zum Rückbau von Gartenlauben und anderen Änderungen betrifft. Allerdings müssen sie zur Tat schreiten, wenn der Stadtverband sie ruft und wenn ein Verstoß gegen das Bundeskleingartengesetz vorliegt.“
Ein unüberhörbares Raunen der über zwanzig Vereinsmitglieder des Kleingartenvereins Wiehagen erfüllt daraufhin den Raum. Die Kleingärtner sind zur öffentlichen Sitzung gekommen, um sich über die Zukunft ihrer Parzellen zu informieren – aber auch, um Protest kundzutun.
In Kurzform schildert Wolfgang Ostermann, Vorsitzender der Kleingartenvereins Wiehagen e.V., die Ursache des Raunens im Raum: „92 von 129 Gärten sind in der Kleingartenanlage Wiehagen bemängelt worden. Der Kleingärtner, der den Garten vor Jahrzehnten gekauft hat, soll nun beim Verkauf den Rückbau der Lauben und das Entfernen der versiegelten Flächen bezahlen.“ Dies trifft vor allem auf die großen Lauben zu, die in der Nachkriegszeit als Behelfswohnraum ausgebaut worden waren. Die historische Bedeutung der in schweren Zeiten heimatstiftenden Lauben ist ein Grund, warum die Emotionen nun hochkochen. Das ist allerdings für alle drei beteiligten Streitparteien verständlich.
Nun ist es aber wichtig – bei aller Emotionalität – sich im Hinblick auf eine Schlichtung des Streits wieder auf die Fakten und Verträge zu konzentrieren. In einem exklusiven Gespräch mit dem Stadtspiegel bemühten sich Peter Krieft, Abteilungsleiter Planung und Neubau bei den Gelsendiensten, und Reiner Garding, Zuständiger für die 40 Kleingartenanlagen bei den Gelsendiensten, um eine sachliche Darstellung der vertraglichen Situation und ihrer Handlungsweise in Bezug auf die Mängelliste. Dabei wurde zunächst Grundlegendes angesprochen: Über allen Regelungen steht das Bundeskleingartengesetz, das im April 1983 in Kraft getreten ist und die davor geltende Kleingartenordnung ablöste. Im Bundeskleingartengesetz (§ 3) werden die Größe des Kleingartens auf möglichst 400 qm und die Fläche der Laube auf maximal 24 qm einschließlich des Freisitzes festgelegt. Dies gilt für alle Kleingärten in ganz Deutschland.
Die Kleingärten in Gelsenkirchen sind Flächen im Eigentum der Stadt Gelsenkirchen, die von den Gelsendiensten als Verwalter in einem Zwischenpachtvertrag an den Stadtverband verpachtet wurden. Der Stadtverband wiederum verpachtet die Flächen an die Kleingartenvereine in Gelsenkirchen über den sogenannten Überlassungsvertrag – dessen Regeln die Vereine mithilfe des Stadtverbandes unter sich bestimmen. Die Regeln im Zwischenpachtvertrag (1994) wurden in einem demokratischen Verfahren von allen jetzt streitenden Vertragsparteien aufgestellt. Wünsche und Bedürfnisse der Kleingärtner wurden ebenso eingearbeitet wie das über allem stehende Bundeskleingartengesetz. Aber auch die Vereinbarung über den Rückbau der Behelfswohnungen, welche derzeit den größten Streitgrund darstellt, findet sich im Zwischenpachtvertrag. Über zwei Jahre dauerte die Entstehung dieses Vertrages. Am Ende unterschrieben ihn der Vorstand des Stadtverbandes der Kleingartenvereine (der von den Delegierten der 40 Kleingartenvereine gewählt wird) und sämtliche Gremien der Stadt, bevor der Rat der Stadt den Beschluss verabschiedete.
Der Stein des Anstoßes ist also in Wirklichkeit ein demokratisch entstandenes Vertragswerk, bei dem die jetzt Betroffenen durchaus ein Mitspracherecht innehatten und das sie jederzeit ändern können. „Wir würden den Zwischenpachtvertrag jederzeit ändern. Wenn das der Wunsch der Kleingärtner sein sollte, dann müssen sie das nur auf demokratischem Wege einfordern“, sagt Peter Krieft von den Gelsendiensten.
