„Es kommt darauf an,dass wir Haltung zeigen!“
„Wir leben in einer Zeit, in der sich etwas verändert. In der etwas auf dem Spiel zu stehen scheint – ganz grundsätzlich. In der wir Position beziehen müssen. In der wir uns fragen müssen, wo wir stehen – und wie wir das Richtige tun. Wie wir das Richtige für uns und unser Gemeinwesen tun.“ Mit Worten wie diesen stimmte Oberbürgermeister Frank Baranowski die rund 900 Gäste des Neujahrsempfangs der Stadt auf das Jahr 2017 ein.
Eine gute Tradition in der Stadt
Der Neujahrsempfang der Stadt Gelsenkirchen ist in jedem Jahr ein Ereignis, bei dem sich in der Stadt aktive Bürger zusammenfinden und Gelegenheit finden zum Austausch abseits des Tagesgeschäftes.
Zum Programm gehört dabei neben einer Rede des Oberbürgermeisters auch ein kulturelles Programm, das im Großen Haus des MiR in diesem Jahr von Ensemble-Mitgliedern des Hauses dargeboten wurde. So wurden Auszüge aus dem Musical „Linie 1“, das am 11. März Premiere im MiR feiert, dargeboten und es gab Kostproben aus der Oper „La fille du régiment“ und der Operette „Die lustige Witwe“.
Wolfgang Trepper gab sich "böse" wie immer
Und als Show-Gast wetterte Wolfgang Trepper in seiner bewährt harschen Art gegen Alles und Jeden: „Im Jahr 2016 sind so viele Prominente gestorben. George Michael hat dabei Wort gehalten: Last Christmas....Aber der liebe Gott spinnt doch: Udo Jürgens hat er uns genommen, Bernhard Brink lebt!“
Auch im Sport kennt sich Trepper aus und erinnerte an Jogi Löws „Sack-Kratzer“ oder die Olypiade ohne die Russen: „Als ob das keiner geahnt hätte, dass die dopen!“ Aber auch die Welt- und Bundespolitik oder das Assi-TV bekamen ihr Fett weg. Und einen Wunsch hatte Trepper auch noch: „Martin Semmelrogge for President! Die Weihnachtsansprache würde ich mir anhören!“
Moderator Matthias Bongard sorgte für gute Unterhaltung
Moderiert wurde die Veranstaltung von Matthias Bongard, der von sich selbst sagte: „Ich habe eindeutig einen Dortmunder Migrationshintergrund. Allerdings habe ich nur ein Tagesvisum und muss bis Mitternacht wieder aus Gelsenkirchen heraus sein. Dass man mich aber trotzdem wieder hierhin eingeladen hat, zeigt mir die Offenheit, die in dieser Stadt gegenüber ´anderen` herrscht.“
Der Oberbürgermeister ruft dazu auf, Rückgrat zu zeigen
Anders als sonst erinnerte das Stadtoberhaupt in diesem Jahr nicht an erfolgreich durchgeführte Projekte im vergangenen Jahr oder stellte für das neue Jahr geplante Projekte vor, sondern forderte die Anwesenden mit deutlichen Worten auf, Stellung zu beziehen in einer immer unberechenbareren Welt.
Dabei erinnerte er an das Flüchtlingsthema, das in Gelsenkirchen sehr viel besser bewerkstelligt wurde als in vielen anderen Städten. Baranowski erklärte: „Warum ist es hier nicht so gelaufen wie in manchen Nachbarstädten, wo die Stimmung teilweise ganz anders ist? Nun, vielleicht beginnt das schon mit einer der ersten Entscheidungen im Jahr 2015: Wir haben sehr früh gesagt, wir nehmen nicht nur einige wenige Stadtteile in die Pflicht, sondern die ganze Stadt. Eine gesamtstädtische Aufgabe ist eben von der ganzen Stadt zu tragen! Wir sehen die Folgen dieser Haltung: In der verbreiteten Akzeptanz, vor allem aber in der enormen Bereitschaft so vieler Bürger, zu helfen. Und wir spüren, dass sich das Handeln der Stadt und das ehrenamtliche Engagement verstärken. Wobei dieses Engagement keine Selbstverständlichkeit ist. Darum möchte ich auch hier gerne ein weiteres Mal ´Danke` sagen, all jenen, die sich eingebracht und eine beeindruckende Haltung unter Beweis gestellt haben!“
GEmeinsam werden in Gelsenkirchen Erfolgsgeschichten geschrieben
In Sachen Osteuropa-Zuwanderer konnte der Oberbürgermeister von einer ähnlichen Erfolgsgeschichte berichten: „Auch da ging und geht es um Haltung und Methode. Wir sagen nicht, dass wir die Freizügigkeit von EU-Bürgern grundsätzlich ablehnen. Wir sagen jedoch, und das sehr deutlich: Wir wollen nicht, dass auf dem Rücken von Menschen, dass mit ihrem Schicksal und ihren schwierigen Lebensumständen Geld gemacht wird – und dass dabei quasi im Nebeneffekt das gute Zusammenleben bei uns gefährdet wird! Dafür haben wir überhaupt keine Toleranz! Und dagegen gehen wir vor, und zwar mit allen Mitteln, die wir haben! Und wir schauen in enger Zusammenarbeit mit dem Land, dass wir dazu noch mehr Mittel an die Hand bekommen! Vor allem aber haben wir auch klargemacht: Wir lassen keinen Stadtteil, keine Nachbarschaft allein. Wir haben den Kommunalen Ordnungsdienst ausgebaut, wir haben Mülldetektive losgeschickt, die Sicherheit von Häusern überprüft und viele versiegelt – und damit Räume für ein unschönes Geschäftsmodell geschlossen!“
Unschöne Tatsachen werden nicht verleugnet
Auch wenn der Oberbürgermeister die Arbeitslosenzahlen der Stadt nicht schönen wollte, so konnte er einen kontinuierlichen Zuwachs an Arbeitsplätzen verkünden: „Dass sich auf dem Gelsenkirchener Arbeitsmarkt Jahr für Jahr neue Türen öffnen, das hat auch etwas mit Haltung und Methode zu tun. Warum? Weil es uns in unseren Bemühungen nicht um den raschen statistischen Effekt geht, sondern um langfristige Wirkung. Weil es uns darum geht, Strukturen aufzubauen, die auf Dauer tragen und immer neue Chancen bieten. Ganz konkret auch Infrastrukturen! Nicht umsonst haben wir unser Hauptaugenmerk darauf gerichtet, alle Gewerbegebiete und alle Schulen ans schnelle Glasfasernetz anzuschließen. Damit sind wir landesweit ganz vorn. Das wird nicht sofort, aber auf mittlere Sicht Folgen und Erfolge mit sich bringen. Und darum geht es.“
Politik der Angst ist eins der wenigen No-Goes in Gelsenkirchen
Was die Sicherheit in der Stadt betrifft, bezog der Oberbürgermeister ganz klar Stellung: „Eine Politik der Angst – das ist ein echtes No-Go! Und eines der ganz wenigen No-Goes, die ich in Gelsenkirchen kenne! Wir tun viel für die öffentliche Sicherheit in Gelsenkirchen. Wir tun, was nötig ist. Und noch mehr. Aber wir tun es, ohne Bedrohung herbeizureden – auch wenn das die herrschende Nervosität scheinbar verlangt. Und nicht zuletzt: Wenn wir über Sicherheit reden, dann sollten wir auch über das reden, was zuallererst Sicherheit schafft – nämlich Dinge, über die in dieser Debatte kaum gesprochen wird. Bildung und Lebenschancen zum Beispiel, gesellschaftlicher Zusammenhalt, intakte Nachbarschaften, eine intakte Stadt-Gesellschaft, das Miteinander von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen in Sportvereinen und bei anderen Gelegenheiten!“
Und auch wenn Baranowski sich der Tatsache bewusst ist, dass das Jahr 2017 mehr Fragen als Antworten aufwirft, so verbreitete er Optimismus, weil er sich sicher ist, dass uns nicht bange sein muss. Denn in Gelsenkirchen verfüge man über die Erfahrung eines funktionierenden Gemeinwesens mit einem guten inneren Kompass.
Sozialpsychologe Prof. Dr. Harald Welzer in einem lockeren Gespräch über die Gesellschaft und ihre Sorgen
In einem Gespräch mit Gastredner Prof. Dr. Harald Welzer, einem Autor und Sozialpsychologe, diskutierte Bongard, wie weit sich die mediale Wirklichkeit von der tatsächlich erlebten unterscheidet und welchen Anteil „die Partei, deren Namen wir hier nicht nennen wollen“ daran Anteil hat. „Im Westen Europas erleben wir derzeit eine Phase der Stabilität wie nie zuvor. Nehmen wir allein die Tatsache, dass wir seit 70 Jahren keinen Krieg mehr erlebt haben“, erinnerte Welzer.
Klare Worte fand der Sozialpsychologe als er ein Beispiel schilderte: „Bei einer Führung anlässlich des Tages der offenen Tür im Bundestag sagte einer der Besucher: ´In so schweren Zeiten braucht man Führung.` Da habe ich mir nur gedacht: Mensch Alter, was ist denn so schwer derzeit?“
Das "Nörgeln" nimmt Überhand in Deutschland
Dieses „Nörgeln“ gehört für den Professor inzwischen zur Alltagskultur und wird zum Standardnörgeln. Und Welzer erinnerte: „Kein Gast in einer Talkshow würde doch zur Zeit sagen: Das ist ein tolles Land, in dem wir hier leben.“
Dabei kritisierte er aber nicht nur das gemeine Volk, sondern auch Politiker, die sich noch in vollkommener Unkenntnis der Tatsachen dazu hinreißen lassen schon ihre Meinung zu Geschehnissen wie denen auf dem Berliner Weihnachtsmarkt kundzutun. Solche Aussagen sind für Welzer „unverantwortlich“. Viel Lob hatte er hingegen für die Rede des OB, denn dieser forderte: „Bleiben wir mutig!“ und kritisierte damit die vorherrschende Hysterie.
Autor:silke sobotta aus Gelsenkirchen |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.