Was den Rückbau der großen Lauben betrifft, müssen bei Pächterwechsel nur diejenigen Lauben zurückgebaut werden, die keine Baugenehmigung für den An- oder Ausbau haben. „Alles, was in den Jahren von der Gründung der Gartenanlage bis heute genehmigt wurde, fällt unter den Bestandsschutz. Alle anderen Bauten müssen vom Bundeskleingartengesetz her erlaubt sein“, erklärt Peter Krieft die Sachlage. Die Genehmigungen für die Lauben sind in einem Archiv gelagert und werden, bevor es zu einem Ortstermin kommt, von Reiner Garding durchgesehen.
Wenn eine Laube ohne Genehmigung die 24 qm überschreitet, dann wird beim Ortstermin eine Sanktion ausgesprochen, die einen vernünftigen Rückbau verlangt. Dabei geht es im Sinne des Bundeskleingartengesetzes in erster Linie um die Gleichberechtigung aller Gärtner, nicht um die Bestrafung einzelner Gärtner. „Die Laube soll dann zu einem einheitlichen Baukörper zurückgebaut werden, der die gesetzlichen Vorgaben möglichst erfüllt. Wenn aber aufgrund der Bausubstanz oder der Bauweise die 24 qm nicht sinnvoll erscheinen, dann geht niemand mit der Säge durch die Laube“, sagt Reiner Garding. Er versichert, dass er seinen Ermessensspielraum für den geforderten Rückbau regelmäßig zu Gunsten der Kleingärtner ausreize. „Einen Abriss einer Laube habe ich in den 26 Jahren, die ich im Amt bin, noch nie eingefordert“, ergänzt Garding.
Auch Erwin Pollmeier, der zum erweiterten Vorstand des Stadtverbandes gehört und als Begeher für die Mängelliste im Wiehagen verantwortlich ist, bestätigt, dass bei einem Ortstermin immer viel Spielraum in Bezug auf die gesetzmäßigen Vorgaben geltend gemacht werde. Er sagte allerdings auch, dass, was die Vorgaben betrifft, die Gelsendienste eine eigene Liste hätten, nach der sich die Begeher des Stadtverbandes richten würden. Darauf angesprochen, sagte Peter Krieft, es gäbe keine zusätzliche Liste.
Was die Kosten des Rückbaus betreffe, so werden diese bei der Pächterübergabe im Zweifelsfall auf den Verkaufspreis angerechnet, so Reiner Garding. „Unabhängige, speziell ausgebildete Schätzer werden von den Gelsendiensten beauftragt, den Wert der Gartenbauten und -geräte zu schätzen.“ Die Kosten für den Rückbau können dann entweder vom Verkaufspreis abgezogen werden, so dass der neue Pächter sie vornehmen kann. Oder der alte Pächter kümmert sich darum und verkauft den Garten danach zum vollen Preis. Es muss also niemand aktiv Geld in die Hand nehmen, das nicht schon im Spiel ist, so wie das in den bisherigen Medienberichten behauptet wurde. Wenn ein Kleingärtner das Geld für den Rückbau nicht hat, dann kann er seinen Garten zum geringeren Preis verkaufen.
Ein Runder Tisch soll in Kürze die Streitereien mithilfe der Politik aus der Welt schaffen. Bei dieser Gelegenheit werden sich alle drei beteiligen Parteien auch einigen müssen, wer wann was entschieden hat. Sie werden sich dabei mit dem eigens erschaffenen Vertragswerk auseinandersetzen. Denn bisher herrschen trotz Verträgen drei verschiedene Meinungen über eine eigentlich vertraglich eindeutig geregelte Sache. Recht haben natürlich alle irgendwie, vor allem aus der emotionalen eigenen Sicht. Allerdings muss man auch anmerken, dass der Fall ohne das Bundeskleingartengesetz und ohne die Verträge und Regeln um ein Vielfaches komplizierter wäre und einen noch heftigeren Streit nach sich ziehen würde. Zu einem Streit kommt es bekanntlich immer dann, wenn jede Partei sich im Recht wähnt und auf seiner Position verharrt.
Autor:Harald Gerhäußer aus Bochum |
